KLACK! Der Gang ist drin. Dieser Tritt ins Kreuz ist die einzige echte Grobheit, die sich die Moto Guzzi Stelvio erlaubt. Im Alltag gibt sich die schöne Italienerin umgänglich und geschmeidig. Bei ein paar Kleinigkeiten hakt’s dann aber doch. Kritisch betrachtet.
Reiseenduro nennt man sie, aber ihr Name weist durchaus darauf hin, wo sie sich am wohlsten fühlt: auf Gebirgspässen wie dem Stilfser Joch oder in anderen alpinen Kurvenreichen, die von BMWs GS dominiert werden.
Schon das spricht für die Moto Guzzi: man wird ihr vergleichsweise selten begegnen. Dabei hat sie eine derart charmante Ausstrahlung, dass man häufig positive Reaktionen erntet. Es ist nicht ihre Perfektion oder technische Ausgereiftheit, die ihren Charakter ausmacht, sondern ihre Geschichte, der längs liegende V-Twin mit dem markanten Klang und überhaupt ihr Moto-Guzzi-Sein. Auch der Kardanantrieb schafft Sympathien – den hat nicht nur die große GS.
Ein echtes Hightech-Bike
Dabei fährt sie technisch auf höchstem Niveau optional bringt sie zwei Radarsensoren mit, die diverse Kollisionswarnungen und den Abstandstempomaten ermöglichen. Serienmäßig sind der klassische Tempomat sowie die Sechs-Achsen-IMU. ABS und Traktionskontrolle orientieren sich also an der Schräglage, auch das dynamische Kurvenlicht wird davon dirigiert.
Großer Motor kürzer als der kleine
Wahnsinnig viel zu tun bekommt der Durchdrehverhinderer nicht, außer bei Nässe, denn die 115 PS des 1042 ccm großen V2 lassen sich via ride by wire gut dosieren. Er reißt aber auch nicht weiß Gott wie an, sein maximales Drehmoment von 105 Nm erreicht er bei 6750/min. Darunter reißt er keine Brocken aus dem Asphalt und darüber geht ihm rasch die Luft aus. Dafür lässt er sich aus dem Drehzahlkeller heraus nicht lange bitten. Nur das immer wieder auftretende Konstantfahrruckeln strapaziert die Gelassenheit und erinnert einen daran, dass man eigentlich eh viel lieber dynamisch unterwegs ist.
Erstaunlich: Eine parallel gefahrene Moto Guzzi V100, die über den gleichen Motor verfügt, war ungleich spritziger und drückte mit viel mehr Nachdruck an – in allen Drehzahlbereichen.
Moto Guzzi nennt den Motor „Compact Block“, obwohl er der größte im Programm ist. Der Name leitet sich von der Größe ab: Er ist 103 mm kürzer als der „kleine Block“ der V85TT und um fünf Grad nach vorne geneigt. Die Zylinderköpfe sind ebenfalls um 90 Grad gedreht und die Krümmer treten seitlich statt vorne aus. All das, um mehr Beinfreiheit zu schaffen und gleichzeitig den kompakten Radstand von 1520 mm für ein besseres Handling beizubehalten.
Und handlich ist sie, die Stelvio, trotz ihrer (ohne Hauptständer heftigen) 246 kg. Sie lenkt leicht ein und bleibt mit ihrem tendenziell eher hart abgestimmten Fahrwerk auch auf unebenem Untergrund stets stabil. Für eine echte Kurvenräuberin ist jedoch die Sitzposition zu passiv. Man wird mit ihr keine GSsen jagen gehen, sondern die entspannte Seite der Macht genießen.
Und das gerne auf langen Strecken. Der edle Sitz schmeichelt dem Gesäß, die Knie sind nicht zu stark abgewinkelt und der Windschild nimmt viel Winddruck vom Körper: Jammern auf hohem Niveau: Groß gewachsene Fahrer bleiben nicht ganz von Vibrationen am Helm verschont. Dank stufenloser elektrischer Verstellmöglichkeit kann man aber locker nachjustieren. Manchmal ist es angenehmer, die Scheibe einen Finger breit tiefer zu fahren, dann spürt man zwar mehr Fahrtwind, aber weniger Vibrationen.
Schalten und walten
Etwas guten Willen braucht man für den optionalen Quickshifter (rauf und runter). Er arbeitet meistens sanft, manchmal aber nicht so butterweich und zuverlässig, wie man das etwa bei KTM oder BMW kennt. Eine kleine Anzeige am Display zeigt an, ob der Quickshifter gerade bereit ist zu arbeiten oder nicht. Allerdings wird man in der Regel nicht nachschauen, bevor man schaltet, sondern erwarten, dass er einfach funktioniert. Außerdem ist die Aussagekraft der Anzeige auch zweifelhaft. Top ist, dass man mit offenem Gas sowohl rauf- als auch runterschalten kann. Was perfekt funktioniert, ist das Auffinden des Leerlaufs – eine Freude an jeder roten Ampel.
Die Downshift-Funktion kann man übrigens am Display abschalten, das auch sonst alles verwaltet. Unter anderem kann man jeden Fahrmodus einzeln durchkonfigurieren, man hat also nicht nur die Modi Turismo, Pioggia, Strada, Sport und Off-Road, sondern in Wahrheit Individual Modes, die nach Wunsch in Leistungsentfaltung, Motorbremse, Traktionskontrolle und ABS eingreifen. Nur im Off-Road-Modus kann das ABS ausgeschaltet werden.
Zusätzlich kann man die Stufe der Traktionskontrolle mit dem Tempomatschalter verstellen, wenn der Tempomat abgeschaltet ist.
Anzeigekonzept nicht durchdacht
Apropos Tempomat: Ist er eingeschaltet, aber gerade nicht aktiv, blinkt eine grüne Kontrollleuchte am Display. Das lenkt ab, weil man das im Augenwinkel sieht und immer wieder glaubt, dass man den Blinker vergessen hat.
Das 5-Zoll-TFT-Display ist hübsch gestaltet, aber nicht sonderlich gut ablesbar. Zwar wird das Tempo groß in Ziffern angezeigt, aber der Drehzahlmesser wird zu kleinteilig dargestellt. Die Tankuhr ist noch weniger informativ. Gut, dass oben rechts im Eck die prognostizierte Restreichweite angezeigt wird – allerdings nur, bis man auf Reserve ist. Dann wird zwar angezeigt, wie viel Kilometer man schon auf Reserve unterwegs ist; wie weit man noch kommt, muss man aber selber einschätzen. Das Tankvolumen beträgt 21 Liter, davon 3,5 Liter Reserve. Bei einem Durchschnittsverbrauch von 5,6 l/100 km (Testverbrauch) bleibt man geschätzt nach gut 60 Kilometern stehen.
Komfortabel zu bedienen ist der Bordcomputer mit seinen zwei Tripzählern. Optional lässt sich über die Moto Guzzi MIA App ein Smartphone verbinden.
Die Armaturen (also die Knöpfe und Schalter) sind übrigens nicht beleuchtet. Das macht die Bedienung nachts etwas mühsam, auch weil sie mit Handschuhen nicht so leicht zu erfühlen sind.
Einstellbares Fahrwerk
Die 46-mm-USD-Gabel von Sachs ist in Vorspannung und Zugstufendämpfung einstellbar, das Federbein über Stellrad in Zugstufe und Vorspannung. Die adaptiven Dämpfer der V100 sind nicht erhältlich. Frage nach Maranello: Warum nicht bzw. ab wann? Der Federweg beträgt vorne und hinten gleichermaßen 170 mm. Die schlauchlosen Speichenfelgen tragen ab Werk offroadig angehauchte Michelin Anakee Adventure der Dimension 120/70 R19 und 170/60 R17.
Ab 18.000 Euro ist die Moto Guzzi Stelvio zu haben, die Radaranlage kostet 1000 Euro Aufpreis. Der Abstandstempomat wird nochmals extra kosten, aber es ist noch nicht klar, ab wann er verfügbar ist. Gegen Aufpreis erhältlich sind Features wie Quickshifter (229 Euro, alles zuzüglich Montage), Heizgriffe (259 Euro), beheizter Sitz (vorn 339 Euro, hinten 229 Euro) oder auch die Seitenkoffer mit dem unauffälligen Aufhängesystem (1050 Euro).
Fahrzit
Die Preisansage der Moto Guzzi ist durchaus selbstbewusst, aber nicht übertrieben. Sie ist keine Billigalternative zur Konkurrenz, sondern will wegen ihrer Eigenschaften gewollt werden. Und dazu gehört etwas, das es in dieser Klasse sonst nicht gibt: Kardanantrieb.
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