„Gute Nachrichten“

Mit „Drecksackerl“ und „Mistzangerl“ in die Berge

Ombudsfrau
01.06.2024 06:00

Gegen die Müllberge in den Alpen kämpft der Verein #estutnichtweh an. Mit einfachen Hilfsmitteln kann jeder zum Naturschutz beitragen.

Österreich ist EU-weiter Spitzenreiter beim pro Einwohner anfallenden Abfall. Durchschnittlich 835 kg Müll hat jeder hierzulande im Jahr 2021 verursacht, wie Eurostat-Daten zeigen. Dass nicht alles ordnungsgemäß entsorgt, sondern mitunter achtlos weggeworfen wird, ist der Grund, warum es Vereine wie #estutnichtweh gibt.

„Weil es nicht wehtut“
„Unsere Aufgabe sehen wir primär darin, die österreichische Bergwelt, bis in die Täler, vom Müll zu befreien“, sagt Renate Steinacher. Die 44-jährige Salzburgerin hat vor sechs Jahren mit #estutnichtweh, genau einen solchen Verein gegründet. „Als Eigentümerin einer Bergschule für Alpenüberquerungen, habe ich immer schon Müll aufgesammelt“, erklärt die gebürtige Aniferin.

Vor sechs Jahren fragte sie ein Teilnehmer während einer Tour, warum sie den Müll aufhebe. Steinachers Antwort war: „Weil es mir nicht wehtut“. Jedoch wollte sie „mehr für die Berge tun, von denen wir alle profitieren“ und hat daher im Dezember 2018 mit einigen Mitstreitern einen Verein gegründet. Als es darum ging, einen Namen zu finden, fiel ihr diese Begebenheit ein.

Wasserpfeife und Müllverteilung
Mittlerweile ziehen knapp 500 Mitglieder, ausgerüstet mit Sackerln, Zangen und Metalldosen für Zigarettenstummel, durch die heimischen Berge. Dabei sind ihnen auch Kuriositäten untergekommen.

„Drecksackerl“ und „Mistzangerl“ (Bild: #estutnichtweh)
„Drecksackerl“ und „Mistzangerl“

Einmal haben wir eine Wasserpfeife im Wald gefunden. Befreundete Taucher haben bei einer Reinigungsaktion im Wolfgangsee ein Gebiss entdeckt, zum Glück ohne den Besitzer, sagt Steinacher lachend.

Die Leute würden alles, was es gibt, wegschmeißen, erklärt die 44-jährige Salzburgerin und teilt ihre Beobachtungen mit: „Dorthin, wo man mit dem Auto oder der Gondel gelangt, liegt generell mehr Müll. Wo man sportlicher sein muss, weil man nur zu Fuß hinkommt, liegen aber mehr Zigarettenstummel.“ Von denen allein hat die #estutnichtweh-Gründerin schon mehrere tausend Stück gesammelt.

„Gift aus dem Wasserhahn“
Diese seien auch das größte Problem, veranschaulicht Steinacher mit folgendem Beispiel: „Wenn die Leute mit der Gondel auf den Salzburger Untersberg fahren, oben rauchen, die Zigarettenstummel in die Büsche schmeißen und danach eine Bio-Minze pflücken, frage ich mich, wie viel Bio, dass dann noch ist. Die Giftstoffe sickern in den Boden und gelangen in die Grundwasserversorgung von Salzburg. Die Leute bekommen das verdünnte Gift dann aus dem Wasserhahn.“ Daher appelliert Steinacher, die „Tschick“ nicht in die Natur zu schmeißen. „Eigentlich sollten sie in den Sondermüll, das empfehlen auch mehrere Studien.“

Von Schülern bis Skispringern
Neben organisierten Aufräumaktionen, genannt Clean-ups, bei denen unter anderem auch schon das österreichische Skisprung-Team um Stefan Kraft mit dabei war, legt der Verein viel Wert auf die Zusammenarbeit mit Schulen. „Neben gemeinsamen Aufräumaktionen, veranstalten wir Aufklärungsworkshops als eine Art Prävention. Damit die Kinder von heute nicht mit 15, 16 Jahren beginnen, Zigaretten achtlos wegzuschmeißen“, sagt Steinacher.

Schüler und Schülerinnen der NMS Golling haben auch fleißig beim Saubermachen geholfen. (Bild: Wandelklima)
Schüler und Schülerinnen der NMS Golling haben auch fleißig beim Saubermachen geholfen.

Alle Erstklässler der Volksschule Anif werden seit fünf Jahren mit „Drecksackerln“ ausgestattet, um auf dem Schulweg Müll zu sammeln. Insgesamt seien bereits 4.000 bis 5.000 „Drecksackerln“ ausgegeben worden, auch durch Kooperationen mit Hotels und Tourismus-Verbänden. Vereinsmitglieder von #estutnichtweh gibt es in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Italien, aber auch in den USA oder in Russland.

Müllsammel-Sucht
Auf diesen Erfolgen ruht sich die 44-Jährige nicht aus. Denn ihrer Vereinsarbeit geht sie ständig nach: „Das Müllsammeln ist immer präsent. Ich sehe in jeder Ecke was liegen und es fällt mir schwer, daran vorbeizugehen, auch wenn die Hände voll sind oder kein Platz mehr im Rucksack ist. Es ist ein bisschen zur Sucht geworden.“ Jedoch sei es auch manchmal frustrierend, zu sehen, was alles herumliegt, sagt Steinacher.

„Müll-Panorama“ vor der Braunschweiger Hütte (Bild: #estutnichtweh)
„Müll-Panorama“ vor der Braunschweiger Hütte

„Wenn wir bei unseren Alpenüberquerungen an der Braunschweiger Hütte in den Ötztaler Alpen vorbeikommen, liegen dort bei einem Bankerl mit Gletscher-Blick unter Steinen immer Bierflaschen. Das ist sehr traurig zu beobachten und paradox. Die vollen Dosen und Flaschen werden hinaufgetragen, aber die leeren nicht hinunter. Jeder sagt, dass er so etwas nicht macht. Aber wo kommt dann der Müll her“, fragt sich die #estutnichtweh-Gründerin.

„Hände voll Müll“
An sich sei es gut, in der Natur zu sein, aber es sei schlecht, den Müll dort liegenzulassen. Gerade die Pandemie hätte dazu beigetragen, dass viel mehr Leute, die sich nicht mit der Natur auseinandersetzen, in die Berge gehen würden, erklärt Renate Steinacher und ergänzt: „Wir haben die Erfahrung, dass man pro Wanderung ein bis zwei Hände voll Müll vom Berg herunterträgt.“

Die Arbeit wird dem Verein daher nicht so schnell ausgehen. Helfende Hände sind immer willkommen. Schulen, Betriebe oder Privatpersonen können sich jederzeit für Workshops und Cleanups melden.

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