Im unlängst zu Ende gegangenen Monat Mai werden bekanntlich gleich mehrere christliche Feste gefeiert. Bei „Krone“-Kolumnist Robert Schneider weckte der rituelle Reigen die Erinnerung an eine humorige Episode aus seiner Kindheit.
Es ist wie in einem alten Schwarz-Weiß-Film. Anfang Mai banden die Frauen in unserem Dorf Blumensträuße und platzierten sie auf dem Seitenaltar, dem Altar der Frauenseite. Damals wurde noch klar zwischen Frauen und Männern unterschieden. Die Welt war binär. Wer nicht so dachte, konnte ja im Mittelgang stehen bleiben. Aber das tat niemand, soweit ich mich erinnern kann.
Ich erinnere mich viel mehr an den leidenschaftlich ausgefochtenen Wettbewerb, wer von den Nachbarsfrauen den schönsten und originellsten Wiesenstrauß unter das Marienbildnis stellte, um dann in hämischer Andacht zu versinken, wenn der abendliche Rosenkranz gebetet wurde.
Einmal gab es viel Gelächter, aber mehr noch Ärger im Dorf. Eine anonyme Person hatte ein großes Bouquet aus Brennnesseln mitten in die Blumenpracht gestellt. Das harrte nun für alle ersichtlich der Anbetung. Eine Frechheit sei das, tuschelten die Frauen untereinander, die Hl. Jungfrau Maria mit Brennnesseln zu vergleichen. Eine Gotteslästerung, wenn nicht noch schlimmer. Der Strauss müsse umgehend vom Altar verschwinden. Man sei nicht mehr in der Lage, sich auf die Rosenkranz-Gesetzchen zu konzentrieren. Man verzähle sich andauernd. Trotzdem hatte niemand den Mut, das Unkraut still heimlich zu entsorgen.
Von Maiandacht zu Maiandacht durfte man beobachten, wie der sonderbare Strauß auf dem Altar herumwanderte. Hatte ihn eine unbekannte, eine religiös sehr erschütterte Hand hinter die milchweißen Pfingstrosen gestellt, um den Schandfleck zu verdecken, prangte er kurz darauf wieder in der vordersten Reihe. So ging das den ganzen langen Mai. Nach der letzten Andacht flog die ganze Pracht auf den Komposthaufen hinter der Kirche. Die Brennnessel lagen ganz oben.
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