„Krone“-Interview

Wanda: „Wollen so lange laufen, bis wir sterben“

Musik
06.06.2024 09:00

Der Weg zum neuen Album „Ende nie“ war für die Austropop-Helden Wanda der bislang beschwerlichste. Aus persönlichen Rückschlägen und Krisen erwuchs in der Band aber eine Resilienz und Zusammengehörigkeit, die ihresgleichen sucht. Im großen „Krone“-Talk gibt Frontmann Marco Wanda Einblick in seine Gefühlswelten, erzählt vom veränderten Tourverhalten, Bob Dylan in der Austro-Musik und seinem Zugang zur Esoterik.

(Bild: kmm)

„Krone“: Marco, euer Gitarrist Manuel Poppe hat das neue Album „Ende nie“ als eine Art Debüt für Wanda bezeichnet. Liegt das neben den tragischen Todesfällen von Keyboarder und Freund Christian Hummer und deinem Vater auch daran, dass ihr musikalisch so viel experimentiert und euch verändert habt wie noch nie zuvor?
Marco Wanda:
 Es fühlt sich in der Machart wirklich wie ein Debüt an. Es war das allererste Mal, dass wir nur zu dritt Musik gemacht haben und jeder, der das Album bislang gehört hat, findet es gut. Das ist schon mal nicht schlecht. (lacht)

Schwere und Emotionalität der ersten Single „Bei niemand anders“ sind auf Langstrecke am Album ein bisschen weggebrochen.
Die Songs sind in einem Zeitraum von etwa einem Jahr entstanden. Insofern hat die Platte natürlich ein Kaleidoskop an Emotionen zu bieten, denn kein Mensch bleibt ein Jahr lang in derselben Gemütsstimmung. Es kann sich sehr viel verändern. Für mich taumelt das Album zwischen Trauer und Euphorie, es stehen viele Gefühle nebeneinander. Nicht so wie bei „Nevermind“ von Nirvana, wo alles aus einem psychischen Guss entstanden ist und man merkt, dass ein bestimmtes Gefühl den Vibe dominiert. Bei uns war das aber nie so, alle unsere Platten haben Fenster zu verschiedensten Emotionen.

Wobei auf der „Nevermind“ zwischen Songs wie „Territorial Pissings“ oder „Something In The Way“ gewaltige Unterschiede herrschen.
Ursprünglich wurde das Album aber durchgehend mit verzerrten Gitarren aufgenommen. Im Internet gibt es auch eine elektrische Version von „Something In The Way“, die ist ein Wahnsinn. Die akustische Version, die wir am Album hören, zieht nur runter.

Habt ihr während des einjährigen Entstehungsprozesses des Albums früh gemerkt, dass ihr euch als Band stark weiterentwickelt?
Mir ist vor jeder Platte klar, dass sie anders klingen wird. Das Leben bewegt sich weiter, die Zeit vergeht und man entwickelt sich. Jedes Album ist ein weißes Blatt und man kann nicht wirklich steuern, wo es von dort aus hingeht. Diese Ungewissheit hat sich durch die erstmalige Arbeit mit Zebo Adam als Produzent gesteigert. Wir hatten keine klare Vision, wie sie klingen soll. Uns war nur klar, dass wir sie reduziert und clever aufnehmen wollen und nichts überarrangiert sein sollte. Wir haben uns ständig gegenseitig dazu gezwungen, Sequenzen zu reduzieren und auf das Weniger zu setzen. Solange, bis alles wie bei Zahnrädern ineinanderpasst.

Sich zu reduzieren und das „Fett“ wegzulassen ist für die künstlerische Arbeit sicher schwierig, weil man die vielen Gedanken und Ideen gerne bestmöglich umsetzen möchte.
Mir fällt das gar nicht so schwer. (lacht) Ich mag die Dinge schon immer auf den Punkt gebracht.

Steht der Song „Kein Ende nie“, den man als Titeltrack bezeichnen kann, wie die Bedeutung des Albums „Ende nie“ für den fernen Horizont im positiven Sinne?
Das ist immer eine Interpretationssache. Nach zehn Jahren tue ich mir noch immer wahnsinnig schwer, eine eigene Interpretation zu meinen Texten aufzustellen. Am Ende sind es nur Texte.

Verändern sich mit der Zeit die Bedeutungsebenen bei deinen Texten?
Ich bin kein Schriftsteller. Ich lese Interviews von Schriftstellerinnen und bin so beeindruckt, wie sie ihren eigenen literarischen Meridian beherrschen wie eine Landkarte. Man hat immer das Gefühl, dass sie eine Art von Deutungshoheit über ihre Arbeit haben. Als Musiker habe ich das nicht und letztendlich sind Texte eine Zulieferung, um Melodien zu finden. Sehr viel von dem, was ich komponiere, ist wie bei Herbert Grönemeyer: Die Texte kommen sehr spät ins Spiel und am Anfang summe ich nur mit oder habe eine Art Fantasiesprache, die zur Melodie führt. Mein Verhältnis zu meinen Texten ist praktisch inexistent. Sobald ich sie geschrieben habe, existieren sie nicht mehr. Wenn ich auf der Bühne stehe, dann sind sie beim Singen schon zur Musik geworden. Ich fühle dann die Musik und nicht die Bedeutung der Texte. Nur sehr vereinzelt bei manchen Zeilen, die mir wirklich viel bedeuten.

Gerade eure Fans und Hörer ziehen viel aus deinen Texten und interpretieren sie akribisch.
Das freut mich. Alles, was den Geist anregt in diesem kulturellen Brachland, ist wunderbar. (lacht)

Im Song „F*** YouTube“ feierst du in einem Nebensatz die gute alte CD. Ist das an persönliche Nostalgie geknüpft, oder eine versteckte Botschaft, dass man sich nicht nur von Playlists und KI-Algorithmen leiten lassen, sondern in Ruhe in ganze Alben fallen lassen soll?
Jeder von uns hat eine Insigne, an der er bemisst, wie sich die Zeit verändert, in der wir leben. Für mich war das der Moment, an dem ich gemerkt habe, dass langsam die CD-Player aus den Autos ausgebaut werden. Da wurde mir klar, dass die Welt sich stark verändert hat und ich es nicht mehr leugnen kann. (lacht) Ich bin mit CDs aufgewachsen und bedaure ihren Wegfall sehr. Ich verbinde sehr viel Kindheit damit und höre sie privat noch immer gerne.

Mir wurde gesagt, seine CD-Sammlung sollte man nicht aufgeben, weil die Stücke bei Sammlern vielleicht einmal einen ähnlichen Wert bekommen könnten wie Schallplatten.
Wirklich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die CD ein Comeback erlebt. Sie ist zu sperrig und zu groß als Datenträger. Die Kids wollen ihr ganzes Leben in der Hosentasche tragen. Ich glaube nicht, dass wir jemals wieder Menschen sehen werden, die mit Discman herumlaufen – auch wenn es geil wäre.

Ist dein Verhältnis zu YouTube ein ambivalentes?
Überhaupt nicht. Der Song ist eine Hommage an YouTube. Immerhin besingen wir das Wort an sich, das sagt schon viel aus. Ich habe gehört, dass der Song gesperrt ist und nicht auf YouTube darf. Es geht im Song aber nicht um YouTube, sondern darum, dass jemand in einer Situation ist, wo jemand anderer auf der Plattform einen Song spielt und dieser Song die Person triggert. Sie hält das Lied gerade nicht aus und sagt deshalb „Scheiß YouTube“. Das ist aber kein Generalangriff auf YouTube, zumal wir eine der letzten Bands sind, die ihr ganzes Promobudget für Videos ausgeben. Wir drehen so teure Musikvideos und füttern YouTube seit zehn Jahren mit einem Meisterwerk nach dem nächsten.

Ist diese Liebe zum Musikvideo auch in deiner Kindheit zu verorten? Weil du noch zur „Generation MTV“ gehörst?
Am Anfang meiner Karriere war ich erschrocken darüber, dass Musikvideos zum gesamten Bandkontext gehören, weil ich sie eigentlich immer beschissen fand. Ich tat mir sehr schwer, das Medium Musik auf das Medium Video zu übersetzen. Ich habe aber eine große Liebe für Film im Allgemeinen und habe meinen Zugang dann als eine Art Cineast gefunden. In unseren Videos kann ich mich als eine Art „Hobby-Regisseur“ ausleben.

Im Kontext des Songs „F*** YouTube“ – welchen Song kannst du selbst nicht mehr hören, weil er dich so stark triggert?
Es ist ein Rätsel, dass sich löst, wenn man die Platte in der richtigen Reihenfolge hört. Ich verrate es nicht, aber Swifties würden das jetzt enträtseln. (lacht)

Nach der famosen Single „Bei niemand anders“ gibt es auf dem Album mit dem Song „Ich hör dir zu“ eine weitere, unglaublich emotionale Klavierballade, die mitten ins Herz geht. Warum hat es so lange gedauert, bis die Kombination Marco Wanda und das Klavier endlich stärker in den Fokus rückt?
Na ja, wir hatten mit Christian ja zehn Jahre lang einen Keyboarder und Pianisten. Da diese Stelle gewissermaßen frei ist, wollte und musste ich sie füllen. Das hat mir als Musiker viel gebracht. Ich bin auf dem Klavier sehr warm geworden und finde, es ist ein tolles Instrument, auf dem man sich völlig anders ausdrücken kann als auf einer E-Gitarre. Eine E-Gitarre ist einerseits ein elektrischer Phallus oder das Tor zu einer mittelmäßigen Ballade – dazwischen gibt es als Liedermacher sehr wenig. Für echte Gitarristen gibt es natürlich eine breitere Palette, sich auszudrücken. Das Klavier eröffnet mir aber ganz andere Wege. Ich kann auf Tasten ganz anders arbeiten und habe Klavier schon als Kind gelernt.

Beide Songs bestehen aus einer unheimlich intensiven Emotion, die transportiert wird. Ist die Ballade so etwas wie die Königsdisziplin des Rock’n’Roll?
Die Ballade und die Hymne sind die absoluten Königsdisziplinen. „We Are The Champions“ oder „The Show Must Go On“ von Queen zum Beispiel. So etwas ist nicht einfach, das schreibt man nicht zum Frühstück.

Wobei dir die Single „Bei niemand anders“ laut deinen Worten magisch schnell von der Hand ging.
Der finale Streich schon, aber bei mir hat jeder Song vorher mehrere Leben. Ganz viele Lieder sind ursprünglich zehn Nummern, die ich zu einer verdichte. „Bei niemand anders“ hatte auch ein paar andere Varianten und es begann interessanterweise an der Gitarre. Dort steckte ich, also ging ich zum Klavier, wo sich der Song schließlich entwickelte.

Braucht es Balladen und getragene Nummern, um am Ende auch mehr Tiefe in den Songs vermitteln zu können?
Gute Frage. Wenn man will, dass die Leute pogen und lachen, dann nicht. Wenn man will, dass die Leute weinen, muss man sich ans Klavier setzen. Es rührt das Herz ganz anders, auch einen Songwriter selbst. Es ist ganz schwer, mit der Gitarre dazusitzen und etwas zu schreiben, das mich persönlich zum Weinen bringt. Dass mich ein Song selbst rührt, ist ein wichtiges Auswahlkriterium. Wäre dem nicht so, dann würde ich den Song nicht einmal Manu oder Ray zeigen. (lacht)

Das ist der letzte Punkt der Gewissheit. Der intime Moment, wo man einen Song in seiner eigenen Wohnung und Seele fertigstellt. Danach ist jeder einzelne Schritt nur noch von Zweifeln, Unsicherheit und dem Gefühl der Unzulänglichkeit getragen. Ich will das nicht überdramatisieren, weil es nicht die Qualität des Lebens beeinflusst. Es ist nur ein Prozess meines Lebens, Lieder zu schreiben. Wenn es allen gefällt und sie es irgendwann live mitsingen, dann weiß man, die Idee war kein Scheiß. (lacht)

Aber konzentrierst du dich nicht auf die anfängliche Gewissheit, wenn du unsicher wirst?
Ja klar, man muss sich immer rückbesinnen auf diese Momente mit sich selbst. Könnte man das nicht, würde man einen Song niemals anderen zeigen. Mein Ziel ist es auch nicht, Herausragendes zu leisten, denn mir reicht es schon, wenn es kein Scheiß ist. Sobald ich das merke, bin ich zufrieden.

Gibt es intern für dich manchmal auch herbe Rückschläge? Dass von dir als sehr passabel empfundene Ideen von den anderen doch noch abgewehrt werden?
Bis jetzt tatsächlich nicht, aber für diese Platte sind vier Songs hinausgeflogen, wo wir im Studio gemerkt haben, dass sie nicht gut genug waren. Es war nicht kein Scheiß, also raus damit. (lacht)

Auf „F*** YouTube“ besingst du den rückläufigen Merkur, ansonsten kommen immer wieder Sterne, der Himmel und der Horizont vor. Reizen dich astronomische und auch astrologische Themen als Songwriter-Metaphern besonders?
Ich bin persönlich überhaupt kein esoterischer Mensch, aber mich begeistern Menschen, die auf Esoterik Zugriff haben. Es gibt Quatsch-Esoterik, dann gibt es eine, die ihr Publikum seelisch und finanziell ausbeutet, aber es gibt auch eine uralte Esoterik, die der Menschheit gehört und nicht einem Verschwörungsverlag. (lacht) Diese Esoterik begeistert mich, denn sie wäre als Stütze da, würden wir sie brauchen. Mir persönlich reicht sie als Stütze aber nicht. Wenn ich einen Begriff wie den rückläufigen Merkur höre, dann stelle ich mir uns Menschen immer als Wald vor, dessen Krone offen in den Himmel ragt und auf Beeinflussung wartet. Oder sich mit einer vermeintlichen Konstellation irgendwas erklären will, das er nicht begreift. Die Grundannahme der Esoterik ist ja, dass man gar nicht für all die Emotionen und das Handeln verantwortlich ist, weil einen etwas beeinflusst. Auch wenn man nicht weiß, was das ist.

Im tiefsten Sinne ist das eine entlastende Freisprechung von sehr viel Verantwortung, eine Erleichterung. Das brauchen wir Menschen auf jeden Fall und ich finde es sehr okay, solange es harmlos bleibt. Mein Bild vom Leben ist aber ein ganz anderes. Ich habe das Gefühl, ich bin für absolut alles verantwortlich, was mir geschieht und es passiert nichts ohne Grund. Außer, ich werde von einer Straßenbahn überfahren. Dann hätte ich vielleicht einen unbewussten Selbstmordtrieb, aber das glaube ich nicht. Das Schicksal kann schon sehr brutal von außen ins Leben brechen. Da bringt mir Esoterik als Erklärungsmodell nicht so viel.

Beinhaltet deine Einstellung dazu auch, dass du alle Dinge, die dir so widerfahren und passieren, von dir zurückverfolgt und hinterfragt werden?
Da wo es nötig ist schon. Wenn eine zwischenmenschliche Beziehung in Scherben liegt, dann muss ich mich schon fragen, was für eine Verantwortung ich dafür trage und was ich da gemacht habe, damit es so weit kommen konnte. Ansonsten stelle ich mir aber nicht allzu viele Fragen – außer, ob die Wäsche vor der Tour noch rechtzeitig trocken wird. Das ist seit mehr als zehn Jahren eine der allerwichtigsten Fragen. (lacht)

Sich selbst zu hinterfragen bei Dingen, die nicht rund liefen, ist aber schon viel wert. Ich würde sagen, dass das gar nicht so viele Menschen in der Realität praktizieren.
Das mich selbst zu hinterfragen hat mich der Albumprozess gelehrt. Mit Produzent Zebo hatten wir vier da im Studio sehr interessante, zwischenmenschliche Dialoge, bei denen ich wirklich viel gelernt habe.

In deinen Texten scheinst du vieles zu hinterfragen und die Dinge aus einer gereiften, erwachsenen Perspektive heraus zu sehen. Ist der schnelle Kick der Dinge im Leben wirklich nicht mehr so wichtig? Braucht es jetzt mehr Tiefe, wie auch der Song „Therapie“ andeutet?
Ja, tatsächlich. Das sind Lebensthemen von mir, auch in Bezug auf unsere Karriere. Die Band war so schnell oben und es ging so schnell rauf, das musste man erst einmal verarbeiten. Es gibt dieses ewig langweilige und trotzdem so bedeutsame Bild von Marathon vs. Sprint. Das, was wir tun, muss ein Marathon werden und darf kein Sprint bleiben. Im Sprint verausgabt man sich und den Marathon könnte man über Jahrzehnte laufen, das wäre sehr schön. Es geht gar nicht ums Gewinnen, aber wir wollen so lange laufen, bis wir sterben. (lacht)

Bedeutet das im Umkehrschluss, dass ihr als Band nicht mehr so schnell lebt wie noch vor einigen Jahren?
Das ist auch gar nicht mehr möglich. Allein schon, weil die Konzerte sich mittlerweile so verschoben haben, dass wir weniger, aber größer spielen. Vor etwa fünf, sechs Jahren war das vom Hype getragen eher ein kalkuliertes Buchen von kleinen Locations, damit sich die Schlange von der Innenstadt bis Floridsdorf bildet. Dementsprechend haben wir so viel gespielt, dass mir schwindlig wird, wenn ich daran denke. Ich habe unlängst wieder die Doku von Lil‘ Peep gesehen. Bei dem ging das so weit, dass er auf Tour gestorben ist und ich habe das verstanden.

Wenn du unter den furchtbarsten Indie-Bedingungen voller Power und ohne Ruhe 180 Shows pro Jahr spielst, kann es schnell gefährlich werden. Ich bin irrsinnig froh, dass dieser Sprint vorbei ist. Unser ganzes Arbeitsumfeld hat sich verändert. Es ist jetzt alles so angelegt, dass es länger passieren kann und es herrscht mehr Reife. So geil es ist, dass der Rock’n’Roll ein bisschen gefährlich ist, mittendrin ist es nicht mehr so geil. (lacht) Wenn man jung ist, geht der Lifestyle noch irgendwie. Was der Körper in einem gewissen Alter an Drogen, Alkohol und Eindrücke ausschwitzen kann, ist beeindruckend.

Man kann dich aber durchaus als Genussmenschen bezeichnen, der gerne mal ein Glaserl Wein trinkt und zur nächsten Zigarette nicht nein sagt.
Ich sitze sehr gerne und lasse die Gedanken schweifen. Wenn das einen Genussmenschen definiert, dann ja, dann bin ich einer.

Muss das Leben auf Tour nicht auch gesünder werden, wenn man älter wird?
Wie gesagt, es ist eher die Biologie, die alles gesünder macht. In diesen Körper gehen keine eineinhalb Flaschen Schnaps mehr rein. Wäre das noch möglich, ist die Chance sehr hoch, dass ich es weiter so praktizieren würde. (lacht) Irgendwann kam aber auch in meinem Leben der Punkt, wo ich merkte, dass es so nicht mehr geht. Zum Glück.

Noch mal zurück zu „Therapie“ – für viele reicht das bloße Kreativsein schon aus, um sich besser zu fühlen. Kann das wirklich genug sein, oder sollte man schon auch auf professionelle Hilfe setzen?
Ich hatte einen faszinierenden Moment mit meiner eigenen Therapeutin. Sie sagte mir: „Therapie ist nicht für jeden“. (lacht) Ich lief ein Jahr lang durch die Presse und erklärte allen, wie wichtig Therapie ist und dann sagt sie mir das. Seitdem weiß ich nicht mehr, ob ich so viel über Therapie quatschen sollte. (lacht) Ich fand es aber auch irgendwie entlastend. Es kann so viel Therapie sein. Das ist eine intime, persönliche und sehr individuelle Sache. In manchen Lebensbereichen kann Therapie ein guter erster Schritt sein, aber keine Lösung. Dann gibt es wieder Lebensphasen, wo ein guter Urlaub oder ein Abend mit einem Freund besser ist. In meinem Leben ist Musikmachen eine Art von Dauerselbsttherapie. Das war es schon immer.

Im Studio und auf dieser Platte haben wir als Band die Trauer der letzten Monate verarbeitet. Bei den letzten Interviews habe ich aber schon gemerkt, dass die Schwelle von Verarbeitung zur Retraumatisierung schnell überschritten ist, wenn ich zu viel darüber rede. Irgendwann ist es nicht mehr so gut, sich zu viel mit diesen Dingen zu beschäftigen. Zu den persönlichen Themen auf dieser Platte ist für mich eigentlich alles gesagt. Als ich mir jüngere Interviews durchlas, war ich von mir selbst erschrocken. Bin ich so schonungslos ehrlich oder hoffnungslos naiv? Oder beides? Die größte Not, über die Hintergründe der Platte zu reden, sehe ich jetzt nicht mehr.

Das ist insofern für dich schwierig, weil du in diesen Tagen und Wochen über eine Platte reden musst, die sich zu teilen sehr intensiv mit Themen wie Tod und Trauer befasst …
Für mich bleibt das ein interessantes Problem. Ich habe nicht die größte Lust, darüber zu reden, werde aber kalkuliert sehr viel darauf angesprochen. Das gehört aber dazu und man muss einen persönlichen Umgang damit finden. Ich halte nicht viel davon, in der Pressearbeit gewisse Riegel vorzuschieben. Man muss schon Rede und Antwort stehen für das, was man tut. Man muss aber auch einen Umgang für sich selbst finden. Geht es einem damit noch gut und bringt es der Öffentlichkeit etwas? Ich habe das Gefühl, dass schon jeder weiß, wie „Ende nie“ entstanden ist und dass jeder längst irgendwas für sich mitgenommen hat oder auch nicht. Ob da noch ein Mehrwert ist, weiß ich nicht. Am besten sprechen ab jetzt die Musik und das Album für sich selbst. Es hat es verdient, gehört zu werden, weil es nicht nur um Tod und Verlust geht.

Befürchtest du abseits der Interviews, dass dich auch manche Lieder selbst retraumatisieren können? Immerhin sind sie sehr persönlich, intim und direkt gehalten.
Das nicht. Für mich ist unsere Musik einfach wohltuend. Ich höre die Platte selbst sehr gerne, was nicht immer so war. Unlängst war ich wieder im Studio, wo das Album entstand und ich stand an der Stelle, wo ich alles eingesungen hatte. Das war ein heftiger Moment und ich dachte mir gleich, dass ich hier nicht unbedingt jeden Tag stehen müsste. Es war aber eine schöne Reise, weil wir toll geredet haben. 80 Prozent waren Konversation und 20 Prozent haben wir Musik gemacht. So soll das sein. Musik ist nicht alles, es geht auch darum, sich über diese Arbeit persönlich weiterzuentwickeln.

Hat „Ende nie“ euch drei als Kernbandmitglieder und das engere Team um euch herum nachhaltig verändert?
Das ist ein Prozess, der schon seit zwei Jahren läuft. „Ende nie“ war ein Baustein in unserem Wachsen als Gruppe, aber was wir seit zwei Jahren tun, ist, so gut wir können, miteinander reden. Der Wanda-Zug fuhr zehn Jahre lang mit einer derart hohen Geschwindigkeit, dass der Fahrtwind so laut wurde, dass wir unsere Worte nicht mehr verstanden haben. Jetzt, wo wir in gewissen Lebensstationen Pause machen, verstehen wir, was wir sagen und lernen miteinander zu kommunizieren. Das ist ein Prozess, der bleibt und der sich nicht mehr zurückentwickelt. Man kann ihn an keinen Punkt erklären. Weder in einem Bandgefüge, noch in Freundschaften, Beziehungen oder in der Familie.

Spricht der Song „Ich hör dir zu“ darauf an? Sich selbst zurückzustellen, die Bedürfnisse und Wünsche anderer wahrzunehmen und dabei selbst zu reifen?
Das „Ich“ in diesem Songtext hat eine gewisse Größe, weil es eingesteht, dass jemand anderer etwas besser weiß. Nicht recht zu haben, hat schon eine gewisse Größe. Es ist zur Mode geworden, dass man immer und überall recht hat - das wollen wir seit ein paar Jahren alle. Es war lange nicht so, aber jetzt ist es überbordend. Wir konkurrieren mit sehr vielen Deutungssystemen wie Google, mit Gruppierungen und Strömungen, die behaupten, die Wahrheit gefunden zu haben oder auch sehr mit radikalen Denkmustern von außen. Das kann im Endeffekt in uns allen nur einen Minderwertigkeitskomplex triggern. Wir versuchen dort recht zu haben, wo wir recht haben können. Was noch übrig ist, um recht zu haben. (lacht)

Gibt es bei dir auch Bereiche, wo du in deinem Leben immer recht hast oder zumindest glaubst, im Recht zu sein?
Nein, tatsächlich nicht. Vielleicht bei der Serie „Columbo“, da kenne ich mich schon sehr gut aus. (lacht) Ich habe mich eine Zeit lang mit den Kelten beschäftigt und die Wissenschaft rätselt noch immer, warum sie verschwunden sind. Wenn wir schon das nicht wissen, warum sollten wir sonst etwas wissen? (lacht) Die vermeintliche Wahrheit hat mich aber nie interessiert, ich finde den Diskurs spannender. Mich interessiert mehr, was andere denken.

Geht es nicht auch darum, Dinge auszuhalten? Wie man es in einer Demokratie eben muss, auch wenn einem manches nicht passt?
Sagen wir so – der Gesellschaftspakt funktioniert und wir sind immerhin noch eine Demokratie. Wir können Widerspruch, andere Meinungen, Ideologien und Ansichten immer noch aushalten. Wir dürfen aber auf keinen Fall damit spielen und sollten das nicht in Gefahr bringen.

Hat der Prozess des sich selbst Hinterfragens bei dir an Wichtigkeit dazugewonnen?
Seit ich draufgekommen bin, dass ich für alles, was mir passiert, Verantwortung trage, trage ich auch für alles Verantwortung, was ich tue oder jemandem tue.

Du hast auch stimmlich sehr viel experimentiert und klingst in manchen Songs so, wie man es von dir nicht gewohnt ist. War das ein bewusster Schritt für dieses Album?
Das ist sicher dem Umstand geschuldet, dass ich am Klavier viel mehr Möglichkeiten habe, die Tonleiter zu wechseln. Ich singe beim Komponieren sehr leise und merke dann im Studio, dass ich oft zu hoch bin. Möglicherweise ergibt sich daraus ein breites Spektrum des Gesangs.

Überrascht dich manchmal im Nachhinein, was deine Stimme imstande ist zu leisten?
Das ist eine gute Frage. Wahrscheinlich ja. Es ist für mich total verblüffend, ein Album zu machen. Es ist schon die sechste Platte, die wir gemacht haben und es überrascht mich immer noch, dass es gut klingt und kein Scheiß ist. Ich freue mich darüber, dass wir schon so weit gekommen sind und sechs Alben haben, deren Qualität ich nicht in Zweifel ziehen kann. Es gibt sicher ein paar schlechte Momente, aber im Großen und Ganzen ist das alles absolut in Ordnung.

(Bild: Luis Engels)

Im Song „Immer OK“ singst du „es ist nichts dabei, so wie wir zu sein“ – ist das das Wanda-Wir?
Das ist das typische Wanda-Projektionsmomentum. Da müssen die Zuhörer selbst entscheiden, welches Wir gemeint ist. Da möchte ich mit der Deutungshoheit eines Literaten nicht im Weg stehen, die Texte gehören nicht nur mir.

Die Songs „Immer OK“ und „Niemandem was schuldig“ hängen am Ende auch musikalisch zusammen. Es gibt eine direkte Brücke zwischen den zwei Liedern.
Das war Manus Idee, die wir am Anfang noch nicht hatten. Wir waren alle sehr begeistert, weil es schön hinübergeht. Der Teil kriegt am Ende etwas von einer Symphonie. Die Beatles wollten ja mal ein Album so machen, dass alles ein Song ist, aber sie haben das dann doch nie umgesetzt.

Man kann durchaus behaupten, die Beatles haben auf der neuen Platte wieder ihren Raum eingenommen.
Die Beatles sind allgegenwärtig in jeder Musik, die nach 1963 passiert ist. (lacht) Auch bei uns erkenne ich sie noch. Es gibt auch eine Texthommage an Oasis im Booklet – ein kleines Osterei. Vielleicht gibt es bei uns noch mehr solcher Dinge zu entdecken und irgendwann schreibe ich vielleicht ein Enthüllungsbuch, über die ganzen versteckten Hinweise auf unseren Alben.

Der Anfang von „Ich hör dir zu“ hat mich sogar ein bisschen an Gert Steinbäckers Meisterwerk „Großvater“ erinnert …
Interessant. Ich freue mich immer, wenn man in unserer Musik etwas typisch Österreichisches hört. Ich bezweifle, ob es das typisch Österreichische jemals so gegeben hat oder ob der ganze Austropop letztendlich nicht doch ein kollektiver Versuch war, Bob Dylan zu sein. (lacht) Der Wortwitz, den es bei uns und bei vielen Kolleginnen und Kollegen in Österreich gibt, kann uns keiner nehmen. Das kommt aus dem Wienerlied und aus dem jüdischen Witz, dem jüdischen Streben nach Weisheit. Das ist für mich typisch Österreichisch. Den Schmäh nicht verlieren in einer teilweise entsetzlichen Welt – und wenn es im schlimmsten Fall Galgenhumor ist.

Wäre es für dich denkbar, als aktives Mitglied in einer zeitgemäßen Version von Austria 3 zu agieren?
Puh, ich glaube, das braucht es nicht. Das gab es und das war’s. Ich finde die Entwicklung des Wienerlieds ist bei Künstlern wie dem Nino aus Wien oder Voodoo Jürgens wunderbar aufgehoben. Finde mal Sängerpersönlichkeiten und -figuren wie Ambros, Danzer und Fendrich. Es hat einen Grund, warum diese Konstellation diesen Status hat. Das passiert einmal alle 100 Jahre und so lange ist das noch nicht her. (lacht) Was uns als Generation niemand mehr nehmen kann ist, dass wir alle Musikgeschichte geschrieben haben. Man wird sehen, ob sie auch dauerhaft Bestand hat. Diese Musik hat noch viele gute Jahre und ich bin sehr gespannt, was nachkommt. Wir sind jetzt alle reich und alt und gesättigt. (lacht) Irgendwann muss die nächste Generation übernehmen, so ist das Leben.

WIst das eine ernsthafte Sorge von dir, dass du in weiter Zukunft vielleicht einmal zum Archivar deiner eigenen Kreativität verkommen könntest? Die erste Best-Of ist oft so ein Knackpunkt für eine Band …
Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich will es nur einfach weitermachen können, solange ist alles gut. Es bleibt auch nie selbstverständlich. Um das so zu betreiben, muss immer sehr viel funktionieren, in sich stimmen und stimmig bleiben. Es ist verdammt viel Arbeit, Musik auf diesem Niveau machen zu können – es macht aber auch sehr großen Spaß.

Wanda live in Österreich
Wanda live gibt es in diesem Jahr in Österreich noch ein paar Mal zu feiern. Am 23. Juni sind Marco Wanda und Co. Headliner am Wiener Donauinselfest bei freiem Eintritt. Am 19. Juli spielt man in der Grazer Freiluftarena B, am 2. August beim Szene Open-Air in Lustenau, am 30. August auf der Festung Kufstein und am 21. Dezember laden sie wieder zur großen Weihnachtsshow in der Wiener Stadthalle. Unter www.oeticket.com gibt es Karten und alle weiteren Informationen zu den Top-Shows.

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