„Krone“-Interview

Ruby Waters: „Jede Person hört ein Lied anders“

Musik
02.07.2024 09:00

Als „Charli XCX in Zeitlupe“ wird der Sound der Kanadierin Ruby Waters gerne bezeichnet. Die 26-jähriger Singer/Songwriterin veröffentlichte vor wenigen Wochen ihr Debütalbum „What‘s The Point“ und wurde damit im Wiener B72 vorstellig. Der „Krone“ gab sie vorab Einblicke in ihr aufregendes Leben.

(Bild: kmm)

In ihrer kanadischen Heimat ist Ruby Waters schon ein kleiner Star. Ihre EP „If It Comes Down To It“ wurde 2022 mit einer Nominierung des renommierten „Juno-Awards“ bedacht und schon während der Pandemie wusste mit einigen Singles zu überzeugen. Vor wenigen Wochen veröffentlichte sie ihr Debütalbum „What’s The Point“, auf dem sie sich nicht nur offen mit dem Thema Sexualität auseinandersetzt, sondern das Leben aufgrund persönlicher Erfahrungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Nach einem Support-Gig im Herbst 2023 spielte sie vor wenigen Tagen ihre erste Österreich-Headlinershow im Wiener B72. Zuvor nahm sich die 26-jährige Zeit, um uns aus ihrem aufregenden Musikerleben zu erzählen.

„Krone“: Ruby, du hast erst unlängst ein Konzert in Wien gespielt. Wie hat es sich angefühlt?
Ruby Waters: 
Die Show im B72 war die letzte Headliner-Show der Tour, die großartig war und mit ein paar Festivals abgeschlossen wird. Ich freue mich auf jeden Fall auf eine Wiederkehr. Jetzt geht es einmal nach Nordamerika auf Tour, aber zuvor wird eine Pause eingelegt. (lacht)

Im Herbst 2023 hast du im Flex dein Wien-Livedebüt gegeben, als du Alexisonfire-Frontmann Dallas Green mit seinem Soloprojekt City And Colour begleitet hast.
Dallas war einfach großartig. Es waren viele Leute da und einige haben schon mein Shirt getragen, das hat mich sehr positiv überrascht.

Wie viel anders war deine erste Headliner-Tour hier in Europa? Wo lagen dabei die größten Herausforderungen?
Ein ziemlicher Trip. Ich war schon mal auf einer Headliner-Tour in Europa, aber davor nicht in Österreich. Es ist aber keine große Herausforderung, denn daheim in Toronto habe ich jahrelang auf Straßen gespielt. Das war zwar kleiner als die Bühnen hier, aber diese Gigs erinnern mich an damals, als alles begann. In Europa tanzen die Leute gerne zu meinen Songs, das ist cool. (lacht)

Du hast schon mit 13 als Straßenmusikerin begonnen und in kanadischen Bars gespielt. Hat dir das früh dabei geholfen, das Lampenfieber zu verlieren?
Lampenfieber habe ich noch immer vor jeder Show, aber es ist okay. Die Zeit hat mich am Instrument gestählt. Ich habe jeden Tag geübt und konnte mich dadurch enorm verbessern. Man wird es auch gewohnt, vor anderen Menschen zu performen, was für die größeren Bühnen sehr hilfreich ist.

Konntest du aus diesen frühen Erfahrungen etwas mitnehmen, das dir heute dienlich ist?
Ich weiß nicht so recht, da blieb sicher einiges hängen. Ich würde allen raten: Sag ja zu jedem Gig und jeder Show, die sich dir anbietet. Spiele vor einer Person mit genauso viel Leidenschaft wie vor 100 oder 1000 Personen, weil sie es alle genauso verdienen. Man muss jeden Auftritt genießen, weil es wundervoll ist.

Bist du jemand, der gerne ins kalte Wasser springt?
Ich bin tatsächlich jemand, der schon rein physisch gerne ins kalte Wasser springt, weil es erfrischt und die Gedanken ordnet. (lacht) Ich bin jemand, der gerne alles ausprobiert, was so des Weges kommt. Das macht das Leben spannend.

Dein Debütalbum „What’s The Point“ kam Ende Mai raus. Es hat ein bisschen gedauert, weil du schon 2020 das erste Mal richtig aufgefallen bist, die Pandemie deine Karriere aber dann doch ein bisschen eingebremst hat …
Ja und nein. Vielleicht wäre aber auch alles schlechter geworden, wenn die Pandemie nicht gewesen wäre, was meine Karriere angeht. Sehr viele Leute haben ihr Leben oder Angehörige verloren und mussten schwere Krisen durchleiden. Ob ich da jetzt in einer Bar singen kann oder nicht, ist in meinen Augen ein eher unnötiges „Problem“. Auch wenn es natürlich wichtig ist, zu performen und das Auftreten eine heilende Wirkung hat – in dieser Zeit war das nur eine Lappalie.

Ist das eines der Dinge, die „What’s The Point“ widerspiegelt? Dass man die Sorgen und Probleme in eine richtige Relation setzen sollte?
Ja, durchaus. Der Albumtitel ist zweideutig. Man kann „What’s The Point“ in einer positiven Art und Weise fragen und es ehrlich so meinen. Andererseits berufe ich mich natürlich darauf, dass zuviel Gerede und Geschwafel keinen Sinn macht. Man kann das Album aus beiden Perspektiven sehen, je nach Gefühl und Laune. Natürlich könnten wir da jetzt tiefenpsychologisch analysieren, aber das ist nicht das Ziel. Es ist einfach ein Albumtitel und das Leben ist verrückt. (lacht) Wenn du dir die Beschaffenheit der Welt ansiehst, wirken so viele Probleme nichtig. Auch darauf spielt der Titel an. Entspannt euch mal, chillt.

Wie lange hast du an diesem Album gearbeitet?
Ehrlich gesagt, hat das schon einige Jahre gedauert. Manche Songs sind sehr alt, aber ich habe sie dann immer wieder neu adaptiert. Akut habe ich etwa zwei Jahre an dem Album gearbeitet. Ich tendiere ein bisschen dazu, perfektionistisch zu arbeiten. (lacht) Das gilt aber nur für die Musik, ansonsten ist mir relativ viel egal. Aber ein erstes Album muss sitzen. Es soll passen und gut klingen. Jetzt ist es da und ich denke mir: „Was jetzt?“ (lacht) Irgendwann musst du es aber gehen lassen. Auch wenn du Songs schon hundert Mal umgeworfen hast, irgendwann musst du sie veröffentlichen. Ich mag den Gedanken, dass jede Person für sich ein Künstler ist und jedes Lied anders hört. Das hilft mir beim Fertigstellen.

Vielen Künstlern fällt es schwer, persönliche Songs zu teilen und die Interpretationsmöglichkeiten von außen zu akzeptieren. Die sind teilweise völlig anders als das, was der Künstler ursprünglich gemeint hat.
Da ist schon was dran. Sehr viele Leute mögen meine traurigen Songs und ich werde selbst traurig, wenn die Leute ihre persönlichen Geschichten mit mir teilen, die oft herzzerreißend sind. Man denkt als Künstler nicht daran, dass die eigenen Songs bei anderen so tief hineingehen können. Zumindest nicht am Anfang. Das gehört aber zum Leben und deshalb macht man Musik oder Kunst.

Stimmst du zu, dass man als Künstler für die besten geschriebenen Songs selbst in einer schwierigen emotionalen Lage stecken muss oder ist das bloß ein oft verwendetes Klischee?
Schwierig, das ist eine gute Frage. Ich glaube eher, dass das ein Klischee ist. Wenn ich Songs schreibe, fühle ich mich eigentlich immer ganz gut, das ist eine Grundvoraussetzung, um zu schreiben. Ich mag aber die Person, die diesen Satz erfunden hat. Irgendwie scheint ja doch was dran zu sein.

Kommst du beim Songwriting oft drauf, dass manche Texte oder Songs zu persönlich und intim sind? Dass du sie vor dem Veröffentlichen noch mal überarbeiten oder entschärfen musst?
Ich habe definitiv Momente gehabt, wo ich in persönlich schwierigen Momenten ein bisschen zu platt oder auch intim vorgegangen bin und dann glücklicherweise noch einmal drüberging, bevor das Lied herauskam. In erster Linie versuche ich aber möglichst ungefiltert mit den Texten rauszugehen. Wenn sie aus mir kommen, haben sie per se eine gewisse Berechtigung, mit anderen geteilt zu werden.

Die Single „Adult Swim“ zum Bespiel ist ein sehr offensiv-sexuell aufgeladenes Lied. Du spielst gerne mit solchen Themen, die immer noch oft tabuisiert werden. Ist das bewusst so, um dagegen zu strömen?
Viele Künstler singen über Sex und wenn dir Sex Spaß macht, dann kann man ihn auch feiern. Sex spielt im Leben vieler Menschen eine wichtige Rolle, also kann man auch offen darüber reden. Ich habe nie verstanden, warum solche Themen so vorsichtig angepackt werden, weil sie zum Alltag gehören. Man kann ruhig mal einen heißen Song schreiben, warum nicht? Die Songs am Album sind alle ziemlich persönlich. Ich schreibe schon immer Geschichten, aber die sind nie einfach nur fiktional. Das kann ich auch gar nicht.

Nachdem du dich – wie jeder andere auch – ständig weiterentwickelst, wächst und älter wirst – fällt es dir manchmal schwer, dich in älteren Songs von dir wiederzuerkennen?
Oh ja, das ist durchaus ein Thema, über das ich mir schon meine Gedanken gemacht habe. Viele Songs mag ich nicht mehr singen, aber die Leute verlangen danach. Das ist ein schmaler Grat für mich, weil ich natürlich die Leute respektiere, die meine älteren Songs mögen. Ich wachse allgemein ziemlich schnell aus meinen Songs raus, das ist schon seit den frühesten Tagen so. Man arbeitet zwei Jahre an Songs und dann sind sie schon alt. Aus diesem Schlamassel habe ich noch keinen Weg gefunden. Ich kann aus Fan-Perspektive natürlich verstehen, dass man bestimmte Songs seines Lieblingskünstlers hören möchte, deshalb versuche ich diesem Wunsch zu entsprechen, auch wenn es für mich nicht immer so leicht ist. Wichtig ist, dass die Menschen meine Musik hören wollen. Alles andere ist ein Luxusproblem.

Für viele Künstler wäre wohl die größte Sorge, dass der Song, den sie von sich am wenigsten mögen, am Ende ihr allergrößter Hit wird.
(lacht) Das kann ich nachvollziehen, aber davon bin ich noch weit entfernt, da kann ich nicht mitreden. Ich würde versuchen, den Song abzuändern oder zu adaptieren. Wie eine Art Remix, sodass man die Nummer wieder neu mögen kann.

Eine starke Single auf dem Album ist auch der Song „Growing Pains“, wo du mit sehr vielen Stimmlagerungen spielst und deine Gesangstalente hervorkehrst. Hat der Song einen schweren Hintergrund?
Das ist ein kleiner, trauriger Song, den ich sehr schnell geschrieben habe. Ich habe an etwas Negatives in meinem Leben gedacht und irgendwie hat sich der Song dann wie von selbst geschrieben. Als er fertig war, habe ich mich viel besser gefühlt und es war so, als wäre ich in einem anderen, robusteren Körper. Ich habe auf dem Song das erste Mal mit einem Theremin experimentiert, das ist so ein irres Instrument. Du berührst es ja nicht einmal, ziemlich krank. Das hat mir wirklich viel Spaß gemacht.

Willst du auch künftig immer auf neue Instrumente zurückgreifen und dich auch in dieser Hinsicht immer wieder neu herausfordern?
Ich wollte unbedingt ein Theremin, eine Harfe und eine Mandoline verwenden. Diese Wünsche habe ich mir erfüllt und jetzt bin ich an dem Punkt angelangt, dass ich beginne, Instrumente bei mir zu horten. (lacht) Warten wir mal ab. Ich bin ziemlich faul beim Üben. Ich kaufe alles zusammen und dann verstauben sie im Eck.

Deine Eltern sind aktiv im Country unterwegs, du bist also schon sehr früh musikalisch aufgewachsen. Hat dich das zu deiner Karriere animiert? Normalerweise sind Eltern ja oft dagegen, dass sich ihre Kinder ganz der Kunst verschreiben …
Sie waren großartig, mir die Angst vor der Bühne zu nehmen. Kanada ist ein ziemlich katholisches Land und auch meine Eltern haben oft sonntags in der Kirche gespielt. Als Teenager war ich natürlich strikt gegen Country und allem, was dazugehört, weil du naturgemäß gegen die Eltern strebst und alles so machen willst, dass es ihnen am Nerv geht. (lacht) Es hat eine Zeit lang gedauert, bis ich ihre Songs und auch den Stil zu schätzen lernte. Ich war oft mit auf Konzerten und habe Backstage gechillt, während sie gespielt haben. Da lernt man unweigerlich ein Gespür für das Livespielen und das Touren zu bekommen, was sicher hilfreich war.

Du hast mit Country mittlerweile also deinen Frieden geschlossen?
Absolut. Es hat aber ziemlich lange gedauert. Ohne klassischen Country würde es vieles andere nicht geben, das wurde mir klar. In Nordamerika ist Country so populär wie vielleicht noch nie, aber mir gefallen nicht alle Substile davon. Diesen Pop-Country, der die Charts bevölkert, halte ich nicht aus. Das ist absolut nicht meine Welt, aber die alten Klassiker, die sich sehr nahe an Folk und Soul bewegen, berühren mich. Ich muss mich aber auch nicht selbst belügen – nach ein paar Bieren gröle ich auch zu den Hits mit. Partymode on. (lacht)

Im Folk sind die Texte sehr poetisch und unheimlich wichtig. Ist das bei dir auch der Fall, oder hat die Musik an sich oberste Priorität?
Im Folk ist es viel leichter eine Geschichte zu erzählen. Dort sind die Texte im Mittelpunkt und man kann intim werden. Für mich haben Texte und Musik dieselbe Wichtigkeit. Du kannst die besten Texte der Welt schreiben, wenn du sie musikalisch nicht gut transportieren und in die Ohren der Menschen bringen kannst, ist es verlorene Liebesmüh. Mir machen Texte Spaß, auch wenn sie manchmal traurig sind und aus einem sehr tiefen Platz im Herzen kommen.

Fühlst du es, wenn ein Song fertig ist und keiner Veränderungen mehr bedarf? Spürst du das dann instinktiv?
Ich spüre vor allem, wenn noch etwas fehlt. Vielleicht kann ich nicht immer festmachen, was genau es ist, aber man merkt einfach, dass nur noch wenige Nuancen fehlen, um einen Track für das Album fertigzustellen. Von dort muss man dann kiefeln, um die letzten paar Prozent zu finden. Bei „What’s The Point“ hat sich aber alles ziemlich schnell gefügt, das hat mich selbst überrascht.

Hast du schon Pläne für das zweite Album oder weitere Songs? Ist dahingehend etwas im Laufen?
Habe ich. Eventuell wird es ein Akustikalbum, vielleicht aber auch nicht. Ich lote da gerade noch ein paar Details aus, aber es könnte durchaus in diese Richtung gehen.

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