Der britische Premierminister Rishi Sunak macht in Wien aktuell Werbung für sein umstrittenes Ruanda-Modell. Einen dankbaren Abnehmer findet er dabei in Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Der Asyl-Plan bietet jedoch alle Voraussetzungen, um zu einem finanziellen Bumerang zu werden.
Wie soll Europa mit irregulärer Migration umgehen? In den Denkfabriken europäischer Regierungen geistert folgender Lösungsansatz umher: Der gesamte Asylprozess soll in Drittstaaten ausgelagert werden. Die eigenen Behörden sollen dadurch entlastet, irreguläre Routen geschlossen und Schlepperbanden abgeschreckt werden.
Heilsbringer Ruanda?
Der britische Premierminister Rishi Sunak will hierfür Migranten ins mehr als 6000 Kilometer entfernte Ruanda in Ostafrika fliegen lassen – unabhängig von der Herkunft der Personen. Im diktatorisch regierten Land soll anschließend ein Asylantrag gestellt und bearbeitet werden. Wer angenommen wird, darf in Ruanda bleiben. Wer abgelehnt wird, soll in einen „sicheren Drittstaat“ abgeschoben werden. Wo auch immer der dann ist. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist auf jeden Fall nicht vorgesehen. So weit, so (un)klar.
Bundeskanzler Karl Nehammer glaubt, dass Amtskollege Sunak Großem auf der Spur ist. Er lobte am Dienstag das britische „Ruanda-Modell“ als „Wegbereiter“ für die Europäische Union. Beim Besuch des britischen Premiers in Wien versprach Nehammer, ein „strategischer Partner“ sein zu wollen, wenn es darum gehe, Asylverfahren in sicheren Drittstaaten durchzuführen. Doch was Sunak in Wien als Erfolg verkauft, entwickelt sich für ihn gerade zum politischen Super-GAU.
Große Zweifel an Legalität
Denn das Gesetz, das das Ruanda-Modell ermöglichen soll, steht juristisch auf wackeligen Beinen. Der einzige Flug, der bisher nach Ostafrika abheben sollte, wurde per einstweiliger Verfügung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in letzter Minute gestoppt. Später erklärte das Höchstgericht in Großbritannien den Asylpakt für rechtswidrig. In den Urteilen wurde festgehalten, dass Ruanda kein sicherer Drittstaat sei.
Daraufhin brachte Sunak einen Gesetzesentwurf ein, der Ruanda einen sicheren Status zuspricht. Das Gesetz wurde zähneknirschend durchgewunken und weist die Gerichte an, wichtige Abschnitte des Menschenrechtsgesetzes zu ignorieren. Anfang Juli sollen die ersten Flieger abheben. Ob das Gesetz hält, wird von Rechtsexperten bezweifelt. Einsprüche wurden bereits von mehreren Seiten eingebracht.
Wie sicher ist Ruanda?
Die britische Regierung hatte Ruanda 2021 höchstselbst für seinen Umgang mit Geflüchteten kritisiert. Moniert wurden „außergerichtliche Tötungen, Todesfälle in Gewahrsam, das Verschwinden von Menschen und Folter“. Die Richter wiesen in ihrem Urteilsspruch auch auf einen Vorfall aus dem Jahr 2018 hin, als die ruandische Polizei das Feuer auf protestierende Flüchtlinge eröffnete und mindestens elf Menschen tötete.
Das „Land der tausend Hügel“ hat zwar in den vergangenen Jahren einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, die Menschenrechtslage ist jedoch fragwürdig. Das Regierungssystem von Präsident Paul Kagame steht international in der Kritik wegen mangelnder Pressefreiheit, Unterdrückung der Opposition, Manipulation von Wahlen sowie der Destabilisierung des Ostkongo.
Finanzielles Desaster für Steuerzahler
Neben schwindender Glaubwürdigkeit droht Sunak auch ein finanzielles Desaster, wie ein Bericht des britischen Rechnungshofes zeigt. Wie nun ermittelt wurde, hat London bereits 290 Millionen Pfund an das diktatorische Regime in Kigali überwiesen. Sobald die ersten 300 Migranten in Ruanda angekommen sind, werden weitere 120 Millionen Pfund fällig. Pro Asylbewerber kommen noch einmal mehr als 150.000 Pfund für Unterkunft, Verpflegung, Ausbildung und Gesundheitsversorgung hinzu.
Ein Flugticket koste satte 11.000 Pfund pro Person. Für die Ausbildung von Sicherheitskräften sind 12,6 Millionen Pfund zum Start vorgesehen und anschließend eine Million pro Jahr. Der „Telegraph“ bezifferte die Gesamtkosten mit bis zu fünf Milliarden Pfund, aufgeteilt auf fünf Jahre. Das One-Way-Ticket nach Ruanda könnte den britischen Steuerzahler speziell zu Beginn der Operation bis zu 1,8 Millionen Pfund (etwa zwei Millionen Euro) pro Asylwerber kosten.
Milliarden gegen Migranten?
Die Enthüllungen folgen auf eine fast dreijährige Weigerung der britischen Regierungen, die vollen Kosten des Ruanda-Modells zu erläutern, wobei sie sich auf „Geschäftsgeheimnisse“ beriefen.
Im Dezember 2023 behauptete Sunak noch, dass der Ruanda-Plan „uns auf lange Sicht buchstäblich Milliarden einsparen würde“, ohne die Zahlen zu erläutern. Dem aktuellen Rechnungshof-Bericht zufolge wäre sein Modell aber mit erheblichen Mehrkosten verbunden.
Nach Recherchen der BBC kämen aktuell 52.000 Asylbewerber für das Ruanda-Modell infrage. Wie will so ein kleiner Staat die Asylanträge so vieler Menschen überhaupt abwickeln? Diktator Paul Kagame und seine Vertreter weigerten sich hier bisher, konkret zu werden. Zur Erinnerung: Ruanda ist nicht einmal halb so groß wie Österreich.
Das ostafrikanische Land habe „im Prinzip“ zugestimmt, in einer ersten Phase 5700 irregulär eingewanderte Menschen aufzunehmen, erklärte Sunaks Innenministerium. Besonders peinlich: Aus dieser Gruppe haben die britischen Behörden zu 3557 Kandidaten den „Kontakt verloren“. Das ginge aus offiziellen Dokumenten hervor, berichten britische Medien. Zudem bleibt die Frage offen, was mit den übrigen 46.300 Geflüchteten passieren soll.
Im schlechtesten Fall hätte Sunak also Hunderte Millionen Pfund an einen Diktator überwiesen, ohne auch nur einen Flüchtling nach Ruanda ausgeflogen zu haben. Für die EU ist das Modell ohnehin nicht umsetzbar, da das EU-Recht gar keine Asylverfahren in Drittstaaten vorsieht.
Österreich will EU-Recht ändern
Darauf nahm Nehammer aber am Dienstag nach der gemeinsamen Pressekonferenz mit Sunak im Gespräch mit Journalisten Bezug. Die 15 EU-Staaten, die bisher bereit seien, die Rechtslage zu ändern, bräuchten noch mehr Unterstützer. „Wenn diese Verfahren gelingen und auch sicher durchgeführt werden können, dann ist auch der Beweis erbracht, dass damit tatsächlich die Möglichkeit gegeben ist, gegen die organisierte Kriminalität, die den Menschenschmuggel und Menschenhandel betreibt, effizient vorzugehen.“
Deshalb sei das Ruanda-Modell so wichtig. Doch hier lauert das nächste Problem. Sollte Großbritannien allen Widerständen zum Trotz tatsächlich Erfolg haben, sind die Ressourcen des kleinen afrikanischen Staates ohnehin limitiert und Alternativen nicht in Sicht. Außer Ruanda ist bisher kein Land bekannt, das Europa seine Asylbewerber abnehmen will.
Sunak braucht einen Erfolg
Den britischen Premier dürfte das wenig jucken, denn er braucht jeden Erfolg. Noch in diesem Jahr soll im Vereinigten Königreich ein neues Parlament gewählt werden. Die regierenden Konservativen liegen in Umfragen am Boden und haben bei der jüngsten Kommunalwahl fast 500 Sitze in Gemeinderäten verloren. Krisen und Skandale halten das Land seit Jahren in Erregung.
Dementsprechend gelegen kam Sunak das offene Ohr von Nehammer. Der Premier bedankte sich in Wien bei „Karl“ – vor allem für dessen „Führungskraft“ beim Asylthema. Denn „Business as usual“ dürfe nicht weitergehen. Dabei ist jetzt schon klar: Das Ruanda-Modell ist vieles, aber sicher nicht das Übliche.
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