Vor sieben Jahren erfüllte sich eine Tiroler Hebamme mit der Liebe zur Musik mit Perchta ihren Traum. Seit 2022 ist man als Band live unterwegs und vermischt dabei harschen Black Metal mit folkloristischen und naturbelassenen Klängen. Nun erscheint das zweite Album „D‘Muata“, auf dem Frau Percht feministische und zeitgemäße Themen im Tiroler Dialekt mit ruralen Legenden vermischt. Ein frischer und erfolgreicher Farbklecks auf der musikalischen Landkarte.
Aus dem bairisch-österreichischen, alpenländischen Brauchtum stammt die Sage der Perchten und von Perchta. Sie ist die Herrin der Raunächte, Wintergöttin und Anführerin der wilden Jagd. Eine Art Totengöttin, aber auch Göttin der Fruchtbarkeit, die sie Getreide wachsen lassen, sowie Haus und Hof beschützen soll. Aus dieser Legende heraus hat sich eine musikalisch aktive Tirolerin 2017 ihr Alter Ego Frau Perchta heraus geschnitzt. Das anfangs als Solovorstellung konzipierte Projekt verbindet textliche Elemente aus alten Sagen und Bräuchen mit aktuellen Themen wie Mutterschaft, Naturschutz oder traditionelle Symbolik.
Die Texte erfolgen im Tiroler Dialekt, musikalisch vermischen Perchta, die seit 2022 mit bekannten Musikern aus dem heimischen Metal-Genre auch live spielen, raue Black-Metal-Klänge mit folkloristischen Schüben, Ambient-Einflüssen und ungewöhnlichen Instrumenten wie Hackbrett, Zither oder Teufelsgeige. Auf dem dieser Tage erscheinenden, zweiten Album „D’Muata“ werden feministische Gedanken und Naturspiritualität zu einem Mahlstrom an unikalen Klängen vereint. Flüstern, fauchen, jodeln und schreien sind als inhalts- und effektverstärkende Maßnahmen in den Songs nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht. Anlässlich des neuen Albums gab uns Bandgründerin und Frontfrau Frau Perchta tiefere Einblicke in Sein und Wesen des Projekts und ihr Leben abseits davon.
„Krone“: Frau Percht, zunehmend beobachtet man bei Bands wie Wardruna, Heilung oder auch Perchta, dass sich die Inhalte auf diverse Traditionen, Mythen und Sagen der jeweiligen Folklore berufen. Worin steckt für dich die Magie dieser Thematiken?
Frau Percht: Die Vielschichtigkeit und Naturverbundenheit dieser folkloristischen Geschichten interessieren mich schon seit jeher. Besonders spannend lassen sich aktuellere Themen mit alten Sagen und Märchen verbinden, um ihnen mehr Relevanz zuzusprechen. Wir sind gesegnet mit der Landschaft und der Kultur, in der wir aufwachsen durften und immer noch leben. Die uns umgebende Natur in Kombination mit der reichhaltigen Sagenwelt spiegelt sich in unseren Kompositionen wider. Die Extreme von Licht und Schatten, das Brachiale und das Feingefühl sind Kernelemente unseres Schaffens.
Mit allen drei genannten Bands geht es unaufhörlich nach oben. Manche spielen große Festivalslots und Open-Air-Shows, andere wachsen noch im Undergrundbereich. Warum haben Bands, die Natur und Mystizismus so in den Vordergrund stellen, deiner Meinung nach so viel Zulauf?
Ich freue mich nicht nur musikalisch über diese Entwicklung und diesen Sinneswandel. Er vermittelt aus meiner Sicht ein globales Besinnen auf unsere Ursprünge, der Achtsamkeit und Nachhaltigkeit. So spiegelt nach meiner Auffassung der musikalische Trend auch das bewusstere Leben vieler Menschen wider in puncto vegane Ernährung, Müllreduktion, Klimaneutralität etc. In einer (ersten) Welt des Überflusses mit einer konsumgesteuerten Gesellschaft tut es gut, sich auf Beständigkeit, Echtheit und Vertrautheit zu besinnen. In unserem Sounddesign achten wir sehr darauf, Emotionen mittels zum Beispiel ASMR-Klängen (sie forcieren ein entspanntes und beruhigendes Gefühl – Anm. d. Verf.) und Naturgeräuschen zu vermitteln, um ein intensiveres Hörerlebnis zu bieten. Jenes Gefühl, fern von Plastik und Medien an einem Lagerfeuer in den Bergen zu sitzen und den alten Geschichten und Geräuschen der Natur zu lauschen.
Wofür steht einerseits die Band Perchta und wofür stehst du als Frau Percht? Welche Botschaften trägt ihr in die Welt und folgen Lieder, Alben und Band als Gesamtes einem Konzept, das schon weit vorausgedacht ist?
Ich habe als Frau Percht unglaubliches Glück, mit meinen Perchten fantastische Musiker hinter mir stehen zu haben, die mehr sind als nur Bandmitglieder. Ich betrachte sie viel mehr als meine Brüder, mit denen ich eine wundervolle Zeit vor, hinter und auf der Bühne verbringen darf. Als Familie weben wir ein starkes Band des Vertrauens und tragen alle Entscheidungen gemeinsam. Je nach Talent und Begabung werden die Aufgaben verteilt. Mir obliegt, mit großer Dankbarkeit und Ehrfurcht, die kreative Ausarbeitung unserer Projekte. So gab es bereits seit 2013 vor der offiziellen Bandgründung 2017 drei fast vollständig ausgearbeitete Albumkonzepte.
Jedes in sich stimmig und zusammenhängend, sowie auch mit Parallelen zu den anderen Alben. Das große allumfassende Konzept beschreibt die Zyklen des Lebens. In „Ufång“ den Kreislauf der Natur auf Elementarbasis und in „D‘Muata“ behandeln wir den Kreislauf des Lebens mit Fokus auf den weiblichen Zyklus. Mit Reichweite kommt Verantwortung, deshalb sehe ich es als unsere Pflicht an, für uns gehaltvollen Kontext zu verbreiten, ohne aber dabei missionarisch tätig zu sein. Mit „D‘Muata“ wollen Cartis Mandua, eine großartige österreichische Künstlerin, mit der wir sehr viel zusammenarbeiten, und ich eine kleine Bewegung starten, um mehr Zusammenhalt unter uns Künstlerinnen zu schaffen. Diese soll unter dem Namen „Schuiterschluss da Schwestanschåft“ in die Welt getragen werden und zu mehr Verbundenheit, Akzeptanz und Authentizität unter Frauen beitragen.
Wenn wir Perchta mit Heilung oder Wardruna im Vergleich sehen – siehst du bei allen drei Projekten grundsätzliche Ähnlichkeiten in der inhaltlichen Auffassung oder Herangehensweise? Seid ihr Geschwister im Geiste?
Unter meinen ewigen Top-10-Alben zählt ganz klar „Runaljod – Gap Var Ginnunga“ von Wardruna. Als ich dieses Album 2009 entdeckte, offenbarte sich eine neue musikalische Welt vor meinem inneren Auge. Seither begleitet mich diese Musik, auch wenn ich jetzt nicht mehr den neuen/weiteren Schaffensprozess von Wardruna verfolge. Ich zehre von der Magie des ersten Albums. Es kommt des Öfteren vor, dass Perchta mit Heilung verglichen wird, auch wenn ich selbst nur wenig Parallelen erkennen kann. Vielleicht liegt es an den Haaren, oder an ritualistischen, folkloristischen Elementen in der Bühnenpräsenz oder der Musik.
Ich habe größte Hochachtung vor diese/n KünstlerInnen, die mit größter, detailverliebter Hingabe ihr Werk in die Welt tragen. Ich durfte bereits zweimal als Zuschauerin die beeindruckende Show in München erleben. Was Perchta klar von den zwei Größen unterscheidet, ist der Black-Metal-Rahmen den unsere Musik kleidet. Auch wenn wir unser Schaffen nicht gern in Genres einteilen, bildet er für uns einen geeigneten Rahmen, um unser Konzept von Brachialität und Feinheit zu unterstreichen. Dies verschafft uns ein Nischenleben im Metal, doch wir lieben unsere Freiheit und haben andere Prioritäten im Leben. Wir genießen jeden Moment, den wir durch unsere Musik erleben dürfen, aber nicht um jeden Preis.
Ganz grundsätzlich: Wo treffen sich alpenländische Folklore und nordische Mythologie? Inwieweit hat ein Begriff wie Esoterik Gewicht in deiner musikalischen und konzeptionellen Welt?
In den Sagen und der Folklore sehen wir weltweit viele Zusammenhänge. Um zum Beispiel den geografischen Weg der Frau Percht zu verfolgen, sehen wir, wie sie nördlicher zur Frau Holle wird und weiter unten in Skandinavien zu Frigga. Ich liebe diesen verbindenden Gedanken. Wir sind alle eins, wir haben alle den gleichen Ursprung. Dies kann durchaus als spiritueller Aspekt von Perchta gesehen werden. Sei es die Macht der Drei, die Elemente, die Symbolik oder das Hexencredo, das in Artwork oder Lyrics von Perchta viel Platz findet.
Vom Wort Esoterik nehme ich privat, persönlich und beruflich eher Abstand. Für mich zählt ein Leben nach den Prinzipien der Natur, im Einklang mit meiner Umgebung. Achtsamkeit und bewusstes Erleben haben für mich wenig mit externen Kräften zu tun, vielmehr mit einer Stärke und einem uralten Wissen, das jedes Lebewesen in sich trägt.
Wie lassen sich Bands/Projekte wie eure denn mit einem Zuwachs an Fans und Anhängern aus der Gesellschaft verbinden? Ist es überhaupt „gesund“, weiter in die Breite zu wachsen?
Wie bereits in der oberen Antwort erwähnt, liegen gerade bei mir die Prioritäten anders verteilt. Für mich als Mutter, freiberufliche Hebamme und Frontfrau gestaltet sich jeder Tag als eine neue Zerreißprobe und logistische Meisterleistung. Trotz allem liebe und brauche ich jeden Bereich meines Lebens. Um möglichst „gesund“ den Traum Band zu erleben, benötigt es für mich ein starkes soziales Netzwerk, innerfamiliär und Band-intern. Dazu eine klare und offene Kommunikation und das bewusste Wahrnehmen der eigenen Grenzen.
Voller Genuss zelebrieren wir gemeinsame Songwritingsessions, Bandproben, Roadtrips, teilen das unglaubliche Erlebnis auf der Bühne und danach die Gespräche mit den Menschen, die unsere Musik fühlen und schätzen. Uns geht es keinesfalls um möglichst viel Zuwachs und um den Like-/Follower-Counter in den sozialen Netzwerken. In den Gesprächen mit den Leuten vor und hinter der Bühne, sowie via Mail, erleben wir unglaubliche Wertschätzung, was unser Schaffen und unsere bewusst wenigen Livekonzerte und die Onlinepräsenz angeht. So gehen wir weiter unseren Weg – voller Zuversicht. Mit der Gewissheit, dass Qualität vor Quantität richtig für uns ist und ZuhörerInnen erreicht, die dieses Prinzip gleichermaßen schätzen wie wir.
Was sind die Werte oder Traditionen, die ihr mit Perchta vermitteln wollt? Und wovon bist du selbst inspiriert?
Wir möchten nicht missionarisch tätig sein, indem wir den Leuten unsere Glaubensgrundsätze eintrichtern. Während dem Prozess des Songwritings befindet sich wohl jeder Künstler in einer äußerst vulnerablen Phase. Themen, die uns bewegen, wie etwa Naturschutz, Achtsamkeit, Frauenrechte etc., wurden in beiden Konzeptalben mit viel Herzblut in das musikalische Netz von Perchta verwoben. Die uns umgebenden Wunder der Natur sowie die liebevoll und detailverliebten Traditionen unserer alpenländischen Kultur mit all ihrer Symbolkraft ergeben durch alle Jahreszeiten einen unstillbaren Fluss an Inspiration ohne stupiden patriotischen Hintergedanken.
Aus welchen Geschichten oder Sagen schöpfst du lyrisch für die Perchta-Songs? Was sind – musikalisch und auch inhaltlich – elementare Stilmittel, die als fortlaufende Grundlage dienen?
Wie bereits erwähnt, werden unsere Konzepte zyklisch angelegt. Wir lieben den allumfassenden, verbundenen Gedanken, ganz nach dem Gaia-Prinzip: das Große im Kleinen und das Kleine im Großen. Neben der Sage von der Frau Percht als Seelenführerin ihrer Kinderschar, gefielen uns für das weibliche Konzept besonders die zwei Sagengestalten der Långtuttin und der Stampa. Beide Figuren ähneln sich in ihren Märchen. Sehr düster verpackt und in einem Alpenhorror-Soundtrack, mit verstörenden ASMR-Geräuschen von knarzenden Balken, einer quietschenden Ofentür, Kratzen und Klopfen gespickt, werden aus Sicht der Dämonen die Sagen und das düstere Verlangen nach einem Kind dargebracht. Die Ursprünge dieser Überlieferungen lassen sich auf die dunklen und erbarmungslosen Zeiten der historischen Tiroler Seitentäler zurückführen, in denen das Leben von Schmerz und Leid durch den Verlust eines Kindes geprägt war oder man mit gezielter schwarzer Pädagogik die Kinder davon abhalten wollte, allein in die Wälder zu gehen.
Die Långtuttin lockte Kinder an, indem sie ihnen die Brust anbot, um sie dann zu verspeisen. Die Sage der Stampa gibt es nur im Tiroler Gurgltal. Dieses Wesen entführte unbeaufsichtigte Neugeborene aus dem Wochenbett. In anderen Kulturen findet man Vergleichbares in den „Wechselbalg“-Geschichten. Mich interessiert immer die Bedeutung hinter einer Sage bzw. einer Sagenfigur. So legten wir ebenfalls die traumatischen Hintergründe von unerfülltem Kinderwunsch, Verlust eines Kindes oder Misshandlung/Vernachlässigung in der Erziehung, in diesem Stück aus. Black Metal gibt uns in seiner Radikalität bestimmt einen geeigneten Rahmen und die folkloristischen, traditionellen Instrumente wie z.B. Hackbrett und Zither liefern einen für uns perfekten Gegenpol dazu. Gerade Moosmandl schafft es mit seinen Harmonien am Hackbrett die Alpen direkt auf die Seele zu projizieren, egal wo man sich gerade befindet.
Geht es bei Perchta und auch in deinem Leben außerhalb der Band auch um eine basische und echte Lebensweise? Hast du ein Credo, das sich etwa Begriffen wie Neoliberalismus oder dem Kapitalismus so weit wie möglich entzieht?
Perchta ist ein Teil von mir und die Einstellung und Philosophie, die man in Perchta findet, spiegelt sich ebenso in meinem täglichen Leben wider. In der heutigen Zeit, in der sich alles schneller bewegen muss und grenzenloses Wachstum sich den Limits für Mensch und Planet nähert, ist es umso wichtiger, im Einklang mit sich selbst und der Umgebung um einen herum zu leben. Mir ist es wichtig, mich auf die Dinge zu besinnen, die das Leben einzigartig und wertvoll machen. Dazu gehören keine materiellen Errungenschaften, Aktienspekulationen oder Mainstream-Anerkennung. Es sind Momente, an die man sich ewig erinnert, es ist die Familie, die einen mit so viel Liebe erfüllt, wie es sonst nichts könnte, und es sind die Begegnungen mit Menschen und deren Geschichten.
Ich fühle sehr stark, wie wichtig ein Miteinander ist, und es schmerzt, wie gegeneinander die Welt ist. Deswegen mache ich es mir auch im täglichen Leben zur Aufgabe, das Miteinander zu fördern und zu leben. Ich weiß nicht, ob man das als „echt“ bezeichnen sollte. Das würde denen die Meinung absprechen, die das anders sehen, was ich mir nicht herausnehmen will. Dennoch bin ich überzeugt, dass dieses Gefühl, das Zwischenmenschliche zu schätzen und zu lieben, für jeden Menschen eine Bereicherung sein kann und eben jenes Glück beherbergen kann, dass man auf seiner Reise durchs Leben stets zu suchen pflegt.
In welchem Rahmen finden Perchta-Texte statt? Also: zwischen Hexenmagie, Naturmagie und spirituellem Lokalkolorit – gibt es noch weitere Bereiche, in die du ausscheren kannst/willst?
Aus aktuellem Anlass fand ich für die Texte von „D‘Muata“ starke Inspiration aus meinem eigenen Leben als Hebamme, Mutter und Frau. Ebenfalls bekam ich auch Eingebungen aus Gesprächen mit Freundinnen und den Beobachtungen des Weltgeschehens. Der Text vom „Wehenkanon“ begleitet mich beispielsweise bereits seit den Anfängen meiner beruflichen Tätigkeit. Dieses stärkende Mantra habe ich bereits für werdende Mütter und teils auch mit ihnen gesungen, während ich sie durch den Geburtsprozess begleiten durfte. Andere Lyrics entstanden nach der Geburt meines Sohnes oder im Zuge der Ideenfindung, für die ich mich meist selbst für ein paar Tage auf einer Alm isoliere.
Bei Wardruna kann man Themen durchaus gut in die Gegenwart projizieren. Ich glaube, das ist auch bei Perchta möglich, wenn man an Klimaschutz oder Naturbelassenheit in einer Welt der zunehmenden Bodenversiegelung denkt. Ist dem wirklich so und zielen viele Songs besonders auf die Gegenwart ab?
Durchaus sind die meisten Inhalte unserer Lieder höchst aktuell. Ich betrachte Perchta gerne als Gesamtkunstwerk, denn für uns ist das Konzept hinter der Band und den Alben mindestens genauso wichtig wie die Musik, die wir schreiben. Vollgepackt mit Symbolik und Anspielungen auf das aktuelle Weltgeschehen gibt es hinter dem folkloristischen, rustikalen Mantel immer viel zu entdecken und zu erkennen. Sei es der Naturschutz in „Erdn“ oder das Thema der häuslichen Gewalt gegen Frauen in „Ois wås ma san“ zeigen wir gerne mit den scharfen Klauen der Perchta auf gesellschaftliche Probleme und regen somit zum Nachdenken an.
Beinhaltet der Zugang des Projekts Perchta eine gewisse „Früher war alles besser“-Romantik? Oder erschafft ihr euch im Prinzip eine Art von Wunsch-Vergangenheit, um euch die Gegenwart so zu richten, wie ihr sie am liebsten hättet?
Nein, im Gegenteil. Gerade die raue, kalte und angsteinflößende Mystik und Atmosphäre unserer Geschichte lassen uns den Schmerz so mancher Vorfahren aus abgelegenen Bergdörfern transportieren und aus ihnen lernen. Doch stets mit dem Blick nach vorne gerichtet, auf eine hoffnungsvolle Zukunft. Im Vertrauen zur allumfassenden, stets regulierenden Natur, die jedes Individuum im Zyklus des Lebens wieder aufnimmt.
Wie weit ist Perchta als Band ein Ventil für deine Emotionen, Sehnsüchte, Begierden und Wünsche bzw. wie weit reicht das Projekt in dein Privatleben rein? Oder gibt es hier eine strikte Trennung?
Eine höchst emotionale Frage für mich! Die Percht als Bühnenfigur wird meinerseits kurz vor dem Konzert mit größter Ehrfurcht angelegt. Wie in der Übergangsphase einer Geburt gebe ich ihr meinen Körper hin und bin jedes Mal aufs Neue erstaunt und verblüfft, was passiert. Es war ein Prozess, gegen den ich mich anfangs oft wehrte, um den Kontrollverlust auszustellen. 2017 wurde Perchta als reines Studioprojekt betrachtet, ohne Absichten jemals live zu spielen. Doch ich lernte mit der Zeit diesen Prozess zu gewähren und mich treiben zu lassen, ja, ihn sogar zu genießen. Als konfliktscheuer, sensibler und harmoniebedürftiger Mensch waren Gefühle wie Wut und Aggression für mich immer sehr negativ behaftet und ich konnte diese Emotionen nur schwer ausdrücken oder aushalten, geschweige denn mit ihnen umgehen.
Mein Unterbewusstsein verarbeitete sie im Schlaf und so plagten mich über Jahrzehnte Albträume. Es blieb nur mehr die Flucht ins luzide Träumen, aus denen ebenfalls die Vision zu Perchta entsprang. Es gibt kein Licht ohne Schatten. Ich brauche die Percht. Mit tiefer Dankbarkeit lege ich diese Rolle nach einem Konzert aber wieder genüsslich ab. Eine Show ist für mich wie ein emotionaler Hochseilakt voller Ekstase. Die Nächte sind seither ruhig und friedlich.
Inwieweit ist die Hinzunahme von Symbolik für Perchta wichtig? Woraus bestehen Instrumente, Bühnen-Equipment oder zusätzliche optische Features? Bastelt ihr die selbst zusammen und woraus bedient ihr euch da bzw. woraus bestehen Requisiten oder Kostüme?
Nahezu alles Visuelle ist handgemacht, besteht aus Naturmaterialien und wurde mit größter Sorgfalt ausgewählt. Die Symbolkraft versteckt sich in jedem Detail. Angefangen von der Bühnendekoration, die aus Ästen aus unserem Waldstück besteht, über Knochenfragmente von Wildkadavern, die eigens für diesen Zweck präpariert wurden, damit der Tod dieser Wesen geehrt und wenigstens noch ein wenig Sinnhaftigkeit bekommt, bis hin zu Familienerbstücken, die weitergetragen werden. Das Gewand der Percht ist ein traditionelles „Kasettl“, oder auch „Röcklgwand“ genannt, das nur im Tiroler Unterinntal zu finden ist. Es wurde von einer befreundeten Schneiderin per Hand leicht modifiziert und ebenfalls mit Erbstücken der Familie geschmückt.
Für mich ist die Verbindung zu meinen Ahnen über diese Reliquien äußerst wichtig. Sie stärken mich und geben mir während eines Auftritts Beistand. Der Mikrofon-Hexenbesen, die Trommel, die Teufelsgeige und der Ranzen wurden nach meinen Vorgaben von Schmieden, Schneiderinnen und Istrumentenbauerinnen aus der unmittelbaren Umgebung angefertigt. Selbst die Gewandung der Perchten sind jedes für sich höchst individuell abgestimmt. So trägt unser Gsell seine Zimmererkluft und der Woidschrat eine über 70 Jahre alte Lederhose. Der schwarze Handabdruck, den sie im Gesicht tragen, wird in einem kleinen internen Ritual vor der Show von der Percht als Symbol der Verbundenheit aufgetragen.
Welche Kooperationen mit welchen anderen Künstlern oder Stilen sind für dich mit Perchta realistisch und denkbar? Und welche weiteren Schritte sind mit dem Projekt noch geplant?
Durch unsere offene und kontaktfreudige Art konnten während unserer Konzerte in den letzten Jahren viele Freundschaften geschlossen werden. Wir freuen uns auf einige aufregende Kooperationen in der Zukunft. Wir leben und zelebrieren den vernetzenden Gedanken in unserer Szene, gerade weil wir selbst als Musiker von Perchta viel beschäftigt in weiteren Projekten tätig sind ( z.B. Asphagor, Vinsta, Lichtspielhaus, Agrypnie, Wesen, Firtan). Zum Tourabschluss wird es im November rund um die Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ eine von uns selbstorganisierte Show in Innsbruck mit Fokus auf Gewaltschutz und Menschenrechte geben.
Neben den Konzerten wird es eine Vernissage von drei deutschen und österreichischen Künstlerinnen geben, deren Kunstdrucke zu Gunsten der Tiroler Frauenhäuser verkauft werden. Ganz besonders freuen wir uns im Zuge dieser Veranstaltung auf die Lesung der Autorin/Journalistin Julia Korbik aus ihrem Buch „Schwestern – die Macht des weiblichen Kollektivs“. Ganz im Sinne unseres Mottos für „D‘Muata“: Schuitaschluss da Schwestanschåft!
Im Herbst live in Innsbruck
In Österreich ist Perchta das nächste Mal am 30. November im Innsbrucker PMK live zu sehen – davor stehen noch einige Termine in Deutschland an. Weitere Gigs später im Jahr sind durchaus noch im Bereich des Möglichen. Unter www.perchta.tirol finden Sie weitere Informationen und alle weiteren Termine der Band.
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