Auf ihrem siebenten Studioalbum „Clancy“ beenden die Twenty One Pilots ihre konzeptionelle Geschichte eines Charakters in einer fiktiven Welt und bündeln noch einmal all ihre musikalischen Stärken aus den letzten Jahren. Das macht ihr neues Werk zum Besten seit langer Zeit. 2025 kommt das Duo damit in die Wiener Stadthalle.
Die Streaming- und Algorithmus-Kultur führt bereits seit Jahren dazu, dass traditionelle Genrehörergruppen zunehmend aussterben und es um das große Ganze geht. Während viele von uns ihre Jugend noch strikt unterteilt in Rocker, Hip-Hopper oder Metaller erlebt haben, geht es bei Festivals heute eher um die kollektive Ekstase. Da reiht man einen misogynen Deutschrapper im Line-Up neben eine 90er-Nostalgie-Party-Band. Eine ernstzunehmende Indie-Künstlerin findet sich Seite an Seite mit einem etablierten Dancehall-Act. Je jünger der durchschnittliche Musikfan, desto geschmacksbreiter und offener wächst er heute auf. Diese allumfassende Umarmung verschiedener Stile haben die mittlerweile 15 Jahre bestehenden Twenty One Pilots schon vorweggenommen, bevor es zum großen Trend wurde. Der endgültige Durchbruch, das US-Nummer-eins-Album „Blurryface“ mit dem Top-Hit „Stressed Out“, machte sie 2015 über Nacht zur spannendsten Band des Pops.
Das Konzept beenden
Wobei der Terminus Pop bei Twenty One Pilots nur als gröbste Überbezeichnung herangezogen werden kann. Wie keine zweite Band vermischt das Duo Tyler Joseph (Gesang, Gitarre, Bass, alles andere) und Josh Dun (Schlagzeug) Mainstreampop-Zitate mit Rap-Einlagen, alternativen Indie-Schlenkern und mutiger Elektronik. Ein Rezept, das damals auch deshalb aufging, weil eine ganze Generation nach etwas dürstete, das sich zwar gerne beim bereits Vorhandenen bedienen darf, aber bitteschön nicht in elendslangweiliger Abkupferei enden soll. „Blurryface“ war in Ansätzen auch der frühe Beginn einer fiktiven Geschichte über den Charakter Clancy, der in der Stadt Dema gegen Unterdrücker ankämpft. Fans der Twenty One Pilots konnten die Songs und Botschaften ähnlich kryptisch lesen wie „Swifties“ jene ihres Idols Taylor Swift. Hier und da versteckte Botschaften, Side-Storys und Hinweise, deren jeweilige Klangkörper in bestimmte inhaltliche Richtungen weiterleiteten.
Frontmann Joseph verwendet die metaphernreichen Texte freilich als Ventil für sein eigenes Seelenheil, das immer wieder im Argen liegt und durch die Kraft der Musik in die gesunde Mitte zurück gependelt wird. Bei den letzten Werken rückte die Groberzählung endgültig ins Zentrum des Geschehens. War „Trench“ noch so etwas wie die künstlerische Entfaltung des Duos aus Ohio, verlor man sich vor drei Jahren mit dem Corona-Album „Scaled And Icy“ ein bisschen in der poppigen Belanglosigkeit. Bei allem Verständnis für ein bewusst helles Album in einer dunklen Zeit, vermissten Fans nicht zuletzt die zugängliche Kantigkeit und das seelenbrechende, intensivere Texten, das Joseph bei den Vorgängern rigoroser umsetzte. Insofern ist „Clancy“, das mittlerweile siebente Studioalbum, nicht nur der Abschluss der konzeptionellen Trilogie, sondern auch eine willkommene Rückkehr zu alten Stärken.
Ritt durch den musikalischen Gemüsegarten
Wie es sich für eine schließende Abhandlung einer Geschichte gehört, vermischen Joseph und Dun dabei auch noch einmal alle Stärken ihres bisherigen musikalischen Oeuvres. Das birgt zwar die Gefahr, sich in zu vielen musikalischen Spielereien zu ergehen, funktioniert aber dank der frischen und unverbrauchten Zugangsweise, die sich die beiden trotz all der vielen Songs in den letzten Jahren erhalten konnten. Schon im Opener „Overcompensate“, das unter anderem auch aus einem deutschsprachigen Sample besteht, wird man „welcome back to ,Trench‘“ gerufen und befindet sich inmitten der Quadratur des kompositorischen Kreises. Danach wildert Joseph mit inbrünstiger Freude quer durch den akustischen Gemüsegarten, wie man es seit „Blurryface“ nicht mehr gehört hat. „Midwest Indigo“ vermittelt wankelmütige Unsicherheit, „Snap Back“ ertönt verträumt und dunkel, während „Routines In The Night“ sich in elektronischer Experimentierfreude ergeht und trotzdem zugänglich bleibt.
Beeindruckend ist vor allem, wie viele Substile die Twenty One Pilots in einen kompakten, dreieinhalbminütigen Song verpacken können. Das eindringliche „Vignette“ etwa weist Josephs Falsett-Stimme auf, leitet in einen Rap über und vermischt darin auch noch Vogelgezwitscher und Theremin-Klänge. Das Besondere an all dem: Es klingt zu keiner Phase gestückelt oder erzwungen, sondern aus einem Guss heraus gemeißelt. Auch die zarten Töne trifft das Duo mit Bravour. „The Craving (Jenna’s Version)“ ist eine Liebeserklärung von Joseph an seine Partnerin und gleitet trotz der gemächlichen Herangehensweise nicht in kitschige Gefilde ab. All das kulminiert sich zum heimlichen Höhepunkt des Albums – „Navigating“. Ein Dancerock-Lehrstück mit ernsthaften Inhalten und interessanten Richtungswechseln, wie es nur den Twenty One Pilots in dieser Form mühelos gelingt. Mit dem auf mehr als sechs Minuten ausgedehnten Closer „Paladin Stait“ schließt das Duo ihr Konzept musikalisch und inhaltlich würdig ab – unbedingt bis zum Ende dranbleiben!
2025 live in Wien
Live stellen die Twenty One Pilots ihr wundervolles Album „Clancy“ übrigens am 13. April 2025 in der Wiener Stadthalle vor. Unter www.oeticket.com oder www.ticketmaster.at gibt es vielleicht noch ein paar Restkarten – ansonsten ist das Comeback des US-Duos bereits seit einigen Wochen restlos ausverkauft.
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