Rund 9000 Fans mussten schon Montagabend Kräfte für die Restwoche sammeln, denn Interpol und die Smashing Pumpkins spielten ihr Retro-Progamm und wollten gar nicht mehr von der Bühne runter. Bei der Nostalgieparty zeigte sich: Wenn sie wollen, sind die Kürbisse noch immer voll im Spiel.
Der erprobte alte Spruch von den bellenden Hunden, die nicht beißen, ist bei den Smashing Pumpkins äußerst gut aufgehoben. Frontmann Billy Corgan, per se schon nicht zu den Einfachsten seiner Zunft zählend, kündigte vor der gerade durch Europa tingelnden „The World Is A Vampire“-Tour vollmundig an, sich nicht um Erwartungshaltungen und Hit-Wünsche der Fans zu scheren, sondern schlichtweg das Programm abzuspulen, das ihn selbst befriedige. Das wilde Säbelrasseln sollte doch nur zu einem Lüfterl im Wind werden, denn der alte Grantler setzt am Ende erst auf einige Klassiker, die die einst selbsternannte „beste Band der Welt“ vor allem in den 90er-Jahren glänzen ließ. Dabei war man gerade in der erweiterten Grunge-Szene schnell verschrien.
Rückkehr der Ex-Mitglieder
Die Smashing Pumpkins unterschrieben schon nach den ersten Babyschritten mit der Band einen Major-Plattenvertrag, was ihnen nicht nur die Street Credibility in der alternativen US-Szene kostete, sondern auch so manchen Schmähgesang des Mitbewerbs einbrachte. Die Kürbisschädel aus Chicago trotzten den Unkenrufern mit überbordendem Selbstvertrauen und machten das einzig richtige: Sie legten ein Kultalbum nach dem anderen vor. Die Pumpkins anno 2024 sind wieder ein bisschen das, was es früher einmal war. Nach einer zwischenzeitlichen Trennung und vielen Querelen sind Gitarrist James Iha und Drummer Jimmy Chamberlin längst wieder an Bord, die erst heuer in die Band gecastete Gitarristin Kiki Wong ist nicht nur ein Bühnen-Augenschmaus, sondern glänzt auch an der Streitaxt: etwa beim ausfadenden Solo von „Empires“.
Das Bühnenbild verzichtet auf Videowalls, setzt aber auf massive Lichtkegel, die im Set viel zu selten eingesetzt werden. Fronthüne Billy Corgan wickelt sich und seinen Anstandsbauch in einen bodenlangen schwarzen Mantel und erinnert samt seiner noblen Blässe unweigerlich an den unvergessenen Max Schreck als Nosferatu. Dass Songwriting-Buddie und Gitarrist Iha ganz in Weiß auftritt, kann durchaus als geplantes Kontrastprogramm verstanden werden. Kiki Wong glänzt mit Jugendlichkeit, Backgroundsängerin Katie Cole mit dem so wichtigen weiblichen Timbre, das einem Song wie „Springtime“ sogar die Hauptkolorierung verpasst. Das sich in Nostalgie suhlende Publikum bestaunt jedenfalls seinen Liebling Corgan, singt bei Tracks wie „The Everlasting Gaze“ oder der famosen Ballade „Today“ lauthals mit und hilft schon früh im Set textsicher aus. Eher befremdlich wirkt das schon an dritte Stelle gebrachte, mit einem Drum-Solo aufgefettete U2-Cover „Zoo Station“, das die Band extra für diese Tour einprobte.
Bitte etwas verdünnen
Corgan inszeniert sich einstweilen als großer Zampano und lässt sich vom Publikum feiern, obwohl die großen Tage lange vorbei sind und die Band schon seit jeher das eigene Vermächtnis spazieren trägt. Die Songs des überkandidelten, auf zwei Veröffentlichungsjahre aufgeteilten Konzeptwerks „Atum: A Rock Opera In Three Acts“ hätten Corgans Opus Magnum werden sollen, enttäuschten aber als Synthie-Schrägpop-Spielereien. Songs wie „Springtimes“ oder „Beguilded“ hätte man durchaus weglassen und damit das etwas künstlich auf zwei Stunden aufgeblähte Set verdünnen können. Doch eine reine Hit-Revue spielt’s bei Corgan natürlich nicht und angesichts der seltenen Österreich-Auftritte ist das schon in Ordnung. Die großen Nummern überstrahlen ohnehin alles. „1979“, „Jellybelly“, das schräge „Mayonaise“ oder die zum Niederknien gelungenen Rausschmeißer „Cherub Rock“ und „Zero“ treffen voll ins Schwarze.
Die absolute Königsnummer ist natürlich das zeitlose „Bullet With Butterfly Wings“, das die Band trotz der inflationären Verwendung überraschend motiviert exerziert. Der exzentrische Frontmann lässt den angeborenen Grant dieses Mal daheim und scheint sich am sommerlichen Wien zu erfreuen. Die Zwischenansagen darf meist Iha machen, der etwa über das Kunstverständnis des Wieners parliert und zum Gewinn der Fan-Herzen auch noch ein paar Wörter auf Deutsch ins Mikro stammelt. Die willkommenste Überraschung passiert im Schlussdrittel. Corgan kündigt, an, weit in der Bandhistorie zurückzugehen und bleibt tatsächlich beim 1991er-Debüt „Gish“ stecken. Die druckvoll-progressive Variante vom unerwarteten Song „Rhinoceros“ ist eines der Highlights an diesem Abend. Große Spielereien, ausufernde Akustik-Einlagen oder visuelle Effekte lassen die Pumpkins stecken, das wankelmütige Kollektiv hat man aber – auch hierzulande - schon wesentlich blutleerer gesehen. Zwei, drei Nummern weniger hätten es aber auch getan.
Schwarz und ruhig
Im Vorprogramm dürfen die New Yorker Interpol gleich eine Stunde lang ihre Kunst zum Besten geben. Fast exakt ein Jahr nach ihrem Auftritt am Linzer „Lido Sounds“ gab es ein willkommenes Da-Capo, bei dem sich am Bühnengebaren aber nicht viel geändert hat. Das adaptierte Trio (Stamm-Drummer Sam Fogarino ist aufgrund der Folgen an seiner Wirbelsäulen-OP noch immer außer Gefecht gesetzt) ist adrett in Schwarz gekleidet, Frontmann und Wahl-Berliner Paul Banks glänzt dabei noch cool mit Sonnenbrille und rückt nur ungern wenige Zentimeter von der Stelle. Interpol sind nach 20 Jahren noch immer so etwas wie die Blaupause für den legendären 2000er-Indie, an dem Banks und Co. federführend beteiligt waren. Bei Songs wie „Narc“ oder „My Desire“ sind Signature-Sound-Elemente vorhanden – auch hier huldigt man der unübertreffbaren Nostalgie der Fans.
Die großen Live-Primadonnen waren Interpol noch nie, die Magie ihrer Auftritte beruhen am eingängigen Songwriting, das für Klassiker wie „The Rover“, „Obstacle 1“ oder „The New“ sorgte. Während Banks mit zurück gegeltem Haar und guter Stimme die Blicke auf sich zieht, ist Kompagnon Daniel Kessler der eigentliche Arbeiter. Wenn er seine markanten Indie-Licks durch die schwach klimatisierte Stadthalle spielt, schießen prismatische Lichteffekte über ihn hinweg und machen den topgestylten Mannschaftskapitän für kurze Phasen des Abends zum echten Rockstar. Die Idee, eine solche Tour mit quasi „eineinhalb“ Headlinern zu spielen, erweist sich auch ob der sich teilweise überkreuzenden Fanschar als goldrichtig. Ihren Karrierezenit mögen beide Acts längst überschritten haben, aus der Hype-Gruft der 90er- und 2000er-Jahre röchelt es aber noch immer lebendig heraus. Schließlich und endlich: The World Is A Vampire.
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