Für Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat Grünen-Ministerin Leonore Gewessler mit ihrer Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz einen „Rechtsbruch“ und einen „schweren Vertrauensbruch“ begangen. Doch die Koalition will er nicht vorzeitig beenden. Denn: „Ich will nicht, dass das Land im Chaos versinkt.“ Und: Er lässt dafür auch „Bonuspunkte“ liegen, sagt er. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) spricht ebenfalls von Verantwortung für das Land und ist überzeugt, dass man sich wieder „zusammenraufen“ werde.
Auch aus Brüssel wollte Nehammer „klare Worte“ an den Regierungspartner richten: „Wir sind heute Zeuge geworden, dass eine Ministerin Rechtsbruch begangen hat.“ Dieser „Rechtsbruch“ müsse auch geahndet werden, erklärte der Regierungschef und verwies sowohl auf die Nichtigkeitsklage als auch auf die Amtsmissbrauchsklage.
Doch trotz des „schweren Vertrauensbruches“ will Nehammer die Regierungsarbeit mit den Grünen nicht vorzeitig beenden, um das Land nicht „im Chaos versinken“ zu lassen. Das Spiel der freien Kräfte würde den Steuerzahlern nämlich viele Milliarden kosten, führte der Kanzler aus.
Grüne haben ihr „wahres Gesicht“ gezeigt
Der ÖVP-Chef ließ aber auch tief in seine Gefühlswelt blicken und betonte, die Grünen hätten „ihr wahres Gesicht“ gezeigt. Sie würden Recht für ihre Ideologie opfern. Wenn man ihn auf der emotionalen Ebene fragen würde, lautete die Antwort: „Das hat so keinen Sinn mehr.“
Nehammer äußerte sich auch auf der Plattform X:
Kogler: „Das ist eben keine Frage von Ideologie“
Vizekanzler Kogler reagierte eine Stunde nach dem Statement des Regierungschefs ebenfalls mit einem öffentlichen Auftritt vor laufenden Kameras und betonte, dass es sich beim Renaturierungsgesetz um das „weltweit wichtigste Naturschutzgesetz“ handle und die Zustimmung „eben keine Frage der Ideologie, sondern der Verantwortung“ sei. „Ernährungssicherheit ist nur mit einer intakten Natur möglich“, so Kogler weiter. Denn wer schütze das Klima, die Umwelt und die Natur, „wenn nicht wir“? Denn während in Sonntagsreden alle Parteien vom Klimaschutz redeten, würde unter der Woche „betoniert“.
Einmal mehr wies Kogler darauf hin, dass aus Sicht seiner Partei sämtliche Schritte seiner Ministerkollegin rechtlich abgesichert seien. Zur Koalitionskrise merkte der Grünen-Bundessprecher an: „Wir hatten schon oft schwierige Momente. Immer wieder haben wir uns aber zusammengerauft, aus Verantwortung für Österreich. Ich bin davon überzeugt, dass uns das auch diesmal gelingt.“
Dass bisher kein namhafter ÖVP-Bundespolitiker das Wort „Koalitionsbruch“ öffentlich in den Mund nahm, heißt aber nicht, dass nicht intern sehr wohl über einen Ausstieg aus der ungeliebten Koalition nachgedacht wird. Etliche in der Partei seien derart verärgert, dass sie aufs Schlussmachen drängen, war am Montag hinter vorgehaltener Hand zu hören.
Wahrscheinlich hätte mir die vorzeitige Auflösung der Koalition ein paar Prozentpunkte gebracht, vielleicht sogar die entscheidenden Prozentpunkte. Ich stehe aber für Showpolitik nicht zur Verfügung, ich trage Verantwortung für die Stabilität im Land, ich kann und werde nicht auf dem Rücken unseres Landes billige Punkte machen. Dafür stehe ich nicht als Politiker und Bundeskanzler unserer Republik!
Karl Nehammer zur „Krone“
Dem gegenüber steht allerdings, dass es ohnehin nur mehr dreieinhalb Monate bis zur Nationalratswahl sind. In der verbleibenden Zeit steht eigentlich noch so manches an, was die ÖVP in trockene Tücher bringen will – mehrere Vorhaben liegen beschlussreif im Nationalrat, zudem möchte man noch die Besetzung des EU-Kommissars fixieren.
Im Grunde dreht sich die Frage darum, wie sich Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer im Wahlkampf positionieren will, war aus der Partei zu hören. Ein Austritt aus der Koalition so kurz vor der Wahl, obwohl man eigentlich immer versichert hat, die volle Legislaturperiode durchzuarbeiten, könnte Nehammer im Wahlkampf von der Konkurrenz als Chaos ausgelegt werden.
Länderchefs vorerst zurückhaltend
Während Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) am Sonntag im Vorfeld der Abstimmung in Brüssel bereits von einem „Koalitionsbruch“ gesprochen hatte, gaben sich die anderen Landeschefs etwas zurückhaltender. Eine Ministeranklage wegen Gewesslers Zustimmung, für die es gleichlautende Beschlüsse aller Landtage bräuchte, wird vonseiten der Länder zumindest derzeit noch nicht offensiv vorangetrieben.
FPÖ kündigt Misstrauensantrag gegen Gewessler an
Während die SPÖ und die NEOS die Zustimmung Gewesslers begrüßten, kündigte die FPÖ einen Misstrauensantrag gegen die Ministerin an. Parteichef Herbert Kickl empörte sich über einen „beispiellosen Verrat an den österreichischen Bauern“.
Das steht im umstrittenen Gesetz
Der Rat der EU-Umweltministerinnen und -minister hatte am Montag das umstrittene Renaturierungsgesetz mit knapper Mehrheit abgesegnet. Die Mitgliedsstaaten müssen künftig Pläne vorlegen, wie im ersten Schritt bis 2030 mindestens 30 Prozent der definierten Lebensräume von einem „schlechten“ in einen „guten“ Zustand kommen. Zudem soll ein Fünftel der Land- und Meeresflächen bis 2030 wiederhergestellt werden. In landwirtschaftlichen Ökosystemen soll es mehr Artenvielfalt geben.
Vizekanzler Werner Kogler erklärte auf seiner Instagram-Seite, warum das Renaturierungsgesetz so wichtig für Österreich und Europa ist:
Bei der aktuellen Version wurde auf einige Kritikpunkte aus der Landwirtschaft Rücksicht genommen. So gibt es etwa Ausnahmen, wenn es darum geht, dass genug Lebensmittel erzeugt werden müssen.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.