Erst missbrauchten Rechtsextreme seinen Hit, jetzt boykottieren Radiosender und sogar die UEFA Gigi D’Agostinos Lovesong „L’amour toujours“. Im Interview mit Conny Bischofberger und Michael Pichler spricht der Weltstar über Neonazis, Moralapostel und seinen Appell an Verantwortliche und Fans.
Weil Partygäste auf der Nordseeinsel Sylt und in Kärnten rassistische Parolen zu seinem Lied grölten, ist der italienische DJ Gigi D’Agostino (55) weltweit in die Schlagzeilen geraten. Dabei dürfte sein Hit aus den frühen 2000er Jahren schon länger die Hymne der Rechtsextremen-Szene sein. Nur gab es diesmal ein Video, das viral ging und junge Leute zeigt, die den Text des Hits durch „Deutschland den Deutschen. Ausländer raus!“ ersetzten.
Natürlich ist der Künstler, der nun mit Neonazis in Verbindung gebracht wird und gleichzeitig von der „Cancel Culture“ geahndet wird, der Wunsch-Gesprächspartner Nummer eins für das große „Krone“-Sonntagsinterview. Auf ein E-Mail am Mittwochmittag antwortet Gigi D’Agostino nicht einmal eine Stunde später, und zwar höchstpersönlich: „Ich bin gerne zu einem telefonischen Interview bereit!“ Skype oder Zoom, so lässt er uns später wissen, mag er nicht, „ich bin ein schüchterner Mensch.“ Und er will in seiner Muttersprache Italienisch sagen, was er zu sagen hat, auch weil es um ein heikles Thema geht.
Am Samstagmittag meldet er sich, auf die Minute pünktlich, aus seinem Studio in Lugano, wo er gerade neue Tracks aufnimmt. 44 Minuten lang beantwortet er alle unsere Fragen. Mein Kollege Michael Pichler, Südtiroler, führt das Gespräch.
„Krone“: Signore D‘Agostino, nach dem Rassismus-Eklat auf Sylt hat nun sogar die UEFA „L‘ amour toujours“ während der Europameisterschaft verboten. Mehrere Radiosender haben es aus dem Programm genommen. Was passiert da gerade?
Gigi D’Agostino: È vero? Ist das wirklich wahr? Einen Song einfach zu verbieten, das ist wie eine Rückkehr ins Mittelalter. Dabei ist es doch ganz klar. Rassismus lässt sich nicht stoppen, indem man Musik verbietet. Wenn jemand ein Lied missbraucht, um rassistische Botschaften zu verbreiten, dann macht er das auch beim nächsten und beim übernächsten Lied. Diese ganze Angelegenheit ist grotesk.
Warum gerade Ihr Lied?
Gute Frage. Denn mein Lied handelt von der universellen Liebe und von Menschen, die sich in den Armen liegen und sich vereint fühlen. Ein kompletter Widerspruch zu dem, was da gerade passiert: Die UEFA hat mein Lied verboten? DAS ist eine rassistische Botschaft. DIESE Entscheidung ist rassistisch. Ich bin immer noch schockiert, ich kann es nicht glauben. Diese Entscheidung der UEFA ist eine explizite Absage an die Liebe.
Rassismus lässt sich nicht stoppen, indem man Musik verbietet. Wenn jemand ein Lied missbraucht, dann macht er das auch beim nächsten und beim übernächsten Lied.
Gigi D‘Agostino findet die ganze Angelegenheit grotesk
Auch auf dem Münchner Oktoberfest werden sie den Song nicht spielen.
Das gibt es ja nicht! Das Oktoberfest ist ein riesiges Fest seit Jahrzehnten. Wie kann es sein, dass sie sich dort gegen ein Liebeslied auflehnen? Mir fehlen die Worte. Rassistische Gefühle sind ein Horror, weil sie mit Hass zu tun haben. Ich stelle mir ernsthaft die Frage, warum sie nicht das eigentliche Problem aufhalten wollen. Ich würde diesen Leuten raten, sich um jenen Rassismus zu kümmern, der überall verbreitet wird. Wenn die Behörden nicht bald einschreiten, vor allem in den sozialen Netzwerken, wo diese Botschaften ungehindert kursieren, dann sind unsere Kinder die nächsten, die von diesem Social Media-Rassismus vergiftet werden.
Wie kann man sich dagegen wehren?
Rassismus lebt durch die Verbreitung. Wenn die sozialen Medien Macht und Kontrolle haben, etwas zu löschen, es aber auch online weiter zu verbreiten, und wir wissen, dass es so ist, dann ist das deren riesige Verantwortung. Wenn es online bleibt, dann ist es klar, dass es kein Einschreiten gibt. Und in meinem Fall scheint es klar zu sein: Es gab kein Einschreiten, um diese rassistischen Botschaften zu blockieren. Wenn Rassismus gegen das Gesetz ist, wie kann es sein, dass niemand eingreift? Warum wird dieses Thema weitergetrieben, ohne Interventionen von Behörden und Politik? Ich habe die Macht nicht, das zu veranlassen, sonst würde ich etwas tun. Aber ich habe sie nicht.
Was ist für Sie schlimmer: die Cancel Culture oder die Rassisten?
Natürlich sind jene Personen, die rassistische Gefühle haben, schlimmer. Es macht mich sehr traurig, dass es 2024 noch Menschen gibt, die nicht die gleichen Rechte für alle wollen. Das ist grauenhaft. Darüber müssen wir reden.
Was möchten Sie genau diesen Leuten sagen, die Ihren Liedtext umgeschrieben haben und für die Verbreitung rechter Propaganda nutzen?
Ich weiß nicht einmal, wie das entstanden ist und welches Problem diese Leute eigentlich haben. Journalisten haben mich darauf aufmerksam gemacht.
Sie haben das Video gar nicht gesehen?
Nein, ich war die ganze Zeit im Studio. Aber zu Ihrer Frage: Mein Lied kann niemand umschreiben. Und keiner verbietet mir mein Lied. Und noch einmal: Das Lied handelt von Liebe. Niemand hat die Macht, Hass zu säen, wo die Liebe wächst. Wenn jemand mit seinen Freunden solche Sätze singen will, dann kann er das leider machen. Es gibt bei uns die Redefreiheit. Aber wenn sie damit andere Menschen verletzen, dann geht das nicht. Die Freiheit ist eine Sache von Respekt, nicht von Hass. Wenn ein paar Leute so viel Aufmerksamkeit in den sozialen Medien bekommen, dann wissen wir, dass sie es wieder und wieder tun werden. Denn das, was hier gerade passiert, ist genau das, was sie offenbar wollten.
Soziale Medien verstärken Ängste, erzeugen schädliche Gefühle und viel bösartige Information. Ich meide sie, weil ich mental gesund bleiben möchte – aus Respekt vor meiner Zeit und vor dem Leben.
Der Künstler nutzt auch selten sein Smartphone
Haben Politik, Hass und Kriege der Musik die Leichtigkeit genommen? Oder ist sie gerade deshalb notwendig?
Nichts, aber wirklich nichts, hat die Macht, der Musik ihr Großartigkeit zu nehmen, das ist unmöglich. Der Krieg Menschen höchstens temporär die Musik wegnehmen, aber er wird niemals der Musik etwas wegnehmen können. Dasselbe gilt für den Hass. Niemand schafft es, der Musik die Leichtigkeit zu nehmen. Musik ist unantastbar. Die Politik könnte aber mehr unternehmen, damit alle Menschen Musik hören und nützen können. Musik hat auch therapeutische Kräfte. In meinem Fall kann die Politik Verantwortung übernehmen, um die Verbreitung dieser Botschaften in den sozialen Medien zu unterbinden.
„L‘amour toujours“ hat aufgrund des Skandals die Spitze der Charts gestürmt. Hätten Sie das jemals gedacht?
(lacht) Was für eine schöne Frage, die Sie mir da stellen. Wenn soziale Medien und danach die Presse ständig ein Lied verbreiten, dann wächst natürlich das Interesse. Wenn da nicht diese grauenhafte Rassismus-Komponente wäre. Diese Personen zielen aber in die falsche Richtung. Je mehr sie darauf zielen, desto mehr Neugier gibt es eben.
Sie haben den Song vor 25 Jahren veröffentlicht, wissen Sie noch, wie und aus welcher Stimmung heraus er entstanden ist?
Das Lied ist aus meinen stärksten innerlichen Gefühlen entstanden. Mit dem Song beschreibe ich die Liebe, dieses einzigartige, universelle, großartige Gefühl, das die Menschen verbindet. Das Leben, das Tanzen, die Musik. Das Umarmen, die Familie, meine Partnerin. Lachen, Weinen, die Schönheit. Ich könnte tagelang weitererzählen. Ich habe versucht, all dies mit einem Song zu beschreiben. Der Song heißt ja übersetzt auch: die Liebe, immer.
Sie sind seit Jahrzehnten ein Superstar, aber Sie meiden die sozialen Medien, wie Sie selbst sagten, als Sie 2021 schwer erkrankt sind. Warum eigentlich?
Das war schon zuvor so. (denkt nach) Ich versuche schon seit jeher, meinen Geist und meine Gedanken davor zu schützen. Ich nutze kaum Smartphones, ich will davon nicht abhängig sein. Wenn ich starke Gefühle will, dann versuche ich diese mit meiner Musik zu erzeugen und suche sie nicht in den sozialen Medien. Diese Plattformen verstärken Ängste, erzeugen schädliche Gefühlen und viel bösartige Information. Ich nutze sie nur, wenn ich meine Konzerte und neue Tracks ankündigen möchte, oder mich bei jemandem bedanken will. Ich lese aber nichts, das über mich geschrieben wird. Ich möchte mental gesund bleiben, aus Respekt vor meiner Zeit und vor dem Leben.
Wie geht es Ihnen heute und was hat sich in Ihrem Leben verändert?
Heute geht es mir wieder gut, zum Glück. Ich habe ein heftiges Trauma erlebt. Der Schmerz bringt dich auf einen anderen Planeten. Seither verschwende ich keine Zeit mehr, ich lebe nicht mehr Vollgas. Das hier ist mein zweites Leben, und ich will es besser leben als mein erstes.
Der Schmerz bringt dich auf einen anderen Planeten. Seither verschwende ich keine Zeit mehr, ich lebe nicht mehr Vollgas. Das hier ist mein zweites Leben, und ich will es besser leben als mein erstes.
2021 erkrankte Gigi D‘Agostino schwer
Dürfen wir Sie auch fragen, welche Art von Krankheit es war?
Wenn es möglich ist, möchte ich nicht darüber sprechen. Ich bitte um Verständnis.
Sie kommen ab Oktober 2024 wieder nach Österreich. Was möchten Sie Ihren österreichischen Fans sagen?
Als die Termine in Österreich fixiert waren, war ich überwältigt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so ein Erfolg wird. Ich möchte mich am liebsten bei jedem einzelnen bedanken, der zu meiner Show kommt. Die Liebe, die ich vom österreichischen Publikum seit Beginn im Jahr 2000 spüre, ist magisch. Es ist einfach wunderbar.
Geboren als Luigino Celestino Di Agostino am 17. Dezember 1967 in Turin. Zunächst arbeitet er als Steinmetz, Mechaniker und Installateur. Zeitgleich organisiert er Partys in verschiedenen Clubs und macht sich bald einen Namen als DJ, Remixer und Musikproduzent. Er gilt als Erfinder des Lento-Violento-Stiles und als bedeutendster Interpret der Italo-Dance-Szene. International bekannt wird er durch Lieder wie „In my mind“, „Bla Bla Bla“, „The Riddle“, „La Passion“ und „L‘amour toujours“.
Letzteres wurde auf der Nordseeinsel Sylt und in Kärnten für rassistische Gesänge missbraucht. „In my mind“ wurde auf Spotify 1,5 Milliarden Mal heruntergeladen, „L’amour toujours“ mehr als 450 Millionen Mal, mit 12,4 Millionen Hörern.
Im Januar 2022 wurde bekannt, dass D’Agostino unter einer schweren Krankheit leidet. Nach einer knapp zweijährigen gesundheitsbedingten Pause wird er im Herbst erstmals wieder live auftreten. Die Konzerte in Graz (Oktober) und Klagenfurt (Dezember) sind ausverkauft, für Dornbirn (März 2025) gibt es noch Restkarten.
Werden Sie L‘amour toujours in Graz und Klagenfurt spielen?
Certo! Und ich werde das Lied auch in Deutschland spielen. Sollen sie sagen, was sie wollen. Jeder, der das Lied hört, kann bestätigen, dass es um die Liebe, und nur um die Liebe geht.
Auch wenn es bei den Konzerten verboten werden sollte?
Allora. Sie können es natürlich verbieten, weil sie ja machen können, was sie wollen, offensichtlich. Aber sie können nicht behaupten, dass es kein Liebeslied ist. Das wäre falsch.
Und gesetzt den Fall, im Publikum kommt dieses Gegröle auf?
Weder ich noch Sie noch irgendwer können eine Person daran hindern, dies zu tun. Wir haben nicht die Autorität dazu. Ich hoffe, ein Polizist oder ein Vertreter der Behörden kann das machen. Wenn ich ein Konzert gebe, spiele ich mein Lied. Und wenn das passiert, werde ich es noch lauter spielen. Am Ende wird die Liebe stärker sein als der Hass.
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