100. Todestag

Franz Kafka: „Ich bin Ende oder Anfang“

Literatur
31.05.2024 14:48

Rund um seinen 100. Todestag am 3. Juni ist der Schriftsteller aktueller denn je – und hat es sogar zum TikTok-Star gebracht.

(Bild: kmm)

Bereits jahrelang hatte Franz Kafka unter Tuberkulose gelitten, doch 1923 verschlechtert sich sein Gesundheitszustand so dramatisch, dass er in einem Sanatorium in Kierling bei Klosterneuburg untergebracht wurde. Hier beendete er noch seine Erzählung „Der Hungerkünstler“. Ein „grausames Paradox“, so Kafka-Experte Reiner Stach in seiner Kafka-Biografie, „die Geschichte eines Menschen, der nicht mehr essen will, aufgezeichnet von einem Menschen, der nicht mehr essen kann“.

An Kafkas Totenbett wachten damals unermüdlich seine Lebensgefährtin Dora Diamant und sein Freund Robert Klopstock, ein angehender Arzt. „Als Klopstock sich vom Bett entfernte, um etwas an der Spritze zu reinigen, sagte Franz: ,Gehen Sie nicht fort.‘ Der Freund erwiderte: ,Ich gehe ja nicht fort.‘ Franz erwiderte mit tiefer Stimme: ,Aber ich gehe fort.‘“, notierte Max Brod über die letzten Momente.

Das letzte Foto von sich hat Franz Kafka Anfang Oktober 1923 in einem Automaten des Berliner Kaufhauses Wertheim gemacht. Da war er 40 Jahre alt. (Bild: ullstein bild / Ullstein Bild / picturedesk.com)
Das letzte Foto von sich hat Franz Kafka Anfang Oktober 1923 in einem Automaten des Berliner Kaufhauses Wertheim gemacht. Da war er 40 Jahre alt.

Franz Kafka stirbt am 3. Juni 1924 mit 40 Jahren. Und fast wäre er in Vergessenheit geraten. Dass er heute, hundert Jahre nach seinem Tod, gefeiert wird, wie kaum ein anderer Literat, ist eben diesem Freund Max Brod zu verdanken.

Ausnahmslos zu verbrennen und dies möglichst bald 
Die Romanfragmente „Der Prozess“, „Das Schloss“ und „Der Verschollene“ waren wie vieles andere zu Kafkas Lebzeiten unveröffentlicht geblieben. Nur „Das Urteil“ und „Die Verwandlung“ waren für den ewigen Zweifler Werke, die „Bestand haben“. „Dagegen ist alles, was sonst von mir vorliegt (…) ausnahmslos zu verbrennen und dies möglichst bald zu tun bitte ich Dich“, schrieb er auf seinem Sterbebett an Brod. Der widersetzte sich diesem letzten Willen, um Kafkas Werk zu bewahren.

Ein Werk, das bis heute berührt – weit über den deutschsprachigen Raum hinaus. Mit seinen kafkaesken Welten hat er eine Sprache gefunden, die universell verstanden wird. Dieses eindringliche Gefühl des Ausgeliefertseins, die Ohnmacht gegenüber höheren Mächten, der Schmerz der inneren Widersprüche – all das sind Emotionen, die ins Heute ebenso passen wie ins Damals. Sogar die Jugend hat Franz Kafka auf TikTok als literarischen Popstar entdeckt. In ihm meinen die nach Seelenpein und Tränen gierenden Booktoker einen Gleichgesinnten zu entdecken.

„Ich bin Ende oder Anfang“, schrieb Kafka einmal über sein Werk. Die Nachwelt hat diese Frage für ihn längst beantwortet . . .

Neue Bücher rund um den Todestag:

Die Kafka-Biographie in drei Bänden: Es ist DAS Standardwerk, wenn man in Kafkas Leben und Werk eintauchen will. Insgesamt 18 Jahre lang arbeitete Reiner Stach an diesem allumfassenden Panorama der Lebenszeit des Prager Schriftstellers. So tiefgehend wie mitreißend. „Selbst ein Roman“, urteilte der Schriftsteller Imre Kertész.

Kafka-Biographie in drei Bänden: Die frühen Jahre, Die Jahre der Entscheidungen, Die Jahre der Erkenntnis, erschienen im Suhrkamp Verlag, insgesamt 2048 Seiten (Bild: Suhrkamp Verlag)
Kafka-Biographie in drei Bänden: Die frühen Jahre, Die Jahre der Entscheidungen, Die Jahre der Erkenntnis, erschienen im Suhrkamp Verlag, insgesamt 2048 Seiten

Die ungeheure Welt in meinem Kopf: Ausgerechnet im Kopf eines Wiener Taxifahrers meldet sich Kafka höchstpersönlich wieder zu Wort. Und zwar, als die Tänzerin Eduardowa, eine Traumfigur aus dessen Tagebüchern, in seinen Wagen steigt. Eine wahrhaft kafkaeske Fahrt beginnt. Hans Platzgumers außergewöhnliche Hommage zum 100. Todestag.

Die ungeheure Welt in meinem Kopf von Hans Platzgumer, erschienen im Elster & Salis Verlag, 184 Seiten (Bild: Elster & Salis Verlag)
Die ungeheure Welt in meinem Kopf von Hans Platzgumer, erschienen im Elster & Salis Verlag, 184 Seiten

Herr Kafka und die verlorene Puppe: Eine hinreißende Kafka-Legende wird in diesem liebevoll illustrierten Bilderbuch für Kinder erzählt. Kurz vor seinem Tod begegnet Kafka in einem Park der kleinen Irma. Die ist traurig, weil sie ihre Puppe Supsi verloren hat. Zum Trost beginnt er, ihr Briefe von Supsis fiktiver Weltreise zu schreiben.

Herr Kafka und die verlorene Puppe, Larissa Theule, Sauerländer Verlag (ab 5 Jahren) (Bild: Sauerländer Verlag)
Herr Kafka und die verlorene Puppe, Larissa Theule, Sauerländer Verlag (ab 5 Jahren)

Komplett Kafka: Nachdem er Thomas Bernhard in einer Comic-Biografie würdigte, widmet sich Nicolas Mahler mit seinen ebenso liebenswerten wie klugen und humorvollen Zeichnungen (siehe oben) nun dem Leben von Franz Kafka. Begleitend gibt es den Zitateband „Kafka für Boshafte“. Die etwas leichtere Lektüre zur kafkaesken Einstimmung.

Komplett Kafka, Nocilas Mahler, erschienen im Suhrkamp Verlag,  127 Seiten (Bild: Suhrkamp Verlag)
Komplett Kafka, Nocilas Mahler, erschienen im Suhrkamp Verlag,  127 Seiten

Kafka in Zitaten:

Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins.
Tagebücher, 1913

Ich schreibe anders als ich rede, ich rede anders als ich denke, ich denke anders als ich denken soll und so geht es weiter bis ins tiefste Dunkel.
Brief an Ottilia Kafka, 10. 7. 1914

Die Demut gibt jedem, auch dem einsam Verzweifelnden, das stärkste Verhältnis zum Mitmenschen, und zwar sofort, allerdings nur bei völliger und dauernder Demut.
Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg

Prüfe dich an der Menschheit. Den Zweifelnden macht sie zweifeln, den Glaubenden glauben.
Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg

Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.
Der Prozess

Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt. – Nachmittag Schwimmschule.
Tagebücher, 2. August 1914

Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft.
Tagebücher, 18. 10. 1921

Liebe ist, daß Du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle.
Brief an Milena

Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man.
Heimkehr

 

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