Beim diesjährigen Nova Rock spielten die kanadischen Punkrocker Sum 41 vor einer beeindruckenden Kulisse ihr allerletztes Österreich-Konzert. Nach 28 Jahren schließen Deryck Whibley und Co. das Kapitel, um sich neuen Herausforderungen zu widmen. Wir blicken mit Gitarrist Dave Baksh und Bassist Jason „Cone“ McCaslin noch einmal weit zurück.
Rund um das Millennium 2000 war der Punkrock wieder so stark vertreten wie davor zuletzt 1994. Etablierte Acts wie Bad Religion, Green Day und The Offspring überzeugten mit guten Werken, jüngere Combos wie Blink-182, Simple Plan, New Found Glory und Sum 41 eroberten die Herzen der Generation „American Pie“ und auch die Charts. Letztere überzeugten nicht nur mit einer poppigen Ausrichtung, sondern wussten schon auf den frühen Klassikeralben „All Killer No Filler“ (2001) und „Does This Look Infected?“ (2002) mit dicken Gitarren aufzuwarten und dem Sound eine untrügliche Heavy-Metal-Note zu verleihen. Über die Jahre wurden Sum 41 konzeptioneller („Chuck“, 2004), größer und breitenwirksamer - aber auch skandalträchtiger.
Frontmann Deryck Whibley eroberte die Schlagzeilen mit seiner kurzzeitigen Promi-Liebschaft zu Avril Lavigne, andauernden Rücken-Gesundheitsproblemen und einem ausgewachsenen Alkoholismus, der die Band in den Jahren 2010 bis 2015 bis aufs Äußerste forderte. Die Krisen überstand man gemeinsam und das 2016 veröffentlichte „13 Voices“ fasste die Dunkelheit, die sich um die Band breitete, mit einem ungewohnt schweren Sound zusammen.
In den letzten Jahren schipperte die Band auf die großen Festivalbühnen und kreierte mit dem karriereumspannenden Doppelalbum „Heaven :x: Hell“ ein Werk, das gar nicht das Ende einläuten sollte. Songwriter und Frontmann Whibley merkte aber während des Schaffensprozesses, dass er sich mit 44 im Leben auch auf andere Dinge konzentrieren möchte und trägt die kanadische Punkrock-Legende nun zu Grabe. Das Hintertürl für eine Reunion in fernerer Zukunft bleibt aber wohl offen …
„Krone“: Dave, Cone – alle guten Dinge kommen irgendwann zu einem Ende. Ihr werdet mit Sum 41 im Jänner 2025 die unwiderruflich letzten Konzerte eurer Karriere spielen und die Band dann endgültig auflösen. Wie fühlt es sich an, wenn die Abschiedstour so schnell voranschreitet?
Dave Baksh: Korrekt, am 30. Jänner spielen wir in Toronto unseren allerletzten Gig, dann ist das Kapitel geschlossen. Jedenfalls fällt mir die Vorstellung schwer, dass Cone und ich in Filzpantoffeln auf einer Parkbank sitzen und Tauben füttern werden. (lacht) Derzeit fühlt es sich nicht wie das Ende an, weil wir konstant unterwegs sind und jeden Tag im Bus sitzen.
Cone McCaslin: Die Konzerte machen einfach nur großen Spaß. Wir wissen natürlich, dass jede Stadt und jedes Festival zum letzten Mal von uns besucht werden und saugen die Atmosphäre so gut es geht auf. Es gab natürlich auch bei Sum 41 Zeiten, wo sich ein Konzert wie ein Montag in einem normalen Job anfühlte, aber das ist auf dieser Tour nicht der Fall. Wenn man weiß, dass man das letzte Mal am Nova Rock spielt, dann geht man natürlich anders an die Sache heran.
Baksh: Wenn ich früher einmal kein besonders gutes Konzert gespielt habe, dann habe ich mir vorgenommen, es das nächste Mal besser zu machen und mich noch mehr hineinzuwerfen. Jetzt ist der Zugang ein anderer. Ich atme tief durch und visualisiere, dass es bei jeder Station mein allerletztes Mal ist. Das macht die Konzerte um einiges besser, weil wir uns dessen bewusst sind. Ich lasse mich nicht mehr so sehr verunsichern, sondern genieße jeden Moment.
Auf einer Abschiedstour spielt man die großen Klassiker und davon habt ihr zuhauf. Andererseits habt ihr vor wenigen Wochen mit dem Doppelalbum „Heaven :x: Hell“ auch noch ein starkes letztes Lebenszeichen vorgelegt. Ist wohl nicht so leicht, was man dann in eine Setlist integriert?
Baksh: Das ist das Schöne an dieser Band und natürlich ein Luxusproblem. Auf Festivals wie dem Nova Rock müssen wir natürlich ein bisschen herunterschrauben, aber wir spielen trotzdem einige neue Songs und sind auch überall gespannt zu sehen, wie sie bei den Leuten ankommen.
McCaslin: Eine Setlist zusammenzustellen, ist wirklich hart. Wir haben 20 neue Songs geschrieben, die wir wirklich gut finden und die auch bei den Leuten gut ankommen, aber natürlich wollen die Fans auch das alte Zeug hören.
Die „Heaven“-Seite klingt nach Pop-Punk und gemahnt an eure frühen Tage, die „Hell“-Seite wiederum ist härter und aggressiver ausgefallen und erinnert an die vermehrten Heavy-Metal-Einflüsse der „neueren“ Sum 41. War es nicht schwierig, noch einmal so zu komponieren, wie ihr es vor langer Zeit gemacht habt?
Baksh: Wenn Deryck Songs schreibt, lässt er die Musik einfach natürlich fließen. Das ist ein tolles Talent, dass er besitzt, denn viele andere versuchen diesen oder jenen Part in ein Gesamtkonzept zu quetschen, damit es sich ja ausgeht. Das wirkt oft erzwungen und ist bei Deryck nie der Fall. So klingen auch die neuen Songs sehr natürlich. 20 Songs zu schreiben und die Qualität so hochzuhalten, das ist schon eine Leistung.
Im Punkrock-Bereich habt ihr über die letzten knapp 30 Jahre einen Teil der Musikgeschichte mitgeschrieben. Zudem habt ihr euren Sound immer adaptiert und erweitert, was nicht immer auf Gegenliebe stieß. Wie wichtig war es, dass ihr euch mit jedem Album neu herausgefordert habt?
McCaslin: Wir haben keines unserer Alben zweimal aufgenommen und immer versucht, neue Territorien anzusteuern. Wir sind recht früh dunkler und aggressiver geworden, haben die Grenzen für uns neu ausgelotet und neue Stile ausprobiert. Das hat auch die Langlebigkeit der Band beeinflusst, denn hätten wir uns ständig wiederholt, wäre es langweilig geworden und wir hätten das Projekt früher hinterfragt. Nur Erfolg alleine macht nicht glücklich. Wir hatten natürlich bessere und schlechtere Alben, aber das gehört zu einer Karriere dazu. Uns war es immer wichtiger, uns herauszufordern, als eine Erfolgsformel weiterzuführen.
Baksh: Wir sind sehr dankbar dafür, dass wir ein Teil des Kollektivs sind, das diese Art von Musik wachsen und gedeihen ließ und ein bisschen einen Einfluss auf die musikalische Welt im Allgemeinen hat. In den frühen 2000er-Jahren sind wirklich großartige Bands auf der Bildfläche erschienen, die mit uns das Genre weitergeführt haben von jenen Bands aus den 80er-Jahren, die uns den Weg bereitet haben.
Schon auf den frühen Alben von euch hörte man die Twin-Gitarren, die Iron Maiden so bekannt gemacht haben. Ihr wart schon immer ein bisschen anders als die anderen Punkrock-Bands.
Baksh: Als wir damals durchgestartet sind, gab es sehr wenige Bands, die sich aus dem Gros des Genres herausschälen und größere Erfolge feiern konnten. Es waren vor allem jene Bands, die markant ihre eigene Note in den Punkrock einfließen ließen. Wenn du anders warst, dann bist du herausgestochen. Mehr als 20 Jahre nach unseren ersten Erfolgen haben wir heute den Vorteil, dass Künstler durch das Internet viel mehr Kontrolle über ihre Musik haben und sich selbst besser vermarkten können. Auch diese Phase unserer Karriere schätzen wir sehr.
McCaslin: Damals waren die Zeiten anders, weil die Menschen kategorisierten. Es gab Metaller, Punks, Hip-Hopper – heute ist das überhaupt kein Thema mehr. Es gibt Bands, die vier verschiedene Genres in einen Song pressen und trotzdem hört es sich natürlich an.
Baksh: Ob wir uns auch so extrem entwickelt haben, das weiß ich nicht. Aber wir schreiben Songs sicher vielseitiger und breiter, als es in den frühen Jahren der Fall war. Es gab früher schon Bands, die sich nicht in ein Korsett schnüren ließen. Hier am Nova Rock spielten etwa Body Count am selben Tag wie wir. Gitarrist Ernie C war einer der Typen, der mir als Jugendlicher zeigte, dass es möglich ist, aus dem Hobby eine Karriere zu machen.
McCaslin: Bands wie die Beastie Boys oder NOFX haben die Stile auch früh vermischt und sicher immer gewandelt. Es gab schon einige vor uns, aber es war damals nicht so üblich, wie es heute der Fall ist.
Zu den ersten Bands, die eine „Farewell-Tour“ angekündigt haben, gehören die deutschen Rock-Legenden Scorpions. Das ist schon weit über zehn Jahre her und sie spielen noch immer unaufhörlich live. Ist es möglich, dass auch euer Abschied gar kein richtiger Abschied sein wird?
Baksh: Wir haben niemals darüber geredet, dass wir nach der letzten Show in Toronto für Festivalauftritte oder einzelne Konzerte wieder zusammenfinden. Ich habe absolut keine Ahnung, was die Zukunft für uns in petto hat, aber wir haben jedenfalls noch nie über das letzte Konzert hinaus gesprochen. Es gibt dahingehend absolut keine Pläne.
Ihr werdet nach Sum 41 die Musik nicht ad acta legen. Gibt es schon konkrete Pläne für die nähere Zukunft?
McCaslin: Seit wir denken können, sind wir Musiker. Es ist schwer vorstellbar, dass es ab 2025 eine neue Karriere als Elektriker wird, auch wenn das sicher ein schöner Beruf wäre. (lacht) Wir werden der Musik alle erhalten bleiben, aber ich habe noch keinen genaueren Plan.
Baksh: Ich habe Gigabytes voller Melodielinien, Hooklines und Ideen, die ich in aller Ruhe penibel durchforsten kann. So wie ein Comedian mitten in der Nacht einen Witz notiert, habe ich zu den absurdesten Zeiten spontane Einfälle und nehme sie am Diktafon auf. Wenn ich da grabe und ordne, kommt sicher Musik mit Menschen heraus, mit denen ich noch nie gearbeitet habe. Jetzt liegt der Fokus aber auf die letzten Monate mit Sum 41, bis wir uns Ende Jänner endgültig verabschieden.
Ist es möglich, dass man euch fernab von Punkrock in ganz anderen Genres wird hören können?
Baksh: Das ist sogar mehr als realistisch.
McCaslin: Nach so vielen Jahren bei Sum 41 wäre es auch natürlich, wenn wir uns in andere Richtungen orientieren würden. Vielleicht geht sich sogar einmal ein Jazz-Album aus, man sollte niemals nie sagen. (lacht)
Baksh: Ich entwickelte vor geraumer Zeit eine ernsthafte und ehrliche Liebe zu Reggae. Ich kann mir gut vorstellen, dass das nächste Projekt einen Einschlag in diese Richtung kriegen könnte.
Gibt es einen speziellen Moment, den ihr in positiver Hinsicht mit der Band für immer in Erinnerung behalten werdet? Und umgekehrt: Was war der absolute Tiefpunkt in 28 Jahren Sum 41?
McCaslin: Als Derycks Alkoholproblem rund um das Album „Scream Bloody Murder“ 2011 unerträglich wurde, war die Band wirklich an der Kippe. Da gab es einige Momente, wo nicht klar war, ob und wie eine Zukunft möglich sein sollte. Wir haben uns aber gemeinschaftlich aus dieser dunklen Phase herausgekämpft und in die Spur zurückgefunden. Tolle Momente gab es so viele, es ist kaum möglich, einen zu nennen. Für mich ist es unglaublich, dass diese Band so lange überlebt hat.
Wir haben uns 1996 zusammengefunden und fast 30 Jahre geschafft – wie viele Acts können das von sich behaupten? Das allerletzte Konzert wird mein Höhepunkt werden. Die Karriere vor einer ausverkauften Arena zu Hause zu beenden, ich glaube, das wird unschlagbar sein. Einerseits habe ich Angst vor dem letzten Konzert, andererseits wird es das absolute Highlight.
Baksh: Mein dunkelster Moment war 2006, als ich die Band verlassen habe. Ich hatte damals weder auf Tour Spaß, noch zu Hause. Es war ein bisschen ein Teufelskreis und ich musste einen Schritt von der Band wegmachen, um herauszufinden, was dieses Unglück in mir heraufbeschwört und was mein Leben so unglücklich macht. Dieser Prozess hat fast ein Jahrzehnt lang gedauert. Als ich 2015 wieder in die Band zurückkehrte und das von allen anderen Mitgliedern mit Freude aufgenommen wurde, hat es mich wieder so richtig ins Leben zurückgeholt.
Dazwischen habe ich viel für mich selbst und mit anderen Projekten gemacht und gemerkt, wie knallhart und erbarmungslos die Musikindustrie in Kanada ist, wenn du keinen Erfolg hast. Ich dachte schon, dass die Musik nichts für mich wäre, aber ich bekam einen Anruf von Deryck, wir trafen uns und zwei Jahre später stand ich mit den Jungs wieder auf der Bühne. So wurde für mich der schlimmste Moment zum allerbesten.
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