Der deutliche Rückgang der Schwefeldioxid-Emissionen aus dem Schiffsverkehr könnte mit einer erheblichen Erwärmung der Atmosphäre über bestimmten Ozeanregionen zusammenhängen. Etwa 80 Prozent des ab 2020 beobachteten Anstiegs der auf der Erde gespeicherten Wärmeenergie könnten darauf zurückgehen, berichtet ein Forschungsteam im Fachjournal „Communications Earth & Environment“ über Ergebnisse einer Modellierungsstudie.
Demnach gingen im Zuge einer neuen Verordnung für sauberere Schiffskraftstoffe der Gehalt an atmosphärischen Sulfataerosolen und in der Folge die Wolkentröpfchendichte erheblich zurück. Das wiederum habe zu einer Verdunklung der Meereswolken geführt, die dadurch weniger Sonnenstrahlung ins All zurück reflektierten. Die stärkste Verringerung der Aerosolkonzentration wurde für den Nordatlantik, das Karibische Meer und das Südchinesische Meer berechnet – Regionen mit den am stärksten befahrenen Schifffahrtsrouten.
Skepsis gegen Ergebnisse der Studie
Unabhängige Forscher sehen die Studie skeptisch. Es sei ein sehr kurzer Zeitraum betrachtet worden. Zudem sei die Zunahme der menschengemachten Treibhausgase nach wie vor entscheidend für den Klimawandel insgesamt.
Das für große Schiffe verwendete Heizöl hat einen wesentlich höheren Schwefelgehalt als Kraftstoffe, die für andere Fahrzeuge verwendet werden. Bei der Verbrennung entsteht Schwefeldioxid, das mit Wasserdampf in der Atmosphäre reagiert und Sulfataerosole erzeugt. Diese kühlen die Erdoberfläche auf zweierlei Weise: indem sie das Sonnenlicht direkt in den Weltraum zurückwerfen und indem sie die Wolkenbedeckung beeinflussen.
Mit steigender Menge an Aerosolen steigt die Zahl sich bildender Wassertröpfchen, während sich ihre Größe verringert. In der Folge nimmt die Wolkenbedeckung zu und hellere Wolken entstehen, die mehr Sonnenlicht ins All zurückwerfen, wie die Forschenden erläutern.
Schwefelgehalt in Schiffskraftstoffen gesenkt
Im Jahr 2020 war eine neue Verordnung der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO2020) eingeführt worden, mit der der maximal zulässige Schwefelgehalt in Schiffskraftstoffen von 3,5 auf 0,5 Prozent gesenkt wurde, um die Luftverschmutzung zu verringern. In der Folge sei ein abrupter etwa 80-prozentiger Rückgang der Schwefeldioxid-Emissionen aus dem Schiffsverkehr beobachtet worden, heißt es in der Studie.
Das Team um Tianle Yuan von der University of Maryland in Baltimore schätzte darauf basierend den Energiehaushalt der Erde, also die Differenz zwischen der von der Sonne empfangenen und der von der Erde abgestrahlten Energie ab 2020. Demnach stellt IMO2020 einen „starken temporären Schock“ für die Netto-Wärmeaufnahme des Planeten dar. „Der Erwärmungseffekt stimmt mit der kürzlich beobachteten starken Erwärmung im Jahr 2023 überein und dürfte die 2020er-Jahre anomal warm werden lassen“, lautet das Fazit.
„Erheblicher Schub“ in globaler Erwärmung?
IMO2020 könnte der globalen Erwärmung demnach auch in den nächsten Jahren noch „einen erheblichen Schub“ geben. Der Modellierung zufolge könnte für das Jahrzehnt eine Erwärmungsrate von 0,24 Grad zu erwarten sein – mehr als doppelt so viel wie durchschnittlich seit 1880.
Nicht an der Studie beteiligte Experten sind allerdings skeptisch. „Da ist Vorsicht geboten“, sagte Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Wenn man einen Effekt für einen so kurzen Zeitraum betrachte, sei das generell fehleranfälliger als bei längeren Zeiträumen. Der Anteil an der seit 2020 gespeicherten Wärmeenergie könne auch weit unter 80 Prozent liegen. „Der Wert könnte in der Modellierung überschätzt sein.“ Für die beobachteten Rekordwerte im vergangenen Jahr könnten auch andere Faktoren entscheidend sein.
„In der Tat rätselt die Wissenschaft, wieso die letzten zwölf Monate im globalen Mittel so außerordentlich warm waren, weit außerhalb des üblichen“, sagte Niklas Höhne von der Universität Wageningen und dem Newclimate Institute in Berlin der dpa. Hauptverantwortlich sei klar der immer noch steigende Ausstoß von Treibhausgasen. „Aber ein zusätzlicher Effekt war bisher unerklärt.“
Neben Vulkanaktivitäten sei bereits die Reduktion von Schwefel in den Schiffsabgasen als eine Ursache vermutet worden. Dass die aktuelle Studie nun einen recht großen Zusammenhang zwischen Schwefelreduktion und Erwärmung zeige, sei vom Prinzip her nicht überraschend. Sulfataerosole wirkten stark – aber nur kurzfristig.
„Diese Art des Geoengineerings ist gefährlich“
Die Wissenschafter um Tianle Yuan schließen aus der Modellierung auch, dass die erhebliche Auswirkung der IMO2020 die potenzielle Wirksamkeit der Aufhellung von Meereswolken mittels Aerosolen als Strategie zur vorübergehenden Abkühlung des Klimas belegt. Sie betonen aber auch: „Sie (Geoengineering-Programme) sind keine Lösung für die durch Treibhausgase verursachte globale Erwärmung und haben neben der beabsichtigten kurzfristigen Abkühlung ungewisse und komplexe zusätzliche Folgen.“
Auch Levermann warnt: „Diese Art des Geoengineerings ist gefährlich.“ Sulfataerosole in die Stratosphäre ab etwa zwölf Kilometern Höhe einzubringen, sei zwar kühlend und zudem „vergleichsweise billig“, die Stratosphäre müsse damit aber ständig aufgefüllt werden. „Wenn sie damit die menschengemachte Erwärmung auf null dämpfen, dann sitzen Sie auf einem Pulverfass. Sie müssen dann nämlich für hunderte Jahre die Aeorosole in die Luft schießen, sobald Sie damit aufhören, schießt ihnen die Temperatur binnen weniger Jahre in die Höhe.“ Die Folgen dessen für das Leben auf der Erde seien gar nicht abschätzbar.
Die Maßnahme hätte nach Ansicht Levermanns auch direkte geopolitische Auswirkungen. „Das Land, das damit anfängt, würde für jedes Wetterextrem verantwortlich gemacht, das dann irgendwo auf der Welt passiert“, befürchtet der Klimawissenschafter. Das Problem ist sogar noch komplizierter, wenn die Sulfate oder Salze in die unteren Atmosphärenschichten, also dort, wo die Wolken sind, eingebracht werden. „Damit wird dann direkt das Wetter verändert. Eine unabschätzbare Gefahr.“
Ozeane gewaltiger Wärmepuffer
Die Ozeane sind ein gewaltiger Wärmepuffer und schlucken Experten zufolge mehr als 90 Prozent der Wärme, die der menschengemachte Klimawandel verursacht. Ein Liter Wasser kann demnach dreitausendmal mehr Wärme aufnehmen als ein Liter Luft.
Kürzlich hatte bereits ein anderes Forschungsteam den deutlichen Rückgang menschengemachter Aerosole mit dem starken Anstieg der Meeresoberflächentemperaturen im Nordpazifik in Verbindung gebracht. Der schwindende kühlende Effekts von Feinstaub-Aerosolen in China habe die atmosphärische Zirkulation in der Region verändert, berichtete eine Gruppe um Xiao-Tong Zheng von der Ocean University of China in Qingdao im Fachmagazin „PNAS“.
Weil menschengemachte Luftschadstoffe die Gesundheit beeinträchtigen, haben viele Regierungen Maßnahmen zur Eindämmung in Kraft gesetzt. Eine wichtige offene Frage sei die Abwägung zwischen den Vorteilen einer besseren Luftqualität und den potenziellen Kosten einer zusätzlichen Erwärmung, schreibt das Team um Tianle Yuan. Levermann hält von derlei Aussagen gar nichts. „Es kann nicht die Entscheidung sein: Machen wir Klimaschutz oder weniger Umweltverschmutzung“, betont er. „Dass der Klimawandel durch sauberere Luft zeitweise noch sichtbarer wird, darf nicht zu dem Schluss führen, dass die Luft wieder dreckiger werden muss.“
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