Live in der Stadthalle

Nickelback: Mit Feuereifer gegen dumpfe Klischees

Musik
05.06.2024 01:06

Rund 10.500 Fans feierten ihre kanadischen Rocklieblinge Nickelback am Dienstagabend in der Wiener Stadthalle nach achtjähriger Abwesenheit. Chad Kroeger und Co. mögen die meistgehasste Band des Internets sein, wenn es um eine amtliche Rockshow geht, macht den Kanadiern aber niemand etwas vor.

(Bild: kmm)

Zu den musikalischen Klischees mit den längsten Bärten gehören folgende Beispiele: Metalfans sind generalisiert satanistische Psychopathen. Deutschrap ist automatisch asozial und unterirdisch. Nickelback sind die schlechteste Band der Welt. Die Kanadier trotzen den Unkenrufern seit mehr als 20 Jahren mit Zahlen und Fakten. Etwa mehr als 50 Millionen verkauften Alben oder der unglaublichen Tatsache, dass ihre Erfolgssingle „How You Remind Me“ die bestverkaufte Rock-Nummer der 2000er-Jahre war. Über die Corona-Pandemie hinweg hatte vor allem Frontmann Chad Kroeger immer weniger Lust, sich in Interviews gegen ständige Fragen zum Internethass und Cybermobbing zu stellen, also bricht er derartige Gespräche mittlerweile einfach ab, wenn es wieder in eine einschlägige Richtung geht.

(Bild: Andreas Graf)

Eine TikTok-Hit-Melange
Frei nach dem Motto „let the music do the talking“ konzentriert sich die Band auf ihre oft angezweifelte Kernkompetenz und die Fans kommen zur ersten Europa-Tour nach fünf Jahren (das letzte Wien-Konzert liegt sogar acht Jahre zurück) in Scharen. Beim einzigen Österreich-Auftritt in der Wiener Stadthalle begrüßt das Rock-Quartett an einem kühlen Frühlingstag nicht weniger als 10.500 Fans, die schon bei der Supportband The Lottery Winners für Stimmung sorgen. Die haben sich ihren Support-Slot auf ganz besondere Art und Weise verdient. Während Corona hatten sie mit einem Cover des Nickelback-Hits „Rockstar“ einen TikTok-Hit. Nickelback fanden das gut, kontaktierten die Briten und schon entstand ein weiterer TikTok-Hit des Songs – dieses Mal von beiden Bands vorgetragen und räumlich getrennt. Auf Tour teilt man sich dann die Bühne beim Oasis-Cover „Don’t Look Back In Anger“, eine Verbeugung der Lottery Winners vor ihren Idolen aus der gemeinsamen Heimatstadt Manchester.

(Bild: Andreas Graf)

Wer Nickelback für unverbesserliche und vor allem ausschließliche Faserschmeichler hält, wird schon zu Beginn eines Besseren belehrt. Nachdem der stampfende Pantera-Hit „Walk“ das Publikum in Fahrt bringt, fahren die Kanadier erst einmal ein professionelles Video ab und legen dann mit der brettharten Single „San Quentin“ des 2022 veröffentlichten, immer noch aktuellen, aber nicht sonderlich erfolgreichen Albums „Get Rollin‘“ los. Der Härtegrad von Songs wie diesem oder „Animals“ kann sich durchaus mit den letzten 30 Jahren von Metallica messen, nur dass Nickelback im Gegensatz zu den kalifornischen Thrash-Legenden die Liebe zur Emotion Ausdruck verleihen und dafür den Heavy Metal zurückdrehen. Das zum Leidwesen von Chads Bruder Mike Kroeger. Der hätte lieber schon zwei Slayer-Cover-Alben aufgenommen, aber damit hätten es Nickelback auch nicht zu einer derart breiten Erfolgskarriere gebracht.

(Bild: Andreas Graf)

Selbstironie als hohes Gut
Auf Pyrotechnik oder große Showeffekte verzichtet man gänzlich, zwei Bühnenpodeste auf den Seiten, ein paar überdimensionale Videowalls und atemberaubende Lichteffekte müssen reichen. Dazu die offen zur Schau gestellte Working-Class-Mentalität, die sich in schwarzen T-Shirts, Flanellhemden und passgenauen Jeans niederschlägt. Chad und Gitarrist Ryan Peake tragen die Songs mit akkuratem Gesang und perfektem Zusammenspiel. Nach fast 30 Jahren gemeinsamer Bandkarriere hat sich auch der Schmäh nicht abgenutzt und die Gemeinschaft innerhalb der Band wirkt ungekünstelt und authentisch. Bei „Savin‘ Me“ darf sogar Gitarren-Techniker Rob Dawson auf die Bühne, um an der Sechssaitigen und dem Klavier auszuhelfen. Dass nach der Ballade „Far Away“ hauptsächlich weibliche Fanstimmen zu hören sind, nimmt Peake mit Humor: „Jeder mag doch Powerballaden! Wo sind die Kerle?“

(Bild: Andreas Graf)

Nickelback sind in ihren Songs und auch im Humor zuweilen ein bisschen altbacken, aber nicht peinlich. Nostalgieschleifen fördert man in Songs wie „Those Days“, wo man sich mit Videoeinspielungen von Chevy Chase-Filmen, dem „Breakfast Club“ oder Wrestler Hulk Hogan in die 80er-Jahre zurückbeamt. Die Nostalgie der Fans verbindet sich mit Songs wie „Hero“, „Someday“, „Photograph“ und natürlich „How You Remind Me“, die ohne große Schnörkel und Experimente heruntergespielt werden und den Fans für die stattlichen Kartenpreise auch möglichst originalgetreue Versionen anbieten. Nur bei „Rockstar“ lässt man einen Fan als Gastsänger eben dieses Gefühl für drei Minuten am eigenen Leib erfahren. Die gute Geste sorgt aber gleichzeitig dafür, dass Hunderte Fans ihren Lieblingssong in einer leidlich zernudelten Version zu hören kriegen – man kann nicht alles haben im Leben.

(Bild: Andreas Graf)

Amtliche Rockshow
Angenehm bei einer Nickelback-Show ist mitunter, dass sich Blödelei und Ernsthaftigkeit die Waage halten. In einem Moment lacht Kroeger über sein von einem Fan mitgebrachtes Papp-Alter-Ego in der ersten Reihe, im nächsten spielt die Band mit „When We Stand Together“ einen Song, dessen Begleitvideo sich mit Umweltkatastrophen und Klimazerwürfnissen auseinandersetzt. Eine Unterrichtslehrstunde wird das Konzert aber nicht, dafür haben die gesetzten Herren um die 50 viel zu viel Spaß am Tun, was selbst bei zigfach gespielten Hits von früher noch immer glaubhaft vermittelt wird. Fein nuanciert sind dafür die Momente, die eher im Hintergrund stehen. Etwa der psychedelische Beginn des von Peake gesungenen „Worthy To Say“ oder die von Kroeger gesetzte Bemerkung, die Eröffnungszeile des Songs „Figured You Out“ („I like your pants around your feet“) wäre „dämlich“. 2003 waren die Zeiten eben andere – gleich bleibt scheinbar nur der Erfolg von Nickelback. Beim Zelebrieren einer amtlichen Rockshow macht ihnen nach wie vor keiner was vor.

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