Stadtspaziergänge

Kein Sommer wie damals: Smalltalks werden hitziger

Wien
09.06.2024 17:00

„Krone“-Reporter Robert Fröwein flaniert durch die Stadt und spricht mit den Menschen in Wien über ihre Erlebnisse, ihre Gedanken, ihre Sorgen, ihre Ängste. Alltägliche Geschichten direkt aus dem Herzen Wiens.

Früher einmal hieß es, dass wenn man nichts mit dem Gegenüber anzufangen weiß, man über das Wetter redet. Was jahrzehntelang als ideale Unterlage für unverfänglichen Smalltalk diente, hat sich längst zu einem globalen Streitthema entwickelt, das nicht mehr ohne Geifer vor dem Mund geführt werden kann. Scherzte man einst noch gerne über den kommenden Regen und die daraus folgenden Nachteile in der Alltagsbewegung, kann es einem heute schnell passieren, dass der Gesprächspartner von Lena Schilling über Donald Trump bis hin zu den Illuminaten Schuldige für den nicht mehr aufzuhaltenden Klimawandel sucht und dabei die gewohnte Lockerheit einer zwanglosen Unterhaltung zeitgleich mit seinen Manieren und dem Gesprächsniveau in die nächste Ecke wirft. Wer nicht aufpasst, befindet sich im Nu in einer Stammtisch-Situation und dort fliegen die viel zitierten Hackeln gerne tief.

Vor ein paar Tagen machte sich in Wien erstmals der Frühsommer bemerkbar. Zehn Grad plus, von einem Tag auf den anderen. Vorerst vorbei schienen die nasskalten Nächte und die rekordverdächtigen Niederschlagsmengen, die so manchen Fluss im Land zum Überschwappen brachten. Für Sonnenhungrige ein Grund zur Freude, denn die Freibäder kommen langsam in Schwung, bei den anstehenden Musikfestivals muss man nicht im Gatsch waten und das verdiente Achterl Wein nach einem anstrengenden Arbeitstag lässt sich im legeren T-Shirt auch besser genießen als in der sperrigen Daunenjacke. Freilich ist der Grat zwischen unerträglicher Sommerhitze und gefühlter Kälte ein schmaler, doch bei tendenziell höheren Temperaturen lässt es sich doch entspannter leben.

Doch wo Sommer, da auch Hitzewellen und nachdem der vergangene Mai – global gesehen – wieder einmal der wärmste seit Beginn der meteorologischen Aufzeichnungen war, wachsen auch die Alltagsexperten wieder wie die Schwammerl aus dem Boden. Erst unlängst wurde ich Augen- und Ohrenzeuge einer U4-Debatte, die mit einer zarten Auslotung der gängigen Grillverhältnisse begann und beinahe in Mord und Totschlag ausgeartet wäre. Grund dafür: der Klimawandel. Der diesen leugnende Teil des Diskurs-Duos scherzte, mit dem Anwerfen des Grillers würde sein Konterpart die CO₂-Belastung bis ins Unendliche steigern – natürlich mit scharfem Unterton. Dieser, der Wissenschaft zugeneigte Mann, antwortete, wenig erbaut, mit: „Da wäre ich als Fahrer einer Verbrennerschleuder mit dem Urteil lieber vorsichtig.“ Sie können sich denken, dass die mündliche Kommunikation von dort zunehmend an Niveau einbüßte.

Zugegeben: Die aktuelle Weltlage lässt in Bezug auf Klimaprobleme auch nicht mehr viel Schmäh zu, aber die Sehnsucht nach einer zwanglosen und möglichst unbeschwerten Unterhaltung wird bei den Menschen zunehmend größer. Während manche festgefahren auf ihre – natürlich einzig gültige - Meinung beharren, gibt es immer öfter jene, die vor derartigen Gesprächen flüchten oder möglichst frei über ein Thema sprechen wollen, ohne dass es sofort zum amateurhaften Hauen und Stechen auf weltpolitischer Ebene kommt. Steigende Temperaturen befeuern auch innere Unruhe und Ungeduld, aber gerade bei den vor der Tür stehenden Hitzewellen tut es gut, einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht sofort an der Eskalationsschraube zu drehen. So schwer die Probleme mit dem Klima wiegen, manchmal möchte man sich einfach nur gemütlich unterhalten. Ohne Belehrung, ohne Analyse, ohne Diskurs. Wie in den Sommern von damals.

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