Bald live in Wien

Bad Religion: Als der Punkrock intelligent wurde

Musik
18.06.2024 09:00

Die Gründung von Bad Religion 1980 prägte den Punkrock wie kein Ereignis. Im Buch „Do What You Want – The Bad Religion Story“ wird die einzigartige, aber meist unter dem Mainstream-Radar verlaufende Karriere der Kalifornier mit allen Höhen und Tiefen nachgezeichnet. Am 2. Juli spielen sie im Wiener Gasometer.

(Bild: kmm)

Wenn die Temperaturen steigen, die Bäume wieder grün werden und die Wiener Arena langsam ihre Open-Air-Pforten öffnet, dann ist in Österreich wieder Punkrock angesagt. Alljährlich tingeln Bands wie The Offspring, Green Day oder Bad Religion beständig wie ein Zirkus über den alten Kontinent, um eine Mischung aus juveniler Nostalgie und zeitloser Energie über die europäischen Indoor- und Outdoor-Flächen zu versprühen. US-Amerikanischer Punkrock ist hierzulande ein nicht zu kaputt kriegendes Erfolgsmodell, das alle Tiefen und Trendwenden relativ mühelos überstanden hat. Wenn sich in dünneren Jahren manch Einzelkonzerte zwischenzeitlich nicht sonderlich gut verkauft haben, dann wurden die Bands mit Sicherheit bei den Festivals abgefeiert.

Die Ursuppe des Punkrocks
Als sich NOFX unlängst bei zwei ausverkauften Arena-Freiluftkonzerten in die Frühpension verabschiedeten, stand bei der – genauso kultigen – Vorband Circle Jerks Gitarrist Greg Hetson auf der Bühne. Dieser war bis 2013 fast 30 Jahre lang integres Mitglied der Cali-Punks Bad Religion, ohne die es die gesamte Szene in dieser Form wahrscheinlich nicht geben würde. Greg Graffin, Brett Gurewitz und Co. waren mit ihrer Gründung 1980 nicht nur die Ursuppe der Punkrock-Bewegung, wie wir sie heute kennen, sie prägten das gesamte Genre mit einer bedingungslosen Prägnanz, die heute gar nicht mehr so auffällt, weil Green Day, The Offspring, Blink-182 und wie sie alle heißen mögen kommerziell links und rechts an den Urvätern vorbezogen, aber alle von ihrer Musik und den unumstößlichen Prinzipien zehren.

In „Do What You Want – The Bad Religion Story“ (Hannibal Verlag) lässt sich auf fast 400 Seiten detailliert nachverfolgen, wie eine Gruppe Gleichgesinnter von der heimischen Garage aus zu Weltstars wurden, die es auf „Tony Hawk“-Computerspielsoundtracks, indische Bühnen und in die Herzen von Millionen Fans schafften. Niedergeschrieben wurde die Lebensrückschau von Szene-Intimus und Punkrock-Journalist Jim Ruland, der sich eine Zeit lang akribisch mit aktuellen und Ex-Mitgliedern zusammensetzte, zu Recherchezwecken (und zum Leidwesen der Familie) die üppige Diskografie von Bad Religion daheim wieder und wieder hörte und sich auch nicht scheut, auf unpopuläre Themen zurückzugreifen. Neben der chronologischen (und oft etwas ermüdenden) Detailvorstellung von Alben und Songs samt Inhalten sind es natürlich die Ecken und Kanten, die diese Biografie zu einem besonderen Stück für Fans und distanziertere Interessierte gedeihen lässt.

Texte wie niemand anderer
Die Band geht zuweilen durchaus hart mit sich selbst ins Gericht. Etwa wenn über Gurewitz‘ zweifach ausgebrochene Heroin-Sucht und den nicht enden wollenden Alkoholismus von Jay Bentley und Brian Baker referiert wird, die Familien bröckeln ließ und in schmerzhaften Entziehungskuren endeten. Von den hedonistischen Versuchungen des Musikgeschäfts verschont blieb nur „Professor“ Graffin, der sich als bekennender Atheist schon immer lieber auf Geologie und Evolutionsbiologie fokussierte, dort seinen Doktor machte und auch zwei Fachbücher dazu schrieb. Man bekommt im Buch exakte Einblicke in die zeitlich akribische Aufteilung zwischen Wissenschafts- und Band-Leidenschaft, die von den Mitgliedern stets bereitwillig mitgetragen wurde. Die mannigfaltigen Interessensfelder führten früh dazu, dass Bad Religion schon immer die intelligentesten, philosophischsten und fintenreichsten Texte schreiben, während ihre Nachfolger verlorenen Liebschaften nachtrauerten oder den schleichenden Verlust der Adoleszenz beklagten.

Besonders interessant muten manche Seitenstränge der Bandhistorie an. So wären Bad Religion mit dem an Prog Rock angelehnten Zweitwerk „Into The Unknown“ 1983 fast in der ewigen Versenkung verschwunden, bis ihnen 1988 mit „Suffer“ nicht nur ein fulminantes Comeback, sondern vielleicht das wichtigste Punkrock-Album der US-Geschichte gelang. Dieses Album holte nicht nur ein völlig brachliegendes Genre wieder Richtung Mainstream, es diente auch als kompositorische Blaupause für so ziemlich alle Bands, die später auf Epitaph Records veröffentlichen sollten. Epitaph ist das weltgrößte Indie-Label, für das Gründer und Chef Gurewitz zwischenzeitlich Bad Religion ganz (und später nur live) verlassen hat, dabei aber zu einem multimillionenschweren Musik-Tycoon wurde, der mit The Offsprings „Smash“ das erfolgreichste Indie-Album aller Zeiten vertrieb. Die Rückschau bricht auch mit dem Klischee der besten Freunde. Über die einzelnen Kapitel wird unmissverständlich klar, dass der Umgang innerhalb der Band immer professionell, aber nie liebevoll vonstattenging.

Wichtiger als wahrgenommen
Die Geschichte von Bad Religion ist eine viel zu wenig ins Rampenlicht gestellte, weil die handelnden Protagonisten nie so schillernd waren wie ein Kurt Cobain, ein Prince oder eine Amy Winehouse. Man wird Zeuge von der beeindruckenden Beharrlichkeit, aller Rückschläge, Streitereien und Line-Up-Wechsel zum Trotz immer durchgehalten zu haben. Sich textlich stets mit Tagespolitischem und Wissenschaftlichem auseinandergesetzt zu haben, ohne gewissen Trends nachzuhecheln. Sich musikalisch manchmal etwas zu weit aus dem Fenster gewagt, aber trotzdem stets die Fans und das Fundament im Blickfeld gehabt zu haben. „Do What You Want“ beleuchtet die vielleicht wichtigste Band eines Genres, deren Wichtigkeit nirgendwo so wahrgenommen wurde, wie es verdient gewesen wäre. Ein einzigartiges Paradoxon des Musikgeschäfts. Der eingangs erwähnte Greg Hetson hat übrigens als einziger nicht Stellung zur Bandgeschichte bezogen. Warum, das lesen Sie im Buch am besten selbst.

Live in Wien
Wie fast jedes Jahr machen Bad Religion natürlich auch heuer wieder bei uns Station. Am 2. Juli spielen sie mit den Lokalmatadoren DeeCRACKS im Wiener Gasometer – welche Nummern und in welcher Art und Weise, das bleibt wie immer bis zum letzten Moment ein Lotteriespiel. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und weitere Informationen für das hochsommerliche Punkrock-Highlight rund um Greg Graffin und Co.

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