Auf sengende Hitze folgte ein brutaler Wolkenbruch, der das Nova Rock am dritten von vier Tagen spätabends doch noch in ein Gatschfeld verwandelte. Bei Måneskin und Alice Cooper öffneten sich die Himmelsschleusen, davor gab es eine staubige Sonnenparty. Für den Abschlusstag ist alles angerichtet.
Aller gute Dinge sind am Ende doch drei. So viele Tage hat es gebraucht, bis sich das Nova Rock wieder so präsentiert, wie man es vor der Pandemie gewohnt war: windig, staubig und brennheiß. Zumindest den Großteil des Tages. Von den „30 Krügerln“ im Schatten sind wir zwar weit entfernt, wenn der erbarmungslose pannonische Wind aber gerade nicht über die Steppe bläst, dann werden die Gesichter schneller rot und die Schweißsturzbäche rinnen die oberkörperfreien Körper hinab.
Endlich Sommer, Sonne, Partyspaß. Darauf freuen sich am dritten Festivaltag aber nicht nur die – konditionell zu Teilen schon schwer in den Seilen hängenden – Fans, sondern auch die deutschen Post-Hardcore-Durchstarter Future Palace, die auf der Red Bull Stage für Stimmung sorgen. „Wir waren bislang sechsmal in Österreich und nun endlich auch beim Nova Rock“, freut sich Gitarrist Manuel Kohlert im „Krone“-Talk.
Sommerliches am Nachmittag
„Ich freue mich eigentlich am meisten aufs Riesenradfahren“, fügt er lachend hinzu. Nur die Möglichkeit zum Bungee-Jumping verunsichert ihn dann doch: „Das ist ein Level zu viel für uns, glaube ich. Man muss nicht alles machen.“ So ziemlich alles an Musik wabert dafür schon am ersten Tagesdrittel über das ausgedehnte Gelände. Metalcore und traditioneller „Volksmetall“ aus Österreich (We Blame The Empire, Kontrust), eingängiger Pop/Rock aus Amerika (Against The Current) oder bekömmliche Rock-Sounds aus Großbritannien (Leap).
Ein erstes großes Highlight sind auf der Blue Stage die Grazer von Granada, die sich in den letzten Jahren ziemlich rarmachten. Mit Hawaiihemden, guter Laune, Höflichkeit und sommerlichen Pop-Songs sind sie nur scheinbar ein Kontrast zum Rest des Tagesprogramms. Brandneue, noch unveröffentlichte Songs vermischen sich mit Klassikern wie „Ottakring“ und einer ausgedehnten, rockigen Version von „Palmen am Balkon“. Das macht Lust auf mehr und dieses Mehr gibt es dann auch im Herbst.
Danach herrscht auf den gegenüberliegenden Bühnen Deutschland-Power, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnte. Auf der Blue Stage spielen die unverwüstlichen Sportfreunde Stiller ihren studentisch angehauchten Pop-Rock ohne Ecken und Kanten, aber mit sehr viel Wiedererkennungswert. „Ein Kompliment“, „Applaus Applaus“ oder „7 Tage, 7 Nächte“ werden aus tausenden Kehlen mitgesungen, Frontmann Peter Brugger trotzt der sengenden Sonne mit einer rosaroten Schirmkappe. Ansprechend und ohne großen Anspruch – die perfekte Festival-Nachmittagsbeschallung.
Ein paar Meter weiter westlich gibt es einen flotten Nachfolger für die schon gestern abgefeierten Feuerschwanz. Saltatio Mortis pflegen ihren Mittelalter-Metal schon seit fast 25 Jahren und sind längst zu den Top-Sellern in ihrem Land erwachsen. Die letzten fünf Alben landeten auf Platz eins der Albumcharts. Auf den Pannonia Fields verknüpft man Dudelsack-Romantik mit zeitgemäßer Party-Elektronik und covert sich auch an Electric Callboy ab. Sänger Jörg Roth aka „Alea der Bescheidene“ ist enthusiasmiert: „Ich liebe diese fucking Metalszene.“ Wohl doch eher: Viel Szene, eher weniger Metal.
Schuppen am Fluss
Tief in die Nostalgiekiste der Millenniums-Kinder greift die US-Nu-Metal-Schmiede P.O.D., die hierzulande eine Rarität ist. 2013 gab es einen recht knappen Auftritt auf den Pannonia Fields, 2019 war man im Zuge einer Clubtour im Wiener Flex unterwegs. „Ein kleiner Punkrock-Schuppen direkt am Wasser“, erinnert sich Gitarrist Marcos Curiel im „Krone“-Gespräch vor dem Auftritt, „wir haben uns anfangs gefragt, was wir hier tun, aber die Leute sind total abgegangen, es war grandios.“ Gemeinsam mit dem charismatischen Sänger Sonny Sandoval bildet Curiel seit mehr als 32 Jahren eine gemeinschaftliche musikalische Achse. Die Top-Hits „Youth Of A Nation“ und „Alive“ vom 2001er-Album „Satellite“ haben nichts von ihrer Wirkung verloren und entfachen auch in der Gegenwart große Begeisterung.
Dabei haben die schwer christlichen Kalifornier am Anfang ihre liebe Not mit der Technik. Schlagzeug, Sound, Rückkoppelungen – nichts scheint zu funktionieren. Sandoval, mit kniehohen weißen Stutzen und üppigen Rasta-Locken längst unter dem Banner „Berufsjugendlicher“ einzuordnen, macht sich wenig daraus und überbrückt die Schwierigkeiten mit Charisma und Schmäh. Die Fans kommen zahlreich und lassen sich von der gemütlichen Atmosphäre gerne in eine persönliche Nostalgieschleife boomen. Doch P.O.D. haben den Vorteil, mit der taufrischen „Veritas“ auch eine Platte am Start zu haben, die sich durchaus mit den Klassikern der Vergangenheit messen kann. Wenn es eine Feelgood-Band an diesem Wochenende gibt, dann ist es dieses Gespann aus San Diego.
„Beidl-Schmäh“ wird alt
Anzüglichkeiten und derbe Zoten fernab jedweder gesellschaftlichen Veränderung garantieren wenig später Steel Panther. Das Glam-Rock-Spaßprojekt hat in den letzten Jahren deutlich an Glanz der frühen Tage eingebüßt, was nicht nur an dem vermehrt mediokren Songmaterial liegt, sondern natürlich auch daran, dass nicht mehr jeder vollpubertäre „Beidl-Schmäh“ für schenkelklopfende Bruhaha-Momente sorgt. Wenn es um die große Geste, derbe Rock-Grätschen und durchziehende Hits wie „17 Girls In A Row“, „Gloryhole“ oder „Party Like Tomorrow Is The End Of The World“ geht, sind Michael Starr (der einzige mit echten langen Haaren), Satchel und Co. natürlich trotzdem nicht zu überbieten. Thematisch sind Steel Panther anders gelagert, doch von der dargebotenen Anspruchslosigkeit samt Maßkrug-Anstoß-Niveau ähneln sie den Schweizern Fäaschtbänkler doch sehr.
Nur ein Jahr nach der Ankündigung auf unumstößlicher Abschiedstour zu sein, sind die kanadischen Punkrock-Urgesteine Sum 41 schon wieder am burgenländischen Acker, um, na ja, weiter Abschied zu feiern. Dieses Mal aber mit dem durchaus kompakten Doppelalbum „Heaven :x: Hell“ im Gepäck, das auf einer Farewell-Tour trotzdem nur grob angeschnitten werden kann, weil es hier natürlich um Hits, Hits und Hits geht. Gitarrist Dave Baksh und Bassist Jason „Cone“ McCaslin sprachen mit der „Krone“ vor dem Auftritt frei von Wehmut. „Wir spielen Ende Jänner daheim in Toronto die allerletzten Konzerte und auch danach werden wir nicht auf der Parkbank sitzen und Tauben füttern. Doch während wir letztes Jahr noch voller Feuereifer waren, genießen wir jetzt den Moment und vergegenwärtigen uns, dass es in jeder Stadt das letzte Mal ist, dass wir auf der Bühne stehen.“
Auf Abschiedstour
Die Fans türmen sich bei Sum 41 so zahlreich wie bei keinem anderen Act in dieser Woche und der Pulk an Menschen reicht bis weit in die hinteren Bereiche des Hauptgeländes. Die Kanadier sind bei ihrer (vielleicht) wirklich allerletzten Österreich-Show zwar nicht auf Handbremse, aber doch etwas gar routiniert unterwegs. Frontmann Deryck Whibley, mittlerweile nur mehr ein Strich in der Landschaft, animiert die Fans mit einer wohlwollenden Aggression und die Songs fliegen ihnen im Stakkato-Takt um die Ohren. „The Hell Song“, „In Too Deep“, „Fat Lip“, „Still Waiting“ – dazu ein paar neue Tracks, Feuerfontänen und Luftballons. Der Sonnenuntergangs-Slot auf der Blue Stage erweist sich einmal mehr als allerbester am Festival. „Wir realisieren, dass wir überall, wo wir hinkommen, uns von den Leuten verabschieden“. In Nickelsdorf passiert es sehr komprimiert und zehn Minuten kürzer als geplant. Warum auch nicht? Tränen des Verlusts können nach dem Festival vergossen werden.
In weinerliche Sphären rutscht zuweilen Avril Lavigne ab. Die kanadische Göttin der Generation-Y-Kajalträger, die in den 2000er-Jahren das Pop-Punk-Business mit zugänglichem Skater-Image revolutioniert hat, zeigte sich schon im April 2023 von einer eher imperfekten Seite. Der Nostalgiefaktor von Songs wie „Girlfriend“, „Complicated“ oder „My Happy Ending“ passt, die Umsetzung ist eher hüftsteif. Der Bewegungsradius der 39-Jährigen tendiert lange gegen null, der Sound ist zuweilen schlecht abgemischt und auch Avrils Stimme scheint immer wieder zu stocken. Dass sie schon nach fünf Songs die Bühne verlässt, um ein Best-Of-Video ihrer Karriere einzuspeisen verwundert, auch der Rest des Abends erinnert eher an ein bemühtes Abspulen eines Pflichtprogramms, denn an leidenschaftliches Bewahren ihres Legendenstatus. Den Fans gefällt es trotzdem, sie halten die Handys in die Höhe und jubeln in Scharen. Über Geschmack lässt sich nicht streiten.
Der Schmäh rennt
Während sich bei Avril die Massen tummeln, muss sich die Thrash-Metal-/Hip-Hop-Legende Ice-T samt seinem Projekt Body Count auf der Red Stage mit auserlesenen Getreuen begnügen. Auf die Frage, wie viele Leute das erste Mal ein Body Count-Konzert besuchen würden, zeigen doch erstaunlich viele auf. Die Kalifornier brauchen sich nicht hinter alten Klassikern aus den 90er-Jahren verstecken, dafür ist ihre jüngere Diskografie viel zu stark. Dazu zeigt sich Ice-T humorig-ruppig, indem er eine politisch unkorrekte Zote nach der anderen ins Feld wirft, sich beim neuen Song „Psychopath“ einen Strumpf über den Kopf zieht oder beim ebenfalls neuen Track „The Purge“ an den gleichnamigen Film erinnert und meinte, er würde es begrüßen, wenn man einmal im Jahr für zwölf Stunden pro Tag jeden töten könnte, den man möchte.
Mit seiner sympathisch-angriffigen Ausstrahlung konterkariert das Gros der Festivalmusiker. Die Street-Attitüde mit Gangsta-Geschmack zeigt sich auch in Songs wie „Manslaughter“, dem Anti-Rassismus-Klassiker „No Lives Matter“ und dem Kultsong „Cop Killer“, den der Frontmann als „neue österreichische Nationalhymne anpreist“. Ein Moment mit besonderer Verve. Gegen Set-Ende holt er seine siebenjährige Tochter auf die Bühne, referiert über Mobbing in Schulen und fragt seine Tochter, was sie in dem Fall tun würde: „Talk Shit, Get Shot“ – bämm! Glanzpunkt neben Ice-T ist sein 65-jähriger Sidekick Ernie C, ein Großmeister an der Sechssaitigen. „Ich bin jetzt 14 Jahre lang nüchtern und seit ca. 14 Jahren ist die Band richtig gut“, erzählt er uns im „Krone“-Interview, „du siehst also, die Entscheidung hat Sinn gemacht.“ Mit dem brachialen „Born Dead“ setzt am Nova-Gelände auch noch eine Regengischt ein. Was für ein magisches Statement! Im August gibt es das neue Album „Merciless“ zu bewundern - darüber dann an anderer Stelle etwas mehr.
Tanz im schweren Regen
Bei den Headlinern müssen Rockfans am Samstag stark sein. Die italienischen Song-Contest-Gewinner und Durchstarter Måneskin zeitgleich mit der Schockrock-Legende Alice Cooper zu programmieren, zeugt von wenig Feingefühl in Detailfragen. Die Tagessieger sind unsere südlichen Nachbarn, die ihr Set zwar beim aufkommenden Regen spielen müssen, in den letzten Jahren aber so viel Routine und Spielfreude gewonnen haben, dass sie die Konzertbühne so souverän nützen wie Top-Models den Laufsteg. Mit „Don’t Wanna Sleep“ und „Gossip“ starten die Italiener fulminant ins Set, doch je länger der Auftritt, umso schwerer der Regen. Bei „Coraline“ wird es zeitweise unerträglich. Pfützen bilden sich am lockeren Boden, so mancher tanzt oberkörperfrei durch den kühlen Regen, weil es auch schon egal ist. Trotz der Massenabwanderung gen Camping-Platz bleiben ein paar Hartgesottene übrig, die ihren Helden bis zum Ende zujubeln. Ein paar der Highlights? Das rockige Outro zu „In Nome Del Padre“ und das post-punkige „Kool Kids“.
Gruselpapst Alice Cooper trotzt den Verhältnissen vor einer hageren Kulisse auf der Red Stage. Die theatralische Horrorshow samt Guillotine und Monster-Brimborium lässt sich auch auf dem Freiluftareal gut durchführen. Dazu begnadete Musikerinnen wie Nita Strauss, Glen Sobel oder Tommy Henriksen und Songs, die längst zum Kulturgut in der Welt des Rock ’n’ Roll zählen: „School’s Out“, „No More Mr. Nice Guy“, „I’m Eighteen“ und natürlich das unverzichtbare „Poison“. Mit seinen 76 Jahren hat der kultige Schockrocker freilich schon alles erlebt, da bringt ihn auch die himmlische Schleusenöffnung nicht mehr aus der Bahn. Das traditionelle Feuerwerk, das normalerweise am letzten Haupttag über die Bühne geht, wird witterungsbedingt auf heute verschoben. Zum Abschluss gibt es noch Bring Me The Horizon, Babymetal oder Biohazard auf der Blue Stage zu bejubeln. Die rote bleibt gleich ganz zu. Die Bodenverhältnisse bleiben ungewiss.
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