Im Juli im Gasometer

The Cult: 40 Jahre Gothic-Rock-Geschichte live

Musik
27.06.2024 09:00

Mit ihrem Debütalbum „Dreamtime“ revolutionierten die Briten The Cult vor exakt 40 Jahren den zugänglichen Gothic-Rock mit Post-Punk-Kante. Grund genug, um jetzt auf Jubiläumstour zu gehen und dabei endlich auch wieder in Wien vorbeizuschauen. Zuvor philosophierten wir mit Frontmann Ian Astbury über Gott und die Welt.

(Bild: kmm)

Strenggenommen gehen die Wurzeln der Band schon bis ins Jahr 1981 zurück, aber so richtig ins Rollen kam der britische Gothic-Rock-Express The Cult 1984 mit dem Debütalbum „Dreamtime“. Das im walisischen Monmouth aufgenommene Meisterstück wurde zu einem Kultwerk, das der Band rund um Frontmann Ian Astbury und Gitarrist Billy Duffy schnell einen Kultstatus einbrachte. Das ungleiche Duo dominierte mit den Folgealben „Love“ (1985), „Electric“ (1987) und „Sonic Temple“ (1989) die düstere Szene und hielt diesen Status noch bis Mitte der 90er-Jahre, als sich die Band das erste von insgesamt zweimal auflöste. Seit der zweiten Wiedervereinigung 2006 hat man zwar keine mannschaftliche, aber eine musikalische Stabilität in die Band zurückgebracht. Das schlägt sich nicht zuletzt in guten bis sehr guten Alben nieder, wie etwa dem 2022 veröffentlichten „Under The Midnight Sun“, das man bewusst im selben Studio wie das Debüt aufnahm, um einen Kreis zu schließen.

Gustav Klimt als Tattoo
So feiert die Band aktuell ihr 40-Jahre-Jubiläum und tourt zu diesem Zwecke im Sommer durch ganz Europa. Sieben Jahre nach einem umjubelten Auftritt am Open-Air-Gelände der Wiener Arena sind die Briten nun auch wieder in Wien zu Gast - dieses Mal im Gasometer, am 24. Juli. Zu Österreich hat der kunstinteressierte Frontmann Astbury besondere Bezüge. „Gustav Klimt habe ich tätowiert und ich liebe auch Egon Schiele“, erzählt er der „Krone“ im Zoom-Interview aus seiner Wahlheimat Los Angeles, „ich hoffe, dass ich in Wien Zeit finde, um die Secession zu besuchen und diverse Galerien abzuklappern. Ich spiele schon länger mit dem Gedanken, eine Tour genau nach diesen Gesichtspunkten zu planen. Das Leben zieht auf Tour so schnell an einem vorbei, da möchte ich die wenige Freizeit, die mir dazwischen bleibt, so sinnvoll wie möglich nutzen.“

Der 62-Jährige gilt als einer der besten Rocksänger der Welt. Neben The Cult verdingte er sich auch in einer The Doors-Coverband mit den Originalmitgliedern Ray Manzarek und Robby Krieger, stand am Mikro bei der MC5-Reunion 2003 und war als Gast bei so unterschiedlichen Kapazundern wie Slash, Tony Iommi oder Nine Inch Nails zu hören. Seine Cult-Texte waren stets tief durchzogen von persönlichen Erlebnissen und Rückschlägen. Es ging um seine harte Kindheit in Glasgow und England oder den sexuellen Missbrauch, den er mit 15 erlitt. Astbury ist zudem nicht nur kunstinteressiert, sondern auch hoch-philosophisch unterwegs. Gespräche mit ihm gleiten innerhalb kürzester Zeit vom Hundertsten ins Tausendste ab und haben mit der Musik und seiner Lebensband nur sehr wenig zu tun. Während er den Sound lieber auf der Bühne mit The Cult sprechen lässt, erweist er sich abseits davon als überbordend interessierter Lebemann.

Bühne als heiliger Platz
„Zum Jubiläum fragt man mich natürlich gerne nach Erinnerungen und Vorkommnissen, aber ich lebe lieber in der Gegenwart. Natürlich ist ein 40-Jahre-Jubiläum eine besondere Marke, aber wenn ich auf der Bühne stehe, habe ich die Augen meist fest geschlossen und kriege gar nicht mit, was um mich herum passiert. Die Bühne ist für mich ein heiliger Platz und ich möchte die Menschen für knapp zwei Stunden aus den Sorgen und Nöten der Realität reißen. Das ist es, was mir in dem Moment wichtig ist.“ The Cult sieht Astbury nicht als Bühnenschauspiel, sondern als Working-Class-Band. „Ich lebe seit meinem elften Lebensjahr in Nordamerika, aber die Werte meiner Kindheit in Großbritannien begleiten mich bis heute. Komme ich nach England zurück, fühlt sich das für mich immer ein bisschen seltsam an. Ich fühle mich in New York, Chicago und Los Angeles zu Hause, liebe den US-Punk und Psychedelic-Punk, der in den 60er- und 70er-Jahren in Amerika entstanden ist. Das ist das Fundament unserer Musik.“

Astbury ist gleichermaßen Musiker wie Fan. Das unvergessene britische Pop-Chamäleon David Bowie verehrt er über alles. „Er prägte eine ganze Generation durch seine bloße Existenz. Er hat junge Menschen dazu verleitet, das Ungewisse auszuprobieren und nachzudenken. Er wollte, dass wir alle süchtig danach werden, Neues auszuprobieren und uns selbst immer wieder neu zu finden und zu erfinden. Bowie war ein Mentor aus dem Bilderbuch und solche Persönlichkeiten fehlen heut.“ Astbury weiß, dass sich die Jugend heute lieber durch TikTok-Videos und Instagram-Feeds scrollt, anstatt sich mit Literatur und Sachbüchern zu befassen. „Ich sage nicht, dass das schlecht ist, aber es lässt uns abstumpfen. Früher waren große Künstler und Personen wie Arthur Rimbaud oder Charles Bukowski Ikonen. Heute sind es Fußballer. Kanye West rennt mit einem Shirt von David Beckham durch die Gegend, Hollywood-Schauspieler Ryan Reynolds investiert in den walisischen Unterligaverein Wrexham und Tom Hanks drückt ein paar Mal im Jahr Aston Villa im Stadion die Daumen. Dagegen ist nichts zu sagen, aber dass wir sie alle zu Helden hochstilisieren, finde ich seltsam.“

Ideen und Visionen
Astbury stammt aus einer Jugendkultur, die völlig gegen die Mechanisierung der menschlichen Seele war, worauf sich auch einige seiner Texte beriefen. „Heute leben wir in einem besonderen Narrativ, das uns sagt, wir sollten von 7 bis 17 Uhr arbeiten und den restlichen Tag drumherum ausrichten. Das ist der Grund, warum ich mich schon immer viel stärker mit Künstlerinnen identifiziert habe. Anne Imhoff, Vincent Van Gogh oder eben Bowie. Menschen, die nicht nach einem Zeitplan gehen, sondern nach Ideen und Visionen. Wir sind heute umgeben von Performern und Entertainern, nicht aber von echten Künstlern. Ich würde mich selbst nicht als Künstler bezeichnen, weil ich mich niemals mit einer Vivienne Westwood oder einem Mark Roscoe messen könnte. So viele Menschen haben grandiose Visionen, aber man muss diese Visionen am Kommerz vorbei lenken. Wir sind jedenfalls keine Band, die Dinge macht, um Likes zu bekommen. Wir sind ein Teil der Pop-Kultur, aber nicht greifbar. Viele wissen gar nicht, dass wir existieren und das ist völlig okay.“

Der charismatische Frontmann achtet auch darauf, offen für neue Strömungen zu bleiben. So hält Astbury die Berliner Musikszene für die derzeit spannendste in ganz Europa und ist ausgewiesener Fan des Rappers Ufo361. „Großartig, wie er die zeitgenössischen Trap-Einflüsse mit einem klassischen Zugang verknüpft. Es erinnert irgendwie an den Sound der 90er-Jahre und ist trotzdem total unverbraucht.“ Für The Cult hat Astbury aktiv vielleicht kein neues Studioalbum, aber andere große Pläne im Köcher. „Ich stelle mir etwas vor, dass über CDs, Platten, Konzerte, Poster und T-Shirts hinausgeht. Ich kann mir vorstellen, auch als Produzent, Filmregisseur oder Modelabel-Chef zu arbeiten. Trent Reznor von Nine Inch Nails etwa ist ein wunderbarer Entrepreneur, der immer aus der Box hinausgedacht hat. Sich zu entwickeln, liegt in unserer menschlichen DNA. Ich sehe keinen Grund, warum wir diesem Drang nicht nachgeben sollten.“

Live im Gasometer
Am 24. Juli laden The Cult zu ihrem 40-Jahr-Jubiläum in den Wiener Gasometer. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das sommerlich-dunkle Konzerthighlight, bei dem Astbury, Duffy und Co. natürlich all ihre großen Hits wie „She Sells Sanctuary“ spielen, aber sicher auch mit der einen oder anderen Überraschung aufwarten werden. Ein besonderer Abend ist jedenfalls garantiert.

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