Einst ein kleines Bethaus vor den Stadttoren, ist die Grazer Heilandskirche am Kaiser-Josef-Platz heute die Heimat der größten evangelischen Gemeinde von Österreich. Nun feiert man 200 Jahre bewegte Geschichte (nach), die nicht nur positive Kapitel beinhaltet – und immer wieder für Gesprächsstoff sorgte.
Wenn Pfarrer Matthias Weigold von den Gründungsjahren der Heilandskirche erzählt, kann man ein fasziniertes Schmunzeln nicht zurückhalten: „Sie war zuerst eine Filiale von Wald im Schoberpaß – das war die nächstgelegene evangelische Gemeinde. Der Pfarrer kam im Winter mit einem Schlitten.“ Damals eine wahre Weltreise! „Das lag daran, dass es bis 1781 verboten war, evangelisch zu sein. In der Stadt war es kaum möglich, den Glauben geheim auszuüben – am Land allerdings schon, deswegen waren die Gemeinden dort größer“, erklärt Weigold.
So vergingen in der steirischen Hauptstadt rund 40 Jahren zwischen dem sogenannten Toleranzpatent Kaiser Josefs II. – nach dem heute der Kaiser-Josef-Platz benannt ist – und der Gründung der Gemeinde 1821. „Die Gemeindemitglieder kauften damals den Grund und finanzierten ein Bethaus. Es musste wie ein Wohnhaus aussehen – Turm, Glocken und Co. waren den Katholiken vorbehalten.“ Deswegen steht der Turm auch heute noch neben, und nicht auf der Kirche: Er kam erst im Jahr 1853 dazu.
Wir sind heute die zahlenmäßig größte evangelische Pfarrgemeinde in Österreich mit 5500 Mitgliedern.
Pfarrer Matthias Weigold
Bild: Paul Stajan
Langsam wuchs die evangelische Gemeinde, auch dank finanzieller Unterstützung von privaten Familien. „Die Familie Reininghaus zum Beispiel war wohlhabend und sehr aktiv. Andere haben die Schule finanziert und den Lehrer fünfzig Jahre lang aus der eigenen Tasche bezahlt.“ Die meisten Evangelischen waren Zugezogene. Im 20. Jahrhundert reichte das Einzugsgebiet der Pfarre bis nach Triest.
Der Nationalsozialismus wurde zum dunkelsten Kapitel der Kirche. Vier konvertierte Juden kamen ums Leben. Ihnen ist in der Heilandskirche heute ein Mahnmal gewidmet.
Viele Blicke zog die Kirche mit einer Plakatkampagne 2021 auf sich: Darauf zu sehen waren ein Pfarrer, der seine Frau küsst, und eine schwangere Pfarrerin. „Dafür steht die Heilandskirche“, denkt Weigold zurück. Was von vielen als Provokation verstanden wurde, sah Weigold „als selbstverständlich“.
„Weniger Geld und weniger Leute“
All die Offenheit und Progressivität bewahrt der Pfarrgemeinde nicht vor dem Problem, vor dem viele Glaubensgemeinschaften stehen: „Wir werden weniger. Wie wir Kirche sein können mit weniger Leuten und weniger Geld, das beschäftigt uns.“ Man setzt vermehrt auf Pop-up-Aktionen im öffentlichen Raum.
Und auch die Feierlichkeiten zum (damals von Corona vereitelten) 200-Jahre-Jubiläum sollen die Gemeinde wieder stärken. Sie beginnen am morgigen Fronleichnamstag um 10 Uhr mit einem Gottesdienst.
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