„Krone“-Interview

Interpol: „Wir waren nie die klassischen Freunde“

Musik
22.06.2024 09:00

Seit mehr als 20 Jahren zählen die New Yorker Interpol zu den wichtigsten Indie-Bands ihrer Generation. Nun kommen sie als Gäste der Smashing Pumpkins in die Wiener Stadthalle, allerdings ohne Drummer Sam Fogarino, der wegen Wirbelsäulenproblemen ausfällt. Frontmann Paul Banks blickt im „Krone“-Interview noch einmal auf das letzte Album zurück und gibt uns nähere Einblicke in das Wesen der Band.

(Bild: kmm)

„Krone“: Paul, ihr habt in Österreich schon einige Konzerte gespielt. Bevorzugst du es drinnen oder draußen Open-Air zu spielen?
Paul Banks:
Für mich ist beides sehr gut. Ich mag die Dunkelheit von Indoor-Shows, aber die Energie kann auch bei einem Festival-Publikum großartig sein.

Euer letztes Album „The Other Side Of Make-Believe“ klang im Vergleich zu den Vorgängern etwas leichtfüßiger und spielerischer. Hat sich das so ergeben oder war das mit Vorsatz komponiert?
Es war ein typisches Pandemie-Isolationsalbum und hat sich so ergeben. Wir waren auf der ganzen Welt verstreut. Ich war in Schottland, Daniel in Barcelona und Sam in den Vereinigten Staaten. Wir schickten uns E-Mails hin und her und ich habe meinen Gesang in meinem Schlafzimmer aufgenommen. Normalerweise schreiben wir zusammen im selben Raum, was uns hier nicht möglich war. Gemeinsam sind wir automatisch ein bisschen lauter, weil es die Energie so ergibt. Unser zweites Album „Antics“ entstand ähnlich wie dieses, was auch dafür sorgte, dass es etwas ruhiger und gemächlicher wirkte. Wir haben diesen Prozess aber auch genossen. Das Album ist definitiv intimer.

Als ihr vor mehr als 20 Jahren das Debüt „Turn On The Bright Lights“ veröffentlicht habt, wart ihr schnell das nächste große Ding im Indie-Sektor. Der Hype hat sich normalisiert und alles geht nun geordnete Wege. Würden die Leute das neue Album anders auffassen, wenn es ein Debütwerk wäre?
Sich diesem Gedankenspiel hinzugeben ist ziemlich schwierig, denn das Publikum baut seinen Zugang zu unserer Musik natürlich auf die Geschichte unseres Backkatalogs auf. Wir sind sehr stolz auf alles, was wir bislang gemacht haben und sind der Meinung, dass sich alles natürlich fortsetzt. Würde man unser erstes Album nicht kennen, dann wäre man vom neuen wahrscheinlich noch überraschter, aber das sind alles Hypothesen. Wir hatten sehr viel Zeit, um das erste Album zu schreiben. Natürlich bleibt es dadurch immer etwas durchdachter als alle anderen.

Ist es euch ein besonders wichtiges Anliegen, euch mit jedem Album ein Stück weit neu zu erfinden?
Nicht als natürliches Bestreben. Ich liebe Künstler, die das vorsätzlich so machen. Jack White ist dahingehend ein sehr gutes Beispiel, aber bei uns passiert das eher unbewusst. Ich respektiere seinen Gedanken, dass man dem Publikum etwas zumuten und es überraschen kann. Er ist ein sehr kluger Künstler, der immer die richtigen Knöpfe drückt. Wir sind da sicher etwas anders gepolt. Als Songwriter und Musiker befinde ich mich in einer Evolution, die von einem Schritt zum nächsten geht. Wir arbeiten intuitiv. Wenn Daniel eine Gesangsspur von mir besonders gut gefällt, dann bleibt sie drinnen. Wir verspüren insofern wenig Druck, als wir uns selbst als gute Qualitätskontrolle sehen. Wenn wir alle unsicher sind, dann müssen wir etwas ändern. Es passiert viel nach Gefühl und diesem Gefühl gehen wir nach, wir vertrauen ihm.

Du breitest deine Flügel auch gerne in anderen Bereichen aus, etwa in der Zusammenarbeit mit RZA bei Banks And Steelz. Fällt es dir von dort schwerer, wieder in den Interpol-Modus zurückzufinden?
Nein, überhaupt nicht. Ich sehe diese anderen Projekte als Benefit und großen Vorteil, um meiner Kreativität in vielerlei Hinsicht freien Lauf zu lassen. Die Frage wäre wahrscheinlich angebrachter, wäre ich der alleinige Songwriter bei Interpol, weil dann alle Bereiche unter meiner Schirmherrschaft wären. Bei uns bringt Daniel immer die ersten Songschichten ein und ich reagiere dann darauf. Das ist bei Banks And Steelz ähnlich, nur dass wir dort naturgemäß anders an die Dinge herangehen. Ich bin ein guter Reflektor auf Ideen anderer, das ist meine beste Art und Weise zu schreiben und bei Songs beizutragen. Mich inspiriert die Musik meiner Partner, auf die ich reflektiere.

Konzeptalben, ausgeklügelte Artworks und Gedankenspiele, die über bloße Single-Veröffentlichungen hinausgehen, werden immer seltener. Interpol stehen aber für all diese Dinge. Ist es die Mühe noch immer wert?
Es gibt genug Platz für alle Arten der Veröffentlichungen und wir beherzigen noch die Old-School-Variante. Die Liebe zu einem Gesamtkonzept ist im Musikbusiness nie verschwunden. Es kommt immer nur darauf an, wer sich darum kümmert und wem es wichtig ist. Nicht jeder Künstler muss das so machen. Ich bin ein großer Fan davon, Songs einzeln zu veröffentlichen und selbst gar nicht so der Fürsprecher eines Albumzyklus. Aber es ist so, wie wir es jetzt handhaben, absolut in Ordnung.

Wie geht ihr denn im Songwriting vor? Schreibst du die Texte schon parallel zu den ersten Soundschichten von Daniel oder kommt das alles mit einer gewissen Verzögerung und Annäherung?
Selbst die Texte sind nur eine Reaktion auf die ersten Instrumentalpassagen von Daniel. Ich habe das einmal anders probiert und fühlte mich überhaupt nicht wohl. Ich sehe meine Stimme als zusätzliches Instrument, das mit der Band interagiert. Die Musik und die Texte bzw. Sprache dazu gehen unterbewusst eine Symbiose ein, die man anfangs noch gar nicht bemerkt. So etwas ergibt sich mit der Zeit, es kristallisiert sich heraus. Ich denke nie darüber nach, worüber ich einen Song schreiben will. Die Wörter kommen aus meinem Unterbewusstsein und passen sich der Musik an. Über die Jahre habe ich gelernt, diesem Prozess zu vertrauen und ihn nicht zu hinterfragen. Ich mag die Vorstellung nicht, dass ich pseudointellektuell durch die Gegend laufe und bewusst klug zu texten versuche. Das ist nicht mein Stil.

Interpol hat bei den Liveshows einen gewissen künstlerischen Anspruch, aber es wirkt auch alles sehr leicht und natürlich. Fällt es euch leicht, die richtige Gewichtung zu finden?
Das ist eine interessante Sache. Als Kollaborateure, die auch die musikalische Theorie kennen, ist es uns wichtig, die eigene Begeisterung an Musik aufrechtzuerhalten, ohne sich zu viele Gedanken darüber zu machen, wie das Publikum darauf reagieren wird. Interpol haben eine Sensibilität dafür, nicht zu intellektuell oder zu „artsy“ zu wirken. Uns geht es immer um die Emotionen. Wir müssen die Musik fühlen und spüren. Das kann manchmal bombastischer und manchmal basischer sein. Ich versuche immer, die richtige Balance zu finden. Sam liebt den Bombast, Daniel liebt die Emotion und ich füge dann meist akrobatisch alle Elemente zusammen – falls das jetzt irgendwie Sinn macht.

Mir hat Def Leppard-Sänger Joe Elliott in einem Interview gesagt, er hätte den Aufnahmeprozess fern von seinen Bandkollegen so genossen, dass er es niemals mehr anders machen möchte. Siehst du das in eurem Fall genauso?
Ich bin immer noch überzeugt, dass die Magie von Interpol darin liegt, das Material gemeinsam zu erschaffen. Wir lieben es, gemeinsam im Studio zu stehen und auf uns reagieren und interagieren zu können. Das ist ein wichtiger Teil der Band, den ich am nächsten Album wieder verstärkt umsetzen möchte. Manche Songs entstehen aber auch besser in der Abgeschiedenheit voneinander. Für 70 Prozent der Musik, würde ich jetzt mal sagen, sollten wir aber zusammen sein, weil daraus ganz überraschende, ungeplante Dinge entstehen. Wenn drei Leute zusammenarbeiten und ihre Inputs einbringen, entsteht eine völlig andere Dynamik.

Wie haben sich die Zusammenarbeit und die Gemeinschaft unter euch allgemein über die letzten Jahre entwickelt?
Wir waren bei Interpol nicht die klassischen High-School-Freunde, die irgendwann beschlossen, eine Band ins Leben zu rufen. Jeder von uns war eigenständiger Musiker und wir haben zusammengearbeitet, die Freundschaft zueinander hat sich erst daraus entwickelt. Unsere Beziehung zueinander war immer interessant und der Kleber zwischen uns ist, dass wir künstlerisch großen Respekt voreinander haben. Jeder von uns ist intrinsisch motiviert und als Künstler haben wir ein spezielles Leben. Ich muss den Arbeitsprozess mit Daniel nicht verbal durchgehen, das funktioniert bei uns seit Jahren auf einer unbewussten Ebene. Wir schaffen es immer noch ganz gut, uns kreativ zu stimulieren.

Lebst du eigentlich noch immer in Berlin? Ist diese Stadt wichtig für deine kreative Ader?
Seit ich in Berlin lebe, habe ich für Interpol keine Musik mehr geschrieben, aber die Umgebung ist schon wichtig. Wichtiger ist aber, wie es mir in meinem Kopf geht. Ich kann am Strand schreiben, ich kann aber auch in Berlin schreiben. Wenn ich mich ein paar Monate von der Musik entferne, dann drängt es mich aber irgendwann unweigerlich zu ihr zurück und die Ideen sprudeln nur so aus mir raus. Meine Freundin ist deutsch-schottischer Abstammung und sie wohnt in Berlin. Nun haben wir ein Kind und blieben dort. Mein Deutsch ist unterirdisch, aber ich liebe die Stadt.

Wie sieht es bei dir eigentlich mit deinen anderen Projekten Banks & Steelz und Muzz aus? Steht da in absehbarer Zeit was an?
Während der Pandemie haben wir bei Banks & Steelz ein paar Ideen besprochen, aber RZA war dann in anderen Bereichen beschäftigt und wir haben das mal aufgeschoben. Um wirklich was weiterzubringen, werden wir uns beide am selben Ort befinden müssen. Wann das wieder passiert, kann ich derzeit nicht sagen. Ich liebe aber die Zusammenarbeit und wir sind immer noch gut befreundet. Die Jungs in Muzz sind gerade gut beschäftigt, was uns als Kollektiv aber nicht weiter stört. Es muss einfach passen, das kann man nicht erzwingen. Wir alle haben unsere Hauptprojekte, die Vorrang haben, aber das heißt nicht, dass sonst nichts passiert. Ich arbeite auch an Solodingen und einem anderen Projekt. Langweilig wird es nicht.

Live in Wien
Am Montag, dem 24. Juni, sind Interpol als Special Guest der Smashing Pumpkins auf deren „The World Is A Vampire“-Tour in der Wiener Stadthalle zu sehen. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das sommerliche Indie-Highlight.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.



Kostenlose Spiele