Was haben Pest, Corona und die Französische Revolution gemeinsam? Richtig: den großen Auftritt von Verschwörungstheoretikern. Wie meistens, wenn die Zeiten kompliziert, gefährlich, durcheinander sind. Sie selbst sind auch schon auf Fake News und Lügenmärchen hereingefallen? Keine Sorge, Sie sind damit nicht allein – und deshalb um Gottes Willen schon gar nicht dumm, wie wir bei der „Sciency Feminist“ nachgefragt haben.
„Nein, Menschen sind deswegen doch nicht dumm“, wimmelt Medizinphysikerin und Wissenschaftskommunikatorin Elka Xharo, in sozialen Medien als „Sciency Feminist“ bekannt, unsere Frage ab: „So etwas kann jedem passieren, jeder kann darauf hereinfallen. Davor ist niemand gefeit.“
In Zeiten der extremen Unsicherheit versuchen Menschen, sich die Dinge irgendwie zu erklären“, erklärt die Expertin von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), „man will ja Antworten haben.“
Verständlich. Das Problem daran ist nur: „Dinge wie Pandemien und Co. sind komplex, da spielt vieles mit, das lässt sich nicht einfach erklären. Es gibt zumeist kein Schwarz-Weiß – vor allem früher noch, als die Wissenschaft noch nicht so ausgeprägt war.“
Manche Menschen lesen Fachzeitschriften, manche Zeitungen und manche sind in sozialen Medien unterwegs. Die Wissenschaft muss alle Plattformen nutzen: Jede hat ihre Berechtigung und jede erreicht eine andere Zielgruppe.
Elka Xharo, Medizinphysikerin, Wissenschaftskommunikatorin
Bild: ©lisalux
Die Unsicherheit und der tiefe Wunsch, sich komplizierte Dinge einfach erklären zu können und zu Theorien zu kommen, sind also mitunter ausschlaggebend dafür, dass Verschwörungen so gut funktionieren: „Unser Gehirn möchte Muster erkennen, es möchte eine zusammenhängende Erklärung haben“, sagt die Expertin.
Dazu eignen sich Mythen von Reptiloiden – also Mensch-Reptil-Mischwesen –, von giftigen Chemtrails, von eingesetzten Mikro-Steuerungschips und Co. leider wunderbar.
Kein Interesse, kritisch beäugt
Dazu kommt das Desinteresse der Österreicher an der Wissenschaft sowie die Skepsis davor. Xharo erkennt dahinter „das Gefühl von der Wissenschaft im Elfenbeinturm“ als Motiv.
„Bei Befragungen der ÖAW zum Thema kommen Antworten wie etwa, dass wir uns mehr auf den gesunden Hausverstand verlassen sollten als auf wissenschaftliche Studien und dass die Wissenschaft mehr auf das hören sollte, was ,normale‘ Leute denken“, berichtet sie.
„Die Menschen wissen also nicht, was sie mit Wissenschaft anfangen sollen, sie fragen sich: Was hat das mit mir zu tun?“, führt die Expertin aus. „Ihnen fehlt der Konnex von der Wissenschaft ,da oben‘ und ihrem ,normalen‘ Leben. Und darunter leidet das Vertrauen.“
Bessere Kommunikation nötig
Hier braucht es vor allem bessere Wissenschaftskommunikation: „Das passiert zwar schon, vor allem seit der Pandemie“, sagt Xharo – aber es ist noch deutlich Luft nach oben.
So etwa war es vor Corona „ja fast irgendwie verpönt“, sich mit banalen Themen wie Wissenschaftskommunikation auseinanderzusetzen – oder in soziale Medien zu gehen.
„Mittlerweile sieht man, wie wichtig das ist, dass die Wissenschaft ihre Erkenntnisse, die sie ja auch mit den Ressourcen der ganzen Gesellschaft gewinnt, ihr auch zurückgibt und sie nicht nur in irgendwelchen Datenbanken versumpfen lassen.“
Runter vom hohen Ross
Um bei den Menschen wieder anzukommen, muss man sie also erst einmal erreichen. Dazu muss die Wissenschaft von ihrem Ross herabsteigen.
„Ich weiß schon, dass etwa ein Instagram-Account kein Fachpaper ist und man Sachen verkürzt darstellen muss – aber auch der hat seine Berechtigung“, sagt Xharo.
„Es kann nicht jeder die ,New York Times‘ lesen. Wir müssen alle Plattformen ausnutzen, um alle Zielgruppen zu erreichen und die Menschen dort abholen, wo sie sind. Ein jeder hat das Recht darauf, dass ihm Wissenschaft so zur Kenntnis gebracht wird, dass er oder sie diese auch annehmen und verstehen kann.“
Wie Wissenschaft funktioniert
Der Expertin ist vor allem wichtig, den Menschen das Verständnis von Wissenschaft nahezubringen: In der Pandemie habe sich stark gezeigt, dass Menschen nicht wüssten, „wie Wissenschaft funktioniert“, so Xharo.
Nämlich „dass Wissenschaft ein Erkenntnisprozess ist, der sich immer wieder selber hinterfragt, dass es keine hundertprozentigen Wahrheiten gibt, dass man fast nie sagen kann, etwas wirkt zu 100 Prozent, das gibt es nicht.“
Xharo: „Es sind immer Wahrscheinlichkeiten, die die Wissenschaft ausdrückt, und das ist offenbar vielen Menschen in der Pandemie noch nicht klar gewesen. Deswegen ist bei vielen auch der Eindruck entstanden, die Wissenschaft hat ja keine Ahnung, die widerspricht sich jedes Mal selbst, jeden Tag gilt etwas anderes.“
Politik und Wissenschaft vermixt
Dabei, betont die Forscherin, „ist das die größte Stärke der Wissenschaft bzw. der wissenschaftlichen Forschung: Dass sie sich immer wieder selber hinterfragt und keine absoluten Wahrheiten annimmt, sondern ihre Erkenntnisse anpasst, sobald es neue Daten gibt. Und das ist eigentlich eine sehr gute Sache.“
Sie sieht hier aber nicht nur die Wissenschaft gefragt, sondern auch die Politik: „Vertrauen hier aufbauen kann man nur gemeinsam.“
Keine Überraschung, wenn man sieht, dass auch der Politik viele Österreicher ebenfalls skeptisch gegenüberstehen – und man bedenkt, dass Corona z.B. in einer Zeit mit empörenden Chat-Protokollen und dem Ibiza-Skandal aufkam.
Wie Verschwörungstheorien entstehen
Verschwörungstheorien kommen oft ähnlich wie beim Spiel „Stille Post“ zustande: Einer sagt etwas, vielleicht aus politischem Kalkül, aus Boshaftigkeit, vielleicht auch nur im Scherz oder aus Langeweile. Das Gesagte verbreitet sich – durch ihn oder andere, und weitere Menschen ergänzen es mit ihren eigenen Eindrücken, Annahmen, Geschichten. Schon entwickeln sich verschiedene Versionen der ursprünglichen Lüge und gehen um die Welt, heutzutage zumeist online.
Richtig angelegt, fängt man damit Leute. Dazu gehört manchmal schon, glaubhaft zu versichern, dass man das von einer wissenschaftlichen Quelle, in einem Forschungspapier oder auch von jemanden, der sich auskennt, gehört, gelesen oder gesagt bekommen bzw. gehört hat. Oder man gibt Links zu gefakten Quellen an.
Lügen erkennen
Grundsätzlich sollte man auf Hinweise achten, wenn man eine Lüge vermutet und z.B. darauf schauen, welche Quelle angegeben ist, ob es ein Impressum gibt, wie die Sprache ist – je sensationslüsterner etwas formuliert ist, umso kritischer sollte man es beäugen – und das Ganze auch auf Faktencheck-Seiten wie „Mimikama“ gegenchecken.
Vor allem weniger internet-affinen Menschen oder auch älteren Personen rät Xharo, auch einmal Kinder, Enkel, Urenkel zu befragen, ob sie das schon einmal gehört oder etwas dazu gelesen hätten, oder um Hilfe beim Faktencheck zu bitten.
Umgang in sozialen Medien
Wie aber jetzt damit umgehen? Gerade in sozialen Medien ist sachliches Diskutieren oft schwer, manchmal weiß man auch gar nicht, ob man wirklich mit einem interessierten User kommuniziert oder mit einem Troll, der nur lästig sein will, oder mit einer Maschine.
Da versucht Xharo anfangs schon eine „respektvolle Diskussion auf Augenhöhe“. Klappt das nicht und will das Gegenüber nur lästig sein und Ärger schüren, rät sie zum Blockieren – und bei Hasspostings auch zum Melden der Person beim jeweiligen Medium.
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