Zwischen ÖVP und Grünen eskaliert der Streit um das EU-Renaturierungsgesetz. Die Bundesländer blockierten die Umsetzung des Gesetzes bisher, dann kam ein Schwenk von den roten Regierungen Wiens und Kärntens. Zu einer Entscheidung konnten sich die Länder am Freitag aber nicht durchringen.
Ablehnung kam etwa von Niederösterreichs Landesrätin Susanne Rosenkranz (FPÖ). Die Verordnung sei schwammig formuliert, begründete sie etwa. „Mein Ziel war es, so etwas wie einheitliches Vorgehen im Prozess sicherzustellen. Unabhängig davon, ob man dafür oder dagegen ist, sollte man trotz unterschiedlicher Meinungen ein gemeinsames Zielbild haben. Und das wurde leider nicht zustande gebracht“, kommentierte die Kärntner Landesrätin Sara Schaar die fehlende Entscheidung. Und die Entscheidung der Länder bringen auch Umweltministerin Leonore Gewessler unter Zugzwang. Denn immerhin sei die Stellungnahme der Länder rechtlich bindend. Und daher könne die Ministerin auch nicht die Zustimmung erteilen.
Gegen das EU-Renaturierungsgesetz wehrt sich etwa die ÖVP. Bundeskanzler Karl Nehammer bezeichnete die Verordnung als „dramatisches Beispiel für den Überregulierungswahn in Brüssel“. Die Koalitionspartner streiten aber nicht nur um die Inhalte, sondern auch um die Zuständigkeit. Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) meint, dass bei einem Ende der bisher einheitlichen Stellungnahme der Bundesländer die Verordnung auch sein Ressort betreffe und nicht nur das Ministerium von Gewessler.
Das sieht Gewessler ganz anders: „Wenn Landwirtschaftsminister Totschnig in Brüssel ohne mein Einvernehmen bei der Landwirtschaftspolitik, bei der gemeinsamen Agrarpolitik die Umweltschutzstandards abschwächen kann, dann muss das ja wohl umgekehrt auch möglich sein“, so Gewessler.
Unterschiedliche Rechtsmeinungen
Die Juristen sind sich uneinig. Der Europarechtler Walter Obwexer stützt die ÖVP-Ansicht und meint, dass Gewessler sowohl die Zustimmung von Totschnig als auch von Finanzminister Magnus Brunner und Europaministerin Karoline Edtstadler (alle ÖVP) benötige.
Andere Juristen widersprechen dem. Aus Sicht von Daniel Ennöckl, Vorstand des Instituts für Rechtswissenschaften der Universität für Bodenkultur Wien (Boku), ist der Weg für Gewessler eindeutig frei, sobald sich ein Bundesland offiziell aus der blockierenden „einheitliche Länderstellungnahme“ verabschiedet habe. Sie könne dann dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zufolge auch ohne Zustimmung der anderen Ministerien für die EU-Verordnung stimmen.
Wenn Landwirtschaftsminister Totschnig in Brüssel ohne mein Einvernehmen bei der Landwirtschaftspolitik, bei der gemeinsamen Agrarpolitik die Umweltschutzstandards abschwächen kann, dann muss das ja wohl umgekehrt auch möglich sein.
Umweltministerin Leonore Gewessler
WWF mit scharfer Kritik an Nehammer
Nehammer unterstellt Gewessler bei einem Alleingang glatt, dass dies zum Schaden der österreichischen Landwirtschaft sein würde. Österreich sei ohnehin ein vorbildliches Naturland und brauche daher gerade in diesem Punkt keine neue Überregulierung durch die Brüsseler Bürokratie. WWF Österreich kritisiert diese „irreführenden und falschen Aussagen” von Nehammer und dessen Landwirtschaftsminister Totschnig heftigst.
Stärkung der Ernährungssicherheit
„Die politische Ablehnung des Gesetzes entbehrt jeder, aber auch wirklich jeder wissenschaftlichen Grundlage. Die beiden Politiker (...) schaden dem Ansehen Österreichs in Brüssel“, wettert WWF-Experte Joschka Brangs gegen die ÖVP. „Intakte Ökosysteme sind unsere wichtigsten Verbündeten. Das EU-Gesetz würde daher auch die Ernährungssicherheit langfristig stärken und wäre eine Rundum-Lösung für viele Probleme.”
Kampf gegen Erderwärmung
Das EU-Gesetz sieht vor, dass künftig mehr Wälder aufgeforstet, Moore wieder vernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Im Detail werden EU-weite Ziele vorgegeben, wie die Natur wieder zu ihren Rechten kommen kann, damit die Erderwärmung wirksam bekämpft wird. Der wichtigste Aspekt: Die Mitgliedstaaten können selbst entscheiden, wie sie diese Ziele erreichen wollen. Somit können sie auch die Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen berücksichtigen.
Wissenschaftler machen Druck auf die Politik
Nach langen Verhandlungen wurde das Gesetz in einer abgeschwächten Form im EU-Parlament beschlossen. Ende März wurde die finale Absegnung des Gesetzes durch die Umweltminister jedoch kurzfristig verschoben.
Wissenschaftliche Fachleute in ganz Europa befürworten die geplante Verordnung, zuletzt auch mehr als 170 Ökologen aus Österreich.
Hand in Hand mit Bodenstrategie
„Angesichts der Klima- und Biodiversitätskrise sind stabile Ernten langfristig nur dann möglich, wenn Äcker in eine intakte Natur eingebettet sind“, legt Brangs nach. Er kritisiert auch die Untätigkeit der Politik bei der immer noch grassierenden Bodenversiegelung: „Genau hier muss die Regierung rasch eingreifen und den bedrohlichen Flächenfrass eindämmen. Das könne Hand in Hand mit der Renaturierung gehen.“
Ludwig brachte Bewegung in die Diskussion
Ökolorbeeren hat sich – wie berichtet – zuletzt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) geholt, weil er zuletzt seine Blockade aufgab und nun sogar eigene Lösungsvorschläge auf den Tisch legte. Damit will die SPÖ nicht zuletzt enttäuschte grüne Wähler anlocken.
„Die Stellungnahme der Länder ist rechtlich bindend. Es ist ein zentraler Schritt, der aussteht, und deshalb ersuche ich die Landeshauptleute Michael Ludwig und Peter Kaiser (beide SPÖ, Anm.) um Klarstellung“, sagte Gewessler am Freitag.
Kommentare
Liebe Leserin, lieber Leser,
die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.