Werkschau zum 80er

Sigi Maron: Echte Unbequemlichkeit stirbt nie

Musik
29.05.2024 09:00

Sigi Maron war ein künstlerisches Multitalent mit einem ausgeprägten Hang zu politischer Gerechtigkeit und einem ehrlichen Verständnis für den „kleinen Mann“. Vor wenigen Tagen hätte der Wiener Protestliedschreiber seinen 80. Geburtstag gefeiert – sein einzigartiges Leben wird nun in einem speziellen Buch nachgezeichnet.

(Bild: kmm)

Österreich hat so seinen ganz eigenen Umgang mit dem Unbequemen. Einerseits feiert man sich hierzulande dafür, gerne kratzbürstig und hochgradig grantig zu sein. Andererseits lässt sich das über viele Jahrzehnte angezüchtete Monarchisch-Duckmäuserische nicht aus der Welt lügen. Wir fahren also „dem Piefke“ bei jeder Gelegenheit gerne mit dem Arsch ins Gesicht, wenn am politischen Parkett aber wieder einmal Korruption und Mittelschichtverhöhnung fröhliche Urständ feiern, dann sudern wir lieber im Stillen vor uns hin und neigen zur beruhigenden Ignoranz. Protestkultur herrscht eher, wenn man der Wissenschaft keinen Glauben schenken möchte, als wenn man von den Eliten gegeneinander ausgespielt wird.

Ein kratzender Stachel
Mit dieser besonders eigenwilligen Form des Existierens hat zumindest ein Staatsbürger nie viel am Hut gehabt. Liedermacher, Schriftsteller, Politiker, Aktivist und – ja – Querulant Sigi Maron war zeit seines Lebens ein kratzender Dorn im Fleisch all jener, die ihm nicht sonderlich zupass waren. Und derer gab es viele. Bis zu seinem Tod vor acht Jahren hat sich der streitbare Vollblutösterreicher einen Namen gemacht, der zwischen Bewunderung und Verachtung firmiert. Je nachdem, wie man ihm zu Gesicht steht. Am 14. Mai hätte Maron seinen 80. Geburtstag gefeiert und zu diesem Anlass wurde in unterschiedlichsten Bereichen wild in den Archiven gewildert, um eine viel zu unbesungene Legende der heimischen Tonkunst noch einmal ins Rampenlicht zu rücken.

Unter dem Banner „Redn kaun ma boid“ erschien einerseits eine neue Platte mit seinen besten und markantesten Liedern. Dazu haben sich Autorin Margit Niederhuber und Verleger Walter Gröbchen auch die Mühe gemacht, diverse Unterlagen, Texte und Erinnerungen in der Wiener Nationalbibliothek zu recherchieren und mit Zeitzeugenberichten, Fotos, Songtexten und Rückschauen von Freunden und Wegbegleitern zu einem üppigen Kompendium zu verarbeiten, das via Mandelbaum Verlag unlängst das Licht der Welt erblickte. Im Buch „Redn kaun ma boid“ wird ein möglichst komplettes Bild gezeichnet von einer der stärksten Persönlichkeiten der heimischen Musikszene, der gerade ob ihrer absoluten Starrköpfigkeit dem Leben gegenüber niemals die allumfassende Prominenz eines Ambros, Danzer, Hirsch oder Fendrich zuteilwerden konnte.

Erschreckendes Zeitdokument
Maron wird im knapp 300 Seiten starken Werk von allen Seiten vorgestellt. Man bekommt Einblick in das musikalische Wirken, das ihn trotz partiell vulgärer Dialektmusik bis nach London führte. Es wird seine kommunistische Ader und der dichte Zugang zur KPÖ nachgezeichnet und jüngere Musikfans lesen von einem beinharten Idealisten, der so nachhaltig für seine Überzeugungen eintrat, dass man ihn sogar in die Psychiatrie einweisen wollte. „Redn kaun ma boid“ ist aber auch ein Zeitdokument des alle Zeiten überdauernden Postfaschismus und dem heute fast unvorstellbaren Umgang seitens Polizei und Behörden mit beeinträchtigten Menschen. So wird man lesender Zeuge davon, wie der früh an der damals noch nicht behandelbaren Kinderlähmung erkrankte Maron als Rollstuhlfahrer für eine barrierefreie Wohnung kämpfen musste – mitunter bis zur absoluten Erschöpfung.

Die Unwägbarkeiten und Ungerechtigkeiten des Lebens kanalisierte der bei Krems aufgewachsene Querkopf nicht nur in berüchtigten Zornesausbrüchen, sondern auch in memorable Liedtexte, die von Ungleichbehandlung, Faschismus, Totalitarismus, Fremdenfeindlichkeit und die Von-oben-herab-Mentalität der Politiker handelten. Maron war nicht nur Wutbürger mit schlüssigen Argumenten, er war vor allem auch jemand, der es in leichtfüßiger Art und Weise schaffte, seine eigene Aufgebrachtheit mit Wiener Lokalkolorit und Humor zu vermengen. Diese Art des Geschichtenerzählens und seine unvergesslichen Rollstuhl-Auftritte brachten ihn von Hernals bis nach Hamburg. Dazu engagierte er sich aktiv gegen Zwentendorf und war gern gesehen Konstanz beim Volksstimmefest der KPÖ.

Es gab auch Lust am Leben
Im Buch erinnern sich nicht nur seine Ehefrau und die Töchter an Maron, sondern auch Lebensmenschen wie Peter Turrini, STS-Drittel Schiffkowitz oder Schmetterlinge-Musikerin Beatrix Neundlinger. Sie erzählen in teils sehr persönlichen Einblicken von den Schwierigkeiten, die sich in der Beziehung mit einem derartigen Original auftaten, aber auch von der Wärme seiner Frau und den Kindern gegenüber, die in der Öffentlichkeit hinter dem schroffen Äußeren versteckt war. Für den Großteil der Austropop-Fans und Musikliebhaber bleibt er mit seinem unvergessenen Live-Schlager „Ballade von ana hoatn Wochn“ samt der programmatischen Textzeile „Leckts mi aum Oasch“ für immer in Erinnerung, doch abseits all des Verdrusses verspürte Maron trotz all der gesundheitlichen und gesellschaftlichen Rückschläge auch sehr viel Lust am Leben, was sich in poetische, teils sogar romantische Lieder transferierte.

Maron war in den 70er- und 80er-Jahren der Inbegriff eines Protestsängers, dem es zwar am zwischenmenschlichen Feingefühl gefehlt haben mag, der dadurch aber auch Entscheidungen und Gedankengänge in Bewegung setzen konnte, bei denen andere längst aufgegeben hätten. Nicht zuletzt den Tücken seiner Invalidität ist die ihm zugeschriebene Hartnäckigkeit zu attestieren, ihm wichtige Dinge bis ins letzte Detail zu diskutieren und die eigene Haltung notfalls bis zum Bruch von Freundschaften zu verteidigen. Dass in „Redn kaun ma boid“ sich manche Geschichten und Ereignisse wiederholen, ist der nicht chronologischen Zugangsweise geschuldet und gut zu verschmerzen. Wichtig ist, dass Altgediente, aber auch Jüngere darauf aufmerksam gemacht werden, dass wahre Unbequemlichkeit nicht aus dem Teilen von TikTok-Videos oder einer selbsternannten „Cancel Culture“ besteht. Es geht vielmehr darum, sich auch dann treu zu bleiben, wenn der Gegenwind mal gröber weht. Maron war stets eine prinzipienstarke Festung in der politischen Brandung und das ist hierzulande selten genug.

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