Die Gummistiefel blieben in den Campingzelten – nach zwei Jahren im Gatsch zeigte sich das Nova Rock zum Auftakt 2024 von seiner milden, später sogar sonnigen Seite. Das gefiel auch Acts wie Green Day, Billy Talent oder Jane‘s Addiction, die für einen starken Festivalauftakt sorgen konnten.
Den ersten Rückschlag gibt es für die Nova Rocker schon bevor sich die Tore zum Hauptgelände öffnen. Bereits um 8 Uhr morgens vibrieren die Smartphones und die offizielle Festival-App zeigt die Absage von Corey Taylor an. Der Slipknot-Frontmann wäre mit seiner Solo-Show eines der größten Highlights zum Eröffnungstag gewesen, erkrankte aber, sodass er nach einem geplanten Auftritt in Tschechien auch das Stelldichein auf den Pannonia Fields sausen lassen muss. Das wiederum kommt den heimischen Horrorpunk-Urgesteinen Bloodsucking Zombies From Outer Space zugute, die ihre nachvollziehbare Nervosität live gut verbergen und eine astreine Show auf die Beine stellen. Für die Nacht- und Nebelaktion mussten die Mitglieder kurzfristig Urlaub nehmen und sich spontan in den Band-Van zwängen – ein für alle Seiten lohnenswertes Unterfangen, das ihnen sicher noch länger in Erinnerung bleiben wird.
Topstar betreibt sein Hobby
Das tolle Programm macht es denn Fans heuer schon am ersten Tag nicht leicht. Dogstar mit Hollywood-Schauspieler Keanu Reeves zeitgleich auf der Blue Stage gegen ex-Slayer-Gitarrist Kerry King auf der Red Stage. Die Alternative-Heroen Jane’s Addiction gegen die jungen Palaye Royale – nicht einfach! Vor allem, wenn Bands wie die deutschen Punkrock-Urgesteine Donots, das angesagte britische Kollektiv Hot Milk oder Asinhell für Furore sorgen. Letztere bestehen aus der deutschen Death-Metal-Sängerlegende Marc Grewe (Morgoth) und dem dänischen Volbeat-Chef Michael Poulsen, der sich hier wieder an seine frühen Death-Metal-Tage erinnert. „Bevor mit Volbeat alles explodierte, spielte ich in Dänemark in der Death-Metal-Band Dominus, diese Leidenschaft habe ich nie verloren“, erzählt er der „Krone“ dafür im Tourbus.
Bei Asinhell würgt Poulsen die Gitarre, verzichtet aber auf den Gesang. Die tiefen Growls besorgt sein langjähriger Freund Grewe, der schon in den frühen 90er-Jahren Szenegeschichte schrieb. „Mit Michael zu arbeiten, ist eine große Freude. Wir verbinden unsere Leidenschaft und haben einfach nur Spaß.“ Dass Poulsen auf der Bühne stimmlich so gar nicht in Erscheinung tritt, hat auch mit den mittlerweile drei Stimmband-Operationen zu tun. „Ich könnte in dieser tiefen Lage gar nicht mehr singen“, gibt er geknickt zu, „aber Marc ist einer DER Sänger des Genres. Mit ihm will ich mich nicht messen. Ich spiele Gitarre, wir schreiben unkompliziert gemeinsam Songs und genießen die Zeit.“ Später im Jahr steht auch noch die Arbeit an einer neuen Volbeat-Platte an, die dann 2025 das Licht der Welt erblicken wird. Jetzt liegt der Fokus aber voll und ganz auf Asinhell – den Nova Rockern gefällt die Show nicht zuletzt wegen der spielfreudigen und sympathischen Wildheit – Volltreffer.
Thrash-Metal-Hitstakkato
Die großen Massen bleiben früher am Tag noch aus. Die Freude über die aufkommenden Sonnenstrahlen und ein gemütliches Platzerl mit Bier und Essen verteilt am Gelände scheint größer zu sein, als sich gleich bei den ersten Bands des Festivals zu verausgaben. Bei den deutschen Punkrock-Urgesteinen Donots wird es erstmals gut voll, auch die Interrupters können auf ein erkleckliches Publikum zählen. Der Boden ist zu einem sehr großen Teil angenehm stabil und man versinkt nicht im Gatsch, wie es die letzten beiden Jahre zuhauf der Fall war. Mit der langsam untergehenden Sonne steigert sich auch das Starpotenzial auf den Pannonia Fields. Direkt nach Asinhell liefert ex-Slayer-Gitarrist Kerry King mit einer All-Star-Band aus Death Angel-, Hellyeah- und Machine Head-Mitgliedern ein pyrogeladenes Thrash-Metal-Brett, das die Erde beben lässt. Mit „Disciple“, „Raining Blood“ und dem kultigen „Black Magic“ streut er auch zwei Songs seiner alten Band ein. Stimmig, erbarmungslos, auf den Punkt gespielt.
Der wahre Star des ersten Festivaltages entert währenddessen die Blue Stage. Keanu Reeves, bekannt aus Filmklassikern wie „Speed“, „John Wick“ und „Matrix“, spielt mit seiner Rock-Combo Dogstar erstmals in Österreich. Der Superstar gründete die Band mit Freund und Schlagzeuger Robert Mailhouse schon 1991, 2020 reaktivierte er sie nach knapp 20-jähriger Pause wieder, um seiner Liebe zum Bassspiel Ausdruck zu verleihen. Reeves selbst ist nicht nur Backstage ein beliebtes Selfie-Motiv, sondern zeigt sich auch Fan-nah und erfüllt durch den Zaun so manchen Autogrammwunsch. Die Band selbst spielt eher ereignislosen und in die Jahre gekommenen Grunge mit Alternative-Rock-Appeal, der ohne die Prominenz ihres Bassisten nicht sonderlich auffallen würde. Reeves spult sein Set meist zu Boden schauend ab, bei Drummer Mailhouse schaut kurzzeitig Jane’s Addiction-Schlagzeuger Stephen Perkins vorbei. Ein Highlight ist das The Cure-Cover „Just Like Heaven“. An die schauspielerischen Qualitäten Reeves‘ kommt seine Musik aber nicht ran.
Rotwein und Walzer
Jane’s Addiction, deren erstes und einziges Österreich-Konzert aus dem Jahr 1991 in der Wiener Szene datiert, sind vor dem Auftritt das große Fragezeichen. Im Mai spielte Frontmann Perry Farrell erstmals wieder mit Gitarristen und Skandalnudel Dave Navarro zusammen, bislang ging alles überraschend souverän über die Bühne. „Große Bands haben immer ihre Probleme“, erzählt der exzentrische Frontmann Perry Farrell der „Krone“ im Gespräch humorig, „das wiederum bedeutet, dass wir wohl eine wirklich große Band sind.“ Die nostalgiegeschwängerte Show begeistert mit einer psychedelischen Grunge-Rückschau, alternativen Rock-Einsprengseln und einem überraschend gut bei Stimme befindlichen Farrell, der wahlweise mit Rotweinflasche oder Teebecher über die Bühne stolziert. Das vornehmlich junge Nova-Publikum nimmt die Band als eher kurios auf, bei den sanften Nummern bleibt sogar Platz für ein paar Walzerschritte unter den leicht Illuminierten.
Als nicht einwandfrei sattelfest erweist sich die Technik am Eröffnungstag. Während Palaye Royale auf der Red Stage für Stimmung sorgen, versagen die Lautsprecher Richtung Zuseher, was die Band erst später mitkriegt und mit viel Witz überspielt. Bei den Nova-Rock-Urgesteinen Billy Talent fällt bei „Red Flag“ zwischenzeitlich gleich der komplette Strom aus. Für die Kanadier ist die Show auf der Blue Stage das insgesamt siebente Stelldichein auf den Pannonia Fields, wodurch man mit den internationalen Rekordhaltern Volbeat gleichzieht. Fad wird es ihnen dabei nicht, wie Bassist Jonathan Gallant und Gitarrist Ian D’Sa im Vorfeld im Gespräch betonen. „Das Schöne ist, dass man sich bei so einem Festival immer wieder neues Publikum erspielen kann.“ Während ihre kanadischen Landsmänner von Sum 41 derzeit auf Karriereabschiedstour sind, ist das bei Billy Talent nicht der Fall, obwohl diese Meinung nicht immer so selbstsicher geteilt wurde.
Motivation potenziert
„Als unser Drummer Aaron Solowniuk aufgrund seiner Multiplen Sklerose das Album ,Afraid Of Heights‘ nicht einspielen konnte, haben wir kurz ein Ende überlegt“, sagen die beiden Musiker ungewohnt ernst, „es fühlte sich so an, als würde man eines seiner Gliedmaßen verlieren oder der Motor seinen Geist aufgeben. Wir wollten die Situation bestmöglich lösen und haben einfach weitergemacht.“ Die Lust am Musizieren hat man seitdem nicht nur wiedergefunden, sondern sogar potenziert. Das schlägt sich später auch auf den fulminanten Nova-Auftritt aus, bei dem die Menschenmassen sich bis weit nach hinten reihen. Bei Hits wie „Rusted From The Rain“, „Devil On My Shoulder“ oder „Fallen Leaves“ auch kein Wunder. Billy Talent passen eben zum Nova Rock wie ein Pissoir in einer Herrentoilette.
Während sich die heimischen Zombies mit viel Spielfreude und Covern von Billy Idol bis zu den Pixies auf der Red Stage austoben, laden die Punkrock-Urgesteine Green Day als erster großer Headliner zur Abschlussparty. Mit im Gepäck haben sie runde Jubiläen ihrer zwei wichtigsten Alben. Die ewig pubertierende „Dookie“ feiert 30. Geburtstag und wird fast bis zur Gänze zelebriert, das 20-jährige „American Idiot“, vielleicht das letzte globale Ausrufezeichen in der Welt des Punkrocks, spielt man sogar komplett durch. Dabei schießen unentwegt Feuerfontänen in die Höhe, ein kostümierter Hase läuft die Gegend, aufblasbare Bühnengimmicks versprühen Spaß und bei „Know Your Enemy“ darf sich ein weiblicher Fan seine 15 Minuten Ruhm abholen. Für die Live-Front lädt das Trio drei Session-Musiker auf die Bühne, dennoch bleiben vier der sechs Leinwände auf der monströsen Blue Stage dunkel.
Es fehlte etwas Feuer
Unentwegt jugendlich und voller Elan agiert Frontmann Billie Joe Armstrong, dem man die 52 Jahre nicht annähernd ansieht. Dafür ist der Blick in den Spiegel nicht mehr so relevant wie früher, nur so ist die an Schlagerbarden erinnernde Sturmfrisur in heller Blondierung schlüssig zu erklären. Die Hit-Stafette findet wie üblich mit viel Publikumseinbindung statt, ein bisschen fehlt aber doch das Feuer, dass man früher deutlicher hat lodern sehen. Trotz allem – mit erdigem Punkrock gewinnt man noch immer die meisten Herzen unter den Nova Rockern. Auf der Red Stage sorgte die britische Goth-Rock-Kultband The Sisters Of Mercy für ein würdiges Fade-Out eines musikalisch bunten und breit für alle Geschmäcker kuratierten Tages. Frontmann und Hobbyvampir Andrew Eldritch zeigt sich bei Klassikern wie „More“ oder „Temple Of Love“ gut gelaunt und routiniert. Das war auch schon mal ganz anders.
2025 kommen Slipknot
Irgendwo dazwischen lässt Festival-Boss Ewald Tatar ungewohnt früh am Wochenende die Bombe für die nächste Saison platzen. Neben dem Festivaltermin (12. bis 14. Juni 2025, Kartenverkauf ab Montag) kündigt er auch gleich die vier ersten fixierten Acts. Bei den Metal-Heroen Slipknot wird Corey Taylor seine heute abgesagte Soloshow nachholen können, die Austropop-Helden Wanda kommen mit ihrem neuen Album, das Deathcore-Geschwader Lorna Shore garantiert Aggressivität und Electric Callboy eine Metalcore-Party im Elektronikgewand. Beim aktuellen Nova Rock geht es heute munter mit den nächsten Highlights weiter. Unter anderem werden Machine Head, Parkway Drive, Folkshilfe, AUT Of Orda, Avenged Sevenfold und Otto mit seinen Friesenjungs für Stimmung sorgen. Wetterprognose: Erneut verbessert.
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