„Krone“-Interview
„Das verschleppte Mädchen ist meine Tochter“
Ein neues Video zeigt, wie barbarisch die Hamas-Terroristen am 7. Oktober mit verschleppten Soldatinnen umgegangen sind. Eines der Mädchen in dem Video ist die 19-jährige Naama Levy. Die „Krone“ sprach mit ihrer Mutter.
Seit acht Monaten geht Ayelet Levy Shachar durch die Hölle. Ihre Tochter Naama ist bei den Anschlägen vom 7. Oktober in Israel gemeinsam mit anderen Mädchen von Hamas-Angreifern überfallen und in ihrem Pyjama verschleppt worden. Ein neues Video zeigt, wie die blutüberströmten Mädchen um ihr Leben flehen, von ihren Entführern gedemütigt werden. Ihre Familien haben sich dazu entschlossen, die Bilder zu veröffentlichen, um der Welt zu zeigen, worum es bei der Gaza-Offensive geht. Im Interview mit der „Krone“ spricht Naamas Mutter über den schlimmsten Tag ihres Lebens – und erklärt, was sie sich von den Verhandlungen um das Leben ihrer Tochter erhofft.
Kronen Zeitung: Frau Levy Shachar, können Sie beschreiben was sie gefühlt haben, als sie die neuen Aufnahmen von der Entführung Ihrer Tochter vor wenigen Wochen sahen?
Levy Shachar: Wir haben die drei Minuten langen Aufnahmen Anfang April von den israelischen Streitkräften bekommen. Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob ich sie überhaupt sehen will. Eine der anderen Mütter, die das Video schon gesehen hatte, hat sich dann mit mir zusammengesetzt und wir haben uns die Aufnahmen gemeinsam angesehen.
Naamas Mutter Ayelet über das erste Mal, als sie das Video sah:
Wie ging es Ihnen dabei?
Es war wichtig für mich, das zu sehen. Die Mädchen sind mitten in einem Terrorangriff, aber sie sind stark. Ich habe zu mir gesagt „Das ist meine Naama!“ Sie war so nah, so real. Blutverschmiert und verletzt, aber sie hat geredet, es war sie. Ich habe sie schon so lange nicht mehr reden gehört. Und ich war stolz auf sie, auf ihre Kraft. Gleichzeitig habe ich die Männer gehasst, die rund um sie standen. Es war sehr schwierig, anzusehen. Aber ich habe auch Kraft daraus schöpfen können.
Was für eine Persönlichkeit hat denn ihre Tochter? Ist sie still und zurückhaltend, ist sie sehr robust, wie würden Sie sie beschreiben?
Meine Naama ist still. Eher introvertiert. Aber auch sehr hartnäckig. Sie hat sich sehr auf ihren Sport im Gymnasium konzentirert, war sehr pünktlich. Aber nie jemand, der im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen wollte.
Erinnern Sie sich an das letzte Mal, an dem sie mit ihr gesprochen haben?
Das war am Abend vor den Anschlägen, ein Freitag. Sie ist erst einen Tag davor am Stützpunkt Nahal Oz angekommen, aus dem sie entführt wurde. Sie hatte gerade einmal ein Bett dort bezogen. Ich wollte sie am Tag danach besuchen kommen. Am Telefon hat sie nicht lange reden können, sie hat mich nur gebeten, ein paar T-Shirts und vor allem Essen zu bringen (lacht). Am nächsten Tag, kurz vor sieben Uhr Früh, haben wir nocheinmal geschrieben.
Was stand in den Nachrichten?
Ich habe sie gefragt was los ist, weil auch bei uns etwa eine Stunde entfernt die Sirenen losgingen. Sie hat nur zurückgeschrieben, dass sie und die anderen in einem Bunker sitzen. Und seitdem habe ich nie wieder etwas von meiner Tochter gehört.
Hat sie die anderen Mädchen gekannt, mit denen sie zusammen war?
Sie hat sie ein paar Wochen zuvor zu Beginn ihres Militärdienstes kennengelernt, mit einer Kameradin hat sie sich gleich sehr gut angefreundet. Eine aus der Gruppe ist sofort neben ihnen umgebracht worden.
Als Sie zum letzten Mal mit Ihrer Tochter geschrieben haben, hatten Sie da ein Gefühl der Angst? Haben Sie gespürt, dass da etwas sehr ernstes passiert?
Nein, zu dem Zeitpunkt noch gar nicht. Niemand wusste um sieben in der Früh, was gerade passiert. Ich habe dann Monopoly mit meinen Söhnen gespielt, erst gegen halb elf habe ich einen Anruf von Naamas Vater bekommen. Er hat in einer Telegram-Gruppe bereits das erste Video von Naama bekommen, in dem zu sehen ist, wie sie aus dem Auto der Hamas-Entführern gezogen wird. Das war der Moment, in dem sich meine Welt komplett umgedreht hat. Seitdem ist alles anders.
Naamas Mutter erinnert sich an den 7. Oktober:
Wie hat sich dadurch Ihr Leben verändert?
Die ersten Wochen war ich unter Schock. Ich habe nicht viel gemacht, es sind ständig Personen vorbeigekommen. Nach einiger Zeit habe ich wieder zu Arbeiten begonnen, ich bin praktische Ärztin und dachte: ich werde gebraucht. Außerdem wollte ich irgendetwas machen, ich war völlig rastlos. Ich arbeite jetz dreimal die Woche, ein paar andere Sachen habe ich stillgelegt. Alles hat sich verändert, ich lebe jetzt mit diesem chronischen Schmerz.
Wissen Sie irgendetwas über die Kidnapper Ihrer Tochter? Wer sie sind, ob sie noch am Leben sind oder ähnliches?
Nein.
Wüssten Sie es gerne?
Ich weiß es nicht. In dem ersten Video gibt es einen Terroristen, dieses fürchterliche Monster, das meine Tochter hält und in die Luft schießt. Ich wüsste gerne, ob sie ihn erwischt haben. Wahrscheinlich sind einige der Terroristen tot sind. Die Videos von meiner Tochter sind von Kameras am Körper von Hamas-Angreifern. Ich nehme an, dass die Armee sie erwischt hat und so zu dem Material gekommen ist.
Worauf hoffen Sie jetzt? Auf einen Befreiungsmission der Armee? Oder auf Verhandlungen?
Ich will meine Tochter zurück. Und ich hoffe auf Verhandlungen, denn eine Geiselbefreiungsmission wäre viel zu riskant. Das ist ein Terroranschlag, der immer noch anhält, bis jetzt. Ich fürchte, Israel muss mit diesen Verbrechern verhandeln.
Naamas Mutter über die Entscheidung, das Video zu veröffentlichen:
War die Entscheidung schwer, das neue Video von Ihrer Tochter zu veröffentlichen?
Wir Eltern haben das Video von der Armee gezeigt bekommen, weil wir das Recht darauf hatten. Veröffentlichen wollten wir es zunächst nicht, weil unsere Mädchen in sehr harten und erniedrigenden Momenten gezeigt werden. Aber irgendwann waren wir frustriert, dass nicht verhandelt wird, und wir wollten die Regierung und die Öffentlichkeit daran erinnern, dass unsere Mädchen immer noch als Geiseln gehalten werden. Man soll ihre Gesichter sehen, ihre Augen. Das sind junge Mädchen, gekidnappt in ihren Pyjamas, völlig hilflos, die alles tun, um einfach am Leben zu bleiben. Und das sollte die Welt sehen.
Haben Sie in Gedanken schon die Rückkehr Ihrer Tochter geplant? Was Sie zu ihr sagen, was sie als erstes mit ihr machen?
Daran denke ich die ganze Zeit. Ich plane schon die ganze Zeit, ich spreche mit ihr ständig in Gedanken. Ich versuche mir vorzustellen, was sie gerne hätte. Sie hat so viel durchlebt, vielleicht hat sie sich auch verändert. Ich weiß nichteinmal, was ich erwarten darf, wenn sie zurückkehrt. Ich kenne meine Naama, sie würde wohl ihren Platz brauchen. Ihre Privatsphäre, und ihre Mama und ihren Papa, um das alles zu verarbeiten. Mein Plan ist, einfach auf sie zu hören, was sie braucht, und von einem Tag in den anderen zu leben. Manchmal will ich einfach nur mit ihr im Auto sitzen und singen, wie wir es immer gemacht haben. Oder wieder ans Meer fahren und die Wellen beobachten. Ihr etwas zu Essen kochen, all diese normalen Sachen, die wir tagtäglich gemeinsam gemacht haben. Und dann habe ich aber auch große Pläne, ich will mit ihr die ganze Welt sehen, viel reisen.
Wohin denn?
Wir waren mit ihr sogar einmal in Österreich, in Salzburg und in Wien. In Salzburg haben wir diese ganze „Sound of Music“-Sache gemacht. Ich habe mir erst neulich die Fotos von damals angesehen, es war alles so perfekt. Ich will, dass es wieder so perfekt ist.
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