Noch vor wenigen Jahren krächzte sich Jon Bon Jovi mit Stimmbandproblemen über die Bühnen dieser Welt. Nach einer wichtigen OP kehrt er langsam zu alter Stärke zurück und veröffentlicht nun das 16. Studioalbum „Forever“. Ein adäquates Altherrenwerk, dem es an zündenden Momenten und Spannungsmomenten fehlt.
Mit Schaudern erinnern sich langjährige Bon-Jovi-Fans an die letzte große Europa-Tour im Sommer 2019 zurück, die ihn auch nach Wien und Klagenfurt brachte. Aus dem einst so stolzen Konsens-Rocker wurde eine stimmliche Farce seiner selbst, die keinen geraden Ton traf und sich bemüht, aber erfolglos gegen die eigene Unzulänglichkeit stemmte. Kein schöner Anblick, der selbst hartgesottenen Gegnern seiner Kunst ein paar Momente des Mitfühlens bescherte. Erst Jahre später gab Jon Bongiovi in amerikanischen Interviews zu, dass er – aus heutiger Sicht – schon gut zehn Jahre an Stimmproblemen litt und lange nicht wusste, wieso. Es brauchte mehrere Arztbesuche für die richtige Diagnose. Nach einer ausufernden Operation ist ein Teil seiner Stimmbänder mittlerweile mit Plastik verstärkt und der 62-jährige Superstar befindet sich seither in regelmäßiger Physiotherapie.
Egotrip überstanden
Die schwierigen Phasen der eigenen Unsicherheit, verstärkt mit der Corona-Pandemie und einer inneren Zerrissenheit halfen der Rock-Legende nach einigen Abzweigungen aber wieder zurück auf die musikalische Spur. Nachdem sein in der Hochphase der Pandemie veröffentlichtes Studioalbum „2020“ baden ging, reflektierte Jon und ging tief in sein Inneres. „2020“ war geprägt von den aktuellen Ereignissen der Weltgeschichte und wurde aus einer Art Affekt heraus geboren. „Ich habe den Fernseher aufgedreht, mir die Nachrichten angesehen und aus diesen Eindrücken Songs geschrieben“, gab er in Interviews bekannt. Das auch noch ganz alleine und ohne Hilfe seiner Band. Der Egotrip dieser Lebensphase war eine Mischung aus Verzweiflung und musikalischer Verirrungen. Erst als sich die Welt und seine Stimme wieder öffneten, öffnete sich auch Bon Jovis Geist.
„Forever“, das mittlerweile 16. Studioalbum in strenggenommen 41 Jahren Bandkarriere ist eine Rückbesinnung auf alte Werte. Jon verband sich wieder mit den Bandkollegen und ließ den Songs bewusst Einflüsse von außen angedeihen. Inhaltlich geht es kaum noch um Weltpolitik und Wut auf herrschende Systeme, sondern vor allem um Liebe, Familie, Freunde und eine ganze Wagenladung Nostalgie. Die vorab ausgekoppelte Single „Legendary“ ist eine Rückbesinnung auf die Erfolge der Band, „We Made It Look Easy“ eine Liebeserklärung an seine Ehefrau Dorothea und in „My First Guitar“ erzählt er die durchaus romantische Geschichte seiner ersten Univox-Gitarre, die er als Teenager spielte, später seinem Nachbarn verkaufte und über verschlungene Wege nach Jahrzehnten wieder in seinen Händen halten durfte.
Stabilität wiedergefunden
War „2020“ ein „Ich“-Album, ist „Forever“ nun ein klares „Wir“-Album geworden. Ganz ohne Pathos geht die Chose bei Bon Jovi naturgemäß nicht vonstatten. In den einzelnen Songs versucht er immer wieder seine erfolgreiche Vergangenheit zu zitieren und rückt dabei oft bedrohlich in das Kitschsegment ab. „Kiss The Bride“ ist eine rührselige Hymne an seine bald verheiratete Tochter und das markante „The People’s House“ versucht sich mit seinen infektiösen Riffs an „Keep The Faith“ zu orientieren, scheitert im Direktvergleich aber kläglich. Jons Stimme blieb zumindest im Studio stabil, schwingt sich aber naturgemäß nicht mehr in lichte Höhen, wie man es noch in den 90er-Jahren gewohnt war. Auf einem Song wie „Waves“, wo er sich merkbar über seine erzwungenen Grenzen wagt, spürt man förmlich den verzweifelten Versuch, auf ein Level zu kommen, das nicht mehr zu erreichen ist.
Jon Bon Jovi selbst legte die Latte im Vorfeld ziemlich tief und sprach vom „besten Album der letzten 20 Jahre“. Im Direktvergleich mit den legendären Werken der 80er- und 90er-Jahre ist das ein geschickter Griff in die Sicherheitskiste, denn wirkliche Highlights sind schon seit langer Zeit rar gesät. Haben sich die Alben des New-Jersey-Kollektivs in den letzten Jahren komplett aus den Gehirnen der Rockfans verflüchtigt, gibt es bei „Forever“ zumindest die berechtigte Hoffnung, dass Bon Jovi – so er es stimmlich schafft - damit einen adäquaten Karriere-Winter einleitet. Dass die Band vermehrt auf Balladen und Mid-Tempo-Songs setzt, hat auch schlicht mit kommerziellen Interessen zu tun und dient nicht ausschließlich dem Schutz des Stimmtimbres von Jon. Wenn man kein Problem mit einem altersgerechten und völlig entschärften Sound hat, wird man hier zumindest selig.
Es reicht fürs obere Mittelfeld
„Forever“ krankt auf gesamter Länge an Spannungsmomenten und wirklich memorablen Songs. Bon Jovi haben sich als musikalisches Kollektiv wieder auf ihre alten Stärken besinnt, können aber nicht das Feuer der großen Tage entfachen. Da damit aber auch nicht zu rechnen war, firmiert dieses Album durchs im oberen Mittelfeld der Bandhistorie, was nach all den Jahren und Problemen nicht das Schlechteste ist. Zudem verdichten sich auch die Gerüchte, dass der 2013 abgegangene Gitarren-Sohn Richie Sambora vielleicht doch wieder in den alten Stall zurückkehren könnte - diverse Animositäten aus der Vergangenheit scheinen jedenfalls ausgeräumt zu sein. Ob wir Bon Jovi mit „Forever“ und den großen Hits noch einmal auf Tour sehen werden, bleibt fraglich. Erst wenn er wieder das Maximum seines Stimmumfangs zur Verfügung hat, will er auf die Bühne zurückkehren.
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