Rund um seinen 100. Todestag am 3. Juni ist der Schriftsteller aktueller denn je – und hat es sogar zum TikTok-Star gebracht.
Bereits jahrelang hatte Franz Kafka unter Tuberkulose gelitten, doch 1923 verschlechtert sich sein Gesundheitszustand so dramatisch, dass er in einem Sanatorium in Kierling bei Klosterneuburg untergebracht wurde. Hier beendete er noch seine Erzählung „Der Hungerkünstler“. Ein „grausames Paradox“, so Kafka-Experte Reiner Stach in seiner Kafka-Biografie, „die Geschichte eines Menschen, der nicht mehr essen will, aufgezeichnet von einem Menschen, der nicht mehr essen kann“.
An Kafkas Totenbett wachten damals unermüdlich seine Lebensgefährtin Dora Diamant und sein Freund Robert Klopstock, ein angehender Arzt. „Als Klopstock sich vom Bett entfernte, um etwas an der Spritze zu reinigen, sagte Franz: ,Gehen Sie nicht fort.‘ Der Freund erwiderte: ,Ich gehe ja nicht fort.‘ Franz erwiderte mit tiefer Stimme: ,Aber ich gehe fort.‘“, notierte Max Brod über die letzten Momente.
Franz Kafka stirbt am 3. Juni 1924 mit 40 Jahren. Und fast wäre er in Vergessenheit geraten. Dass er heute, hundert Jahre nach seinem Tod, gefeiert wird, wie kaum ein anderer Literat, ist eben diesem Freund Max Brod zu verdanken.
Ausnahmslos zu verbrennen und dies möglichst bald
Die Romanfragmente „Der Prozess“, „Das Schloss“ und „Der Verschollene“ waren wie vieles andere zu Kafkas Lebzeiten unveröffentlicht geblieben. Nur „Das Urteil“ und „Die Verwandlung“ waren für den ewigen Zweifler Werke, die „Bestand haben“. „Dagegen ist alles, was sonst von mir vorliegt (…) ausnahmslos zu verbrennen und dies möglichst bald zu tun bitte ich Dich“, schrieb er auf seinem Sterbebett an Brod. Der widersetzte sich diesem letzten Willen, um Kafkas Werk zu bewahren.
Ein Werk, das bis heute berührt – weit über den deutschsprachigen Raum hinaus. Mit seinen kafkaesken Welten hat er eine Sprache gefunden, die universell verstanden wird. Dieses eindringliche Gefühl des Ausgeliefertseins, die Ohnmacht gegenüber höheren Mächten, der Schmerz der inneren Widersprüche – all das sind Emotionen, die ins Heute ebenso passen wie ins Damals. Sogar die Jugend hat Franz Kafka auf TikTok als literarischen Popstar entdeckt. In ihm meinen die nach Seelenpein und Tränen gierenden Booktoker einen Gleichgesinnten zu entdecken.
„Ich bin Ende oder Anfang“, schrieb Kafka einmal über sein Werk. Die Nachwelt hat diese Frage für ihn längst beantwortet . . .
Neue Bücher rund um den Todestag:
Die Kafka-Biographie in drei Bänden: Es ist DAS Standardwerk, wenn man in Kafkas Leben und Werk eintauchen will. Insgesamt 18 Jahre lang arbeitete Reiner Stach an diesem allumfassenden Panorama der Lebenszeit des Prager Schriftstellers. So tiefgehend wie mitreißend. „Selbst ein Roman“, urteilte der Schriftsteller Imre Kertész.
Die ungeheure Welt in meinem Kopf: Ausgerechnet im Kopf eines Wiener Taxifahrers meldet sich Kafka höchstpersönlich wieder zu Wort. Und zwar, als die Tänzerin Eduardowa, eine Traumfigur aus dessen Tagebüchern, in seinen Wagen steigt. Eine wahrhaft kafkaeske Fahrt beginnt. Hans Platzgumers außergewöhnliche Hommage zum 100. Todestag.
Herr Kafka und die verlorene Puppe: Eine hinreißende Kafka-Legende wird in diesem liebevoll illustrierten Bilderbuch für Kinder erzählt. Kurz vor seinem Tod begegnet Kafka in einem Park der kleinen Irma. Die ist traurig, weil sie ihre Puppe Supsi verloren hat. Zum Trost beginnt er, ihr Briefe von Supsis fiktiver Weltreise zu schreiben.
Komplett Kafka: Nachdem er Thomas Bernhard in einer Comic-Biografie würdigte, widmet sich Nicolas Mahler mit seinen ebenso liebenswerten wie klugen und humorvollen Zeichnungen (siehe oben) nun dem Leben von Franz Kafka. Begleitend gibt es den Zitateband „Kafka für Boshafte“. Die etwas leichtere Lektüre zur kafkaesken Einstimmung.
Kafka in Zitaten:
Was ich geleistet habe, ist nur ein Erfolg des Alleinseins.
Tagebücher, 1913
Ich schreibe anders als ich rede, ich rede anders als ich denke, ich denke anders als ich denken soll und so geht es weiter bis ins tiefste Dunkel.
Brief an Ottilia Kafka, 10. 7. 1914
Die Demut gibt jedem, auch dem einsam Verzweifelnden, das stärkste Verhältnis zum Mitmenschen, und zwar sofort, allerdings nur bei völliger und dauernder Demut.
Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg
Prüfe dich an der Menschheit. Den Zweifelnden macht sie zweifeln, den Glaubenden glauben.
Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg
Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht.
Der Prozess
Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt. – Nachmittag Schwimmschule.
Tagebücher, 2. August 1914
Es ist sehr gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft.
Tagebücher, 18. 10. 1921
Liebe ist, daß Du mir das Messer bist, mit dem ich in mir wühle.
Brief an Milena
Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man.
Heimkehr
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.