Sie waren einst erbitterte Feinde: Anwältin Astrid Wagner, Jack Unterwegers letzte Geliebte, und Ex-Kripo-Chef Ernst Geiger, der ihn zu Fall brachte. 30 Jahre nach seinem Tod diskutieren die beiden nun vor Publikum über den Serienkiller. Vorab gaben sie der „Krone“ ein hitziges Doppelinterview.
Es sind zwei Gegensätze, die hier aufeinandertreffen: SIE – die letzte Geliebte von „Jack“, die wohl nie damit aufhören wird, Zweifel an seiner Schuld zu schüren. ER – der Fahnder, der Unterweger seiner grauenhaften Taten überführt hat. Beide haben kürzlich Bücher über den Serienkiller verfasst. Verteidigend, freilich, das von Wagner; anklagend, freilich, das von Geiger.
Nun sitzen die zwei an einem Tisch im Wiener Café Landtmann. Unterweger hatte dort einst Lesungen gehalten, Stücke von ihm aufgeführt und oft Interviews gegeben. Über sein Kapitalverbrechen an einer Frau 1974; über seine verfrühte Haftentlassung 1990; vor allem jedoch über seine – bereits im Gefängnis gestartete – Karriere als Schriftsteller.
Die Verurteilung, der Suizid
Aber blicken wir auf den Juni 1994 zurück. Damals fand gerade im Landesgericht Graz der spektakuläre Prozess gegen den Täter statt. Das Urteil dann, am 28. Juni: lebenslang, wegen neunfachen Prostituiertenmords. „Jack“ erhängte sich daraufhin mit der Kordel einer Jogginghose in seiner Zelle. Was ging in Wagner, was ging in Geiger vor, nachdem sie von dem Suizid erfahren hatten?
„Ich brach weinend zusammen“, erinnert sich die Anwältin. „Ich war erstaunt, dass er diesen Schritt gesetzt hat“, so der Ermittler. Und ja, er wisse, „Astrid“ – er ist längst mit ihr per Du – habe ihn „zunächst für Unterwegers Freitod verantwortlich gemacht“. Sogar öffentlich. Was ihr bald per Justizbeschluss untersagt wurde. „Und unsere Fehde wurde noch größer.“
Für mich bestehen nach wie vor starke Zweifel an Jacks Schuld. Die Beweislage gegen ihn war nämlich keinesfalls erdrückend.
Astrid Wagner
Bild: Heinz Stephan Tesarek
Überraschend: „Eine kleine Ewigkeit hindurch kannten wir uns bloß aus den Medien.“ Selbst bei der Verhandlung gegen den Serienkiller wollen die beiden einander nie gesehen haben: „Wir waren eben an unterschiedlichen Tagen im Gerichtssaal.“
„Jack nannte ihn bloß ,Geifer’“
Wagner: „Jack berichtete mir bei Besuchen ständig, dass Ernst Geiger – den er ,Geifer‘ nannte – davon besessen sei, ihn zu vernichten. Ohne ihn entlastende Indizien zu berücksichtigen. Wie etwa, dass ein Freudenmädchen anfangs positiv – und erst nach Verhören negativ über ihn ausgesagt hatte. Oder dass bei manchen der Opfer bis zuletzt total unklar blieb, wann sie getötet wurden.“
Jack Unterweger, geboren am 16. August 1950, wuchs unter problematischen Umständen bei seinem Großvater in Kärnten auf. Bereits in der Jugend beging er Diebstähle und Einbrüche. Im April 1973 wurde er schließlich verdächtigt, eine junge Frau getötet zu haben – letztlich fehlten aber die für eine Anklage nötigen Beweise.
Als gesichert gilt: 1974 ermordete er eine 23-Jährige. 1975 wurde ihm deswegen der Prozess gemacht, er bekam lebenslang. In der Haft begann er, Gedichte und Romane zu schreiben, bekannte Künstler wurden auf ihn aufmerksam und feierten ihn als ein Musterbeispiel für eine gelungene Resozialisierung.
Die Folge: 1990 wurde der „Häfenpoet“ verfrüht in Freiheit entlassen. Kurz danach fing eine Mordserie an Prostituierten an. Elf Freudenmädchen – in Wien, in der Steiermark, in Vorarlberg, in Tschechien, in Los Angeles – soll „Jack“ mit grausamsten Foltermethoden hingerichtet haben.
1992 kam ihm die Polizei auf die Spur, kurz vor seiner geplanten Festnahme flüchtete er nach Miami, konnte dort aber bald gefasst werden.
1994 seine Verhandlung im Landesgericht Graz, Unterweger wurde dabei – „bloß“ – wegen neunfachen Mordes - verurteilt. Wenige Stunden nach dem Schuldspruch erhängte er sich in seiner Zelle.
Der Ex-Kripo-Chef wischt diese Argumente mit knappen Worten weg: „Die Prostituierten sind verschwunden, wenn Unterweger in ihrer Nähe war. Und was die genannte Zeugin über sein Verhalten von sich gegeben hat, war eigentlich unbedeutend. Wichtig war bloß: Sie konnte glaubhaft bestätigen, dass er am Straßenstrich unterwegs gewesen war. Und sowieso – unzählige andere Fakten sprachen ebenfalls gegen ihn.“
Trotzdem hätten der Täter und seine Anwälte es geschafft, manche Zeitungsredakteure davon zu überzeugen, dass „Jack“ zu Unrecht verdächtigt würde. Eine Meinung, die – laut Geiger – „in der Folge ein gar nicht geringer Teil der Bevölkerung übernahm“.
Eine Meinung, „die sich extrem verbreitet und verstärkt hat, als Astrid begann, sich für ihn einzusetzen. Eine sympathische, hübsche, kluge Frau, noch dazu eine Juristin. Wieso sollte sie sich an einen Killer binden? – dachten viele Menschen.“
„Nach einer Talkshow haben wir uns versöhnt“
Nachsatz, direkt an Wagner gerichtet: „Ich habe übrigens nie verstanden, warum du das getan hast.“ SIE: „Ich war jung, ich kannte Jack nur von seiner guten, seiner empathischen Seite.“
ER: „Er hatte keine gute Seite, er war abgrundtief böse.“ SIE: „Niemand ist nur böse. Vielleicht hatte er einen bösen Teil in sich, und wenn das so war, hat sich dieser infolge der Quälereien, die er in seiner Kindheit erleiden musste, ihn ihm entwickelt.“
Ich gehe davon aus, dass Unterweger in Wahrheit sogar 13 Frauen getötet hat. Er war eben tatsächlich ein klassischer Serienkiller.
Ernst Geiger
Bild: Heinz Stephan Tesarek
„Jedenfalls: Vor eineinhalb Jahren waren wir beide Gäste in einer deutschen Talkshow zum Thema Unterweger. Danach versöhnten wir uns bei einem Abendessen. Seitdem haben wir ein entspanntes Verhältnis zueinander.“
Wie viele Frauen hat er tatsächlich getötet?
Außer, wenn die zwei über „Jack“ reden – und dabei zum Beispiel über seine Opferzahl. Geiger: „Ich gehe davon aus, dass er in Wahrheit 13 Morde begangen hat. Den von ihm gestandenen in den 1970er-Jahren; einen weiteren, ebenfalls zu dieser Zeit, der ihm aber nicht nachgewiesen werden konnte. Und alle elf Taten, wegen derer er 1994 angeklagt gewesen ist.“
Wagner: „Ich denke, ihm wurden – zumindest einige – Verbrechen ,angehängt’.“ Und ohnehin sei seine Schuld „umstritten“, schließlich hätten ihn „zwei von acht Geschworenen freigesprochen“. ER: „Weil du für ihn leider tolle PR gemacht hast.“ SIE: „Oder weil er vielleicht doch kein Serienkiller war?“
Ab demnächst diskutieren die beiden vor Publikum über den Täter unter dem Titel: „Er trennt sie – er eint sie.“ Die Termine der Veranstaltungen sind über ihre Facebook-Seiten zu erfahren.
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