„Gibt allen Grund ...“

Biden traut Netanyahu langen Krieg aus Kalkül zu

Ausland
04.06.2024 21:41

Nach Ansicht von US-Präsident Joe Biden gibt es Grund zur Annahme, dass Israels Premier Benjamin Netanyahu den Gaza-Krieg aus politischem Kalkül fortsetzt. Auf eine entsprechende Frage in einem Interview antwortete Biden zunächst, er wolle dies nicht kommentieren, führte dann aber aus: „Es gibt für Leute allen Grund, diese Schlussfolgerung zu ziehen.“

Später am Dienstag wurde Biden bei einem Auftritt in Washington auf diese Aussage gegenüber dem „Time Magazine“ angesprochen und rückte sie offenbar etwas gerade. Die Frage eines Reporters, ob Netanyahu mit dem Krieg ein politisches Spiel treibe, beantwortete der Politiker mit: „Ich glaube nicht. Er versucht, ein ernsthaftes Problem zu lösen, das er hat.“

Hintergrund könnten die tiefen Risse in Israel im Umgang mit dem Konflikt sein. Vor dem Krieg habe es große Kritik an der Politik Netanyahus gegeben. „Es ist also eine interne Debatte, die keine Konsequenzen zu haben scheint“,  wurde Biden vom „Time Magazine“ zitiert.

Joe Biden muss angesichts des Konflikts im Nahen Osten viele Interessen miteinander ausbalancieren. (Bild: AP)
Joe Biden muss angesichts des Konflikts im Nahen Osten viele Interessen miteinander ausbalancieren.

Neuer Vorschlag für Waffenruhe am Tisch
Das Gespräch mit Biden wurde bereits am 28. Mai geführt, also vor Veröffentlichung des vom US-Präsidenten unterbreiteten Vorschlags für eine Waffenruhe im Gazastreifen. Dieser sieht eine Waffenruhe, die Freilassung israelischer Geiseln und palästinensischer Gefangener sowie dann den Wiederaufbau des Gazastreifens vor.

Biden betonte seine Unterstützung für Israel im Kampf gegen die islamistische Hamas. Er sagte aber auch: „Meine größte Meinungsverschiedenheit mit Netanyahu besteht darin: Was passiert, wenn Gaza vorbei ist? Was wird daraus?“ Er habe darüber mit Vertretern aus Ägyptern, Saudi-Arabien, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten gesprochen. Biden fragte weiter, ob israelische Truppen dann in den Gazastreifen zurückkehren würden. „Die Antwort ist: Wenn das der Fall ist, kann es nicht funktionieren.“

„Menschen in Gaza haben sehr gelitten“
Die Frage, ob das israelische Militär nach US-Informationen im Gazastreifen Kriegsverbrechen begehe, beantwortete Biden nicht direkt mit Ja oder Nein. „Die Antwort ist, dass es ungewiss ist und von den Israelis selbst untersucht wird“, sagte der US-Präsident. „Den Internationalen Strafgerichtshof erkennen wir nicht an. Aber eines ist sicher: Die Menschen in Gaza, die Palästinenser, haben sehr gelitten, weil es an Nahrung, Wasser, Medikamenten und weiteren Dingen mangelt. Und viele unschuldige Menschen wurden getötet.“ Vieles davon habe demnach aber nicht nur mit den Israelis zu tun, sondern auch mit dem Angriff der Hamas auf Israel.

Am 21. Mai hatte der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag Haftbefehle gegen Netanyahu und andere Israelis beantragt. Ihnen wird unter anderem vorgeworfen, für das Aushungern von Zivilisten als Methode der Kriegsführung sowie für willkürliche Tötungen und zielgerichtete Angriffe auf Zivilisten verantwortlich zu sein. Khan betonte zwar das Recht Israels, seine Bevölkerung gegen alle Angriffe zu verteidigen. Er erklärte jedoch zugleich, dieses Recht entbinde Israel nicht von der Pflicht, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. So wie die USA erkennt auch Israel das Gericht nicht an.

Tausende Palästinenser mussten vor den Kampfhandlungen flüchten und leben zurzeit in Zelten in Rafah im Süden des Gazastreifens. (Bild: APA/AFP/Eyad BABA)
Tausende Palästinenser mussten vor den Kampfhandlungen flüchten und leben zurzeit in Zelten in Rafah im Süden des Gazastreifens.

„Unangemessenes“ Vorgehen
Biden sagte in dem Interview auf Nachfrage, er glaube nicht, dass Israel Hunger als Methode der Kriegsführung einsetze. Er bezeichnete das Vorgehen im Gazastreifen aber als „unangemessen“ und betonte, er habe die israelische Seite gewarnt, dort nicht den gleichen Fehler zu machen wie die USA in vergangenen Kriegen. „Und ich glaube, sie machen diesen Fehler.“

In Meinungsumfragen unterstützen die meisten Israelis den Krieg gegen die radikal-islamische Hamas. Sie machen aber die Regierung Netanyahu mitverantwortlich für Sicherheitsmängel bei dem überraschenden Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober mit rund 1200 Toten, der Verschleppung von Geiseln sowie Vergewaltigungen und Verstümmelungen zahlreicher Menschen.

Das israelische Militär hat auf den Überfall mit einem massiven Einsatz im Gazastreifen reagiert, bei dem nach unabhängig nicht überprüfbaren palästinensischen Angaben mehr als 36.500 Menschen getötet und rund 83.000 verletzt wurden.

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