Mit der Erlaubnis für Kiew, US-Waffen auch gegen Ziele in Russland einzusetzen, hat die Biden-Regierung im Ukraine-Krieg einen bedeutenden Kurswechsel vollzogen. Am Freitag hat auch Deutschland nachgezogen. Der Einsatz westlicher Waffen bleibt zwar weiterhin stark eingeschränkt, die Lockerung durch Washington und Berlin kann für die Ukraine aber bei der Verteidigung der umkämpften Stadt Charkiw von großem Nutzen sein.
Im Stillen hat Washington das Verbot zum Einsatz von Waffen aus US-Produktion gegen Ziele in Russland gelockert. Um die ukrainische Großstadt Charkiw zu verteidigen, die derzeit massiv angegriffen wird, sind Gegenschläge auf russischem Territorium erlaubt, berichtete das Magazin „Politico“. Das ukrainische Militär solle in die Lage versetzt werden, gegen russische Streitkräfte vorzugehen, „die sie angreifen oder sich vorbereiten, sie anzugreifen“, wurde ein US-Regierungsvertreter zitiert.
Schläge auf Kommandoposten erlaubt
Die Ukraine darf Artillerie, Lenkbomben und -raketen aus US-Produktion verwenden, um militärische Ziele Russlands jenseits der Grenze in der Region Belgorod zu treffen. Zu den erlaubten Zielen zählen Kommandoposten, Waffendepots, Ansammlungen russischer Truppen sowie feindliche Artillerie und Raketen. Außerdem darf die Ukraine mit US-Waffen auch russische Bomber angreifen, die ihre tödliche Fracht auf ukrainisches Gebiet abwerfen wollen.
Weiterhin nicht erlaubt ist der Ukraine der Einsatz von Langstreckenwaffen wie ATACMS-Raketen. Auch zivile Infrastruktur in Russland bleibt tabu. Die Grenzregion Belgorod gilt als ein wichtiges Aufmarschgebiet für die russische Armee. Von dort aus werden auch immer wieder Raketenangriffe gestartet.
Kiew bestätigte am Freitag, dass die Vereinigten Staaten den begrenzten Einsatz ihrer Waffen auf russischem Territorium genehmigt haben. „Dies wird unsere Fähigkeit erheblich verbessern, russischen Versuchen, sich an der Grenze zu sammeln, entgegenzuwirken“, erklärte der Sprecher des ukrainischen Präsidenten, Serhii Nykyforov, gegenüber dem „Guardian“.
Russland muss Truppenbewegungen überdenken
Auch für den australischen Militärexperten Mick Ryan sind diese Lockerungen von großer Bedeutung. Die Ukraine könne so mit besseren Waffen gegen Flugzeuge vorgehen, die mit Raketen oder Gleitbomben angreifen wollen, schreibt er in seinem Blog auf Substack. Die russische Armee sei außerdem gezwungen, ihre Truppenbewegungen zu überdenken, wenn die Ukraine nun auch Positionen in Russland erreichen kann, so Ryan. Das gelte auch für Truppenkonzentrationen in anderen russischen Regionen. Denn US-Außenminister Antony Blinken hatte zuletzt betont, dass die Unterstützung für die Ukraine ständig an die Bedingungen am Schlachtfeld angepasst werde. Gut möglich, dass die USA ihre Einschränkungen in Zukunft weiter lockern.
Stoltenberg sieht kein Eskalationsrisiko
Der Kreml hatte zuletzt dem Westen mit Vergeltung gedroht, wenn er der Ukraine den Einsatz seiner Waffen gegen Ziele in Russland erlaube. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht aber trotzdem kein Eskalationsrisiko. „Russland hat selbst eskaliert, indem es ein anderes Land angegriffen hat“, sagte Stoltenberg am Freitag am Rande des NATO-Außenministertreffens in Prag. Das Gleiche gelte für die Angriffe auf die Region Charkiw.
Berlin erlaubt Einsatz deutscher Waffen
Nach dem US-Schwenk erhöhte Stoltenberg den Druck auf Deutschland und andere Länder, ebenfalls die Einsatzbeschränkungen ihrer Waffen zu lockern. Die Reaktion kam prompt: Auch die Regierung in Berlin unter Kanzler Olaf Scholz erlaubt der Ukraine jetzt, von Deutschland gelieferte Waffen auch gegen militärische Ziele in Russland einzusetzen, wie Sprecher Steffen Hebestreit am Freitag mitteilte.
„Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren“, erklärte er. Dafür dürfe sie auch die von Deutschland gelieferten Waffen einsetzen. Berlin hat unter anderem die Panzerhaubitze 2000 sowie das Mars-II-System an die Ukraine geliefert.
Wie wichtig eine effiziente Verteidigung von Charkiw ist, zeigte die vergangene Nacht: Die Stadt wurde erneut von Raketen getroffen, dabei wurden nach ukrainischen Angaben vier Menschen getötet und 25 verletzt. Aus Belgorod wurden S-300 und S-400-Raketen abgefeuert. Es wurden fünf Einschläge verzeichnet, alle im Nowobawarskij-Bezirk der Stadt, berichtet die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform.
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