Das deutsche Folktronica-Duo Milky Chance war die erste größere internationale Band am Eröffnungstag des diesjährigen Lido Sounds am Linzer Urfahrmarkt. Das Kasseler Duo Clemens Rehbein und Philipp Dausch zeigte sich im „Krone“-Talk vom Backstagebereich angetan und philosophierte über Freundschaft, Nachhaltigkeit und die anstrengende Selbstvermarktung im Musikbusiness.
„Krone“: Clemens, Philipp – welche Erfahrungen habt ihr vor eurem Auftritt am Lido Sounds bereits gemacht?
Philipp Dausch: Es gibt ein wirklich sehr gutes Catering – viel und gut, das ist die beste Kombination und macht bei einem Festival einiges aus. Ich bin vorher die Donaulände runtergelaufen und habe danach einen tollen Physio erwischt. Hier ist alles wunderbar.
Milky Chance sind bekannt als eine „Green Band“. Nachhaltigkeit ist euch sehr wichtig. Achtet ihr auch darauf, welche Festivals ihr bespielt?
Clemens Rehbein: Würde ich schon sagen. Es gibt eine Menge Parameter, die wir beachten. Es gibt prinzipiell diese XY-Achse, auf der Gage und Coolness notiert sind. Am besten ist natürlich: „Gage hoch, sehr cool“. (lacht) Das gilt natürlich nicht für alle, aber man hat schon einen gewissen Kompass für Festivals und das besprechen wir intern im Team. Wenn es für alle cool ist, dann passt es auch.
Wird das Thema Nachhaltigkeit auf Festivals zunehmend wichtiger?
Dausch: Das gilt für uns, wie für alle anderen Menschen auch. Je schlimmer es der Welt geht, umso mehr muss man sich um Verbesserungen kümmern.
Rehbein: Für uns als Band ist die Musik natürlich das Wichtigste. Weltweit liegen die Dinge im Argen und das bedingt gewisse Veränderungen.
Die Frage ist ja: Ändert man was, weil es sein muss, oder weil man die intrinsische Motivation dazu hat, Dinge anders zu machen?
Dausch: Auch das geht Hand in Hand. Wir haben eine intrinsische Motivation, aber der Druck ist dennoch vorhanden. Würde es dem Planeten gutgehen, hätten wir nicht so einen hohen Veränderungsdruck und müssten uns nicht so viele Gedanken machen. Dann hätte man vielleicht weniger intrinsische Motivation. Wir alle wollen aus Fehlern lernen und die Dinge besser machen.
Coldplay versuchen gerade, ihre Musik blinden und tauben Menschen zugänglich zu machen. Das Inklusions-Bestreben nimmt rundum zu.
Rehbein: Natürlich, für gewisse Dinge braucht man aber gewisse Budgets, die große Festivals haben und dafür einsetzen können. Wir teilen die Bestrebungen und Vorhaben, aber wir sind, was das angeht, keine Entscheidungsträger.
Dausch: Wenn du wie Coldplay in der allerhöchsten Liga unterwegs bist, ist es nett, wenn du mit so gutem Beispiel vorangehst.
Ihr seid jetzt aber auch nicht mehr die kleinste Nachwuchsband, wart schon am Coachella, anderen großen Festivals und habt Riesenkonzerte gespielt …
Rehbein: Ja, aber wenn wir unsere Stimme erheben und Dinge fordern, dann hauen uns die Veranstalter vom Billing. Wir sind keine Headliner, da können wir uns verpissen. (lacht) Wir sind irgendwo im Mittelfeld unterwegs und haben nicht viel zu melden.
Beim Wiener Donauinselfest holte die Band Itchy unlängst eine Sprecherin der Letzten Generation auf die Bühne. Ihr wurde nach einer gewissen Zeit das Mikro abgedreht, die Band durfte das Set fertig spielen und wurde dann aus dem Backstage verwiesen. Wie seht ihr das?
Rehbein: Das ist schon hochpolitisch. Wenn die Stimmung generell immer hitziger wird, hält sie Einzug in die Kunstwelt und dann kommt so etwas vor. Prinzipiell finde ich die Aktion von Itchy korrekt und richtig. Alle Kids sollten das immer tun – für die Werte einstehen, die sie haben in prekären Zeiten wie diesen.
Ihr seid zusammen seit mehr als zehn Jahren sehr erfolgreich unterwegs. Wird man nach einer gewissen Zeit des Tourens müde?
Dausch: Die Dinge verändern sich, aber generell genieße ich das Touren mehr. Ich bin sehr präsent, wenn ich unterwegs bin. Je älter ich werde, umso mehr bin ich im Hier und Jetzt. Keine Veränderung ist leicht und man muss sich dafür bemühen. Das Unterwegssein an sich ist körperlich anstrengend, aber rein inhaltlich macht es mir immer noch großen Spaß.
Wie hält man die Freundschaft und Kollegialität nach so vielen Jahren und Erlebnissen frisch?
Rehbein: Dafür braucht man noch immer die gute alte Gemeinschaftsdusche. (lacht)
Dausch: Das ist eine große Frage. Man braucht ein gutes Grundvertrauen zueinander und muss für sich da sein. Man muss offen sein für Veränderungen und für Ideen des jeweils anderen. Einfach gemeinsam wollen, sonst würde es nicht funktionieren. Dann könnte man gleich ein Soloprojekt starten.
Das gibt es bei euch noch nicht. War das schon mal eine Überlegung?
Dausch: Nein, das haben wir so noch nicht gefühlt und unsere Karriere war so nie angepeilt.
Rehbein: Es wäre aber voll okay und auch interessant zu sehen, was der andere alleine macht. Ich stehe dem überhaupt nicht im Wege. Hat man eine gesunde, freundschaftliche Liebe füreinander, dann freut man sich, dass der andere auch tolle Sachen macht. Das ist dann hoffentlich nett – oder auch scheiße. (lacht)
Würdet ihr euch das auch so direkt sagen?
Dausch: Das ist natürlich die Frage, aber es wäre anzuraten. Wir sind prinzipiell positive Menschen und versuchen uns Dinge zu erklären.
Rehbein: Hätte man prinzipiell ein Problem damit, dass der andere selbst was macht, dann hat man selbst ein Problem mit sich. Das geht direkt in die Eifersuchtsschublade über und ist bei uns kein Thema.
Dausch: Wenn ich etwas anderes machen würde, wäre das natürlich cool, aber dann darf die Band nicht darunter leiden. Man kann sich woanders hinbewegen, aber man muss das kommunizieren und miteinander reden.
Rehbein: Die Band sollte immer eine gewisse Priorität haben, aber es wäre natürlich berechtigt, dass einer gerade mal keinen Bock auf die Band hat – aber auch da muss man klar reden. Es ist genauso wie in einer Beziehung. Es ist scheiße, wenn du dich plötzlich woandershin orientierst, aber wenn es so ist, dann musst du darauf reagieren.
War es stets einfach, dass ihr so gut und offen miteinander kommuniziert?
Dausch: W sind darin auf jeden Fall besser geworden und haben viel dazugelernt. Wir haben früher wenig miteinander kommuniziert, was auch gut war. Mittlerweile können wir sehr offen miteinander reden, was krass ist. Damals war die Basis so stabil, dass wir nicht alles austauschen mussten, aber je mehr passiert, umso mussten wir reden, um Dinge zu klären oder zu entscheiden.
Bei euch wurde aus einer reinen Freundschaft eine Freundschaft mit Job. Das sind Voraussetzungen, die eher selten sind …
Rehbein: Das stimmt, darüber müsste ich genauer nachdenken. Es kann auch aus einem Job eine Freundschaft entstehen. Ich weiß nicht, welche Konstellation seltener oder besser ist. Bei uns war immer die Musik dabei und für alles andere mitentscheidend.
Gab es einen speziellen Punkt, an dem ihr gewusst habt, dass ihr am Scheideweg zwischen Karriere und Hobby seid?
Dausch: Wir haben einfach Musik gemacht und daraus haben sich Dinge entwickelt. Wir hatten aber immer große Lust darauf, haben manche Dinge gut gemacht und manche total verbockt und sind dadurch mit allen Bereichen, die so ein Job mit sich bringt, konfrontiert worden.
Rehbein: Wir haben nicht darauf gewartet, dass ein Fisch anbeißt, sondern hatten selbst Lust darauf, aufs Meer zu fahren. Es gab eine generelle Aufbruchstimmung und wir wollten Musik machen. Dann hat sich die eine oder andere Gelegenheit ergeben und wir haben zugeschlagen, aber das war nicht aus einem Business-Mindset heraus geboren.
Wenn eine Band zum Business wird, dann wird es meist ein bisschen schwierig, zwanglos kreativ zu bleiben.
Dausch: Man ist schon noch zwanglos kreativ, aber auch zwangsweise ein bisschen im Business verankert. Es stellt sich eher die Frage, was man mit der Kreativität macht, wenn das Business überhandnimmt. Milky Chance ist mittlerweile ein großes Projekt, da hängen viele Menschen dran. Natürlich ist das nicht so ohne.
Je mehr man veröffentlicht und je größer man wird, umso mehr Erwartungshaltungen von außen kommen damit einher. Könnt ihr euch von denen befreien?
Rehbein: Gute Frage. Es ist aber nicht so, dass man sich von diesen Erwartungshaltungen völlig abkapseln kann. Das ist ein Irrglaube.
Dausch: Es kommt auch immer darauf an, wie der Endkonsument tickt. Will er die ganze Zeit nur Blumenkohl, oder auch mal Spargel? Ich glaube, dass die Erwartungshaltungen eher intern aus der Musikindustrie kommen. Dass etwas Erfolg hat und die Plattenfirmen dann versuchen, diesen Trend zu reiten. Wenn etwas funktioniert, will man es wiederholen, das ist pures Entertainment. Auch TikTok arbeitet mit Extremen – zwischen Horror und Humor. Das wird dann zusammengepresst und gleichzeitig ausgeworfen, aber es funktioniert so nicht. Wenn du etwas lustig findest, versuchst du vielleicht dasselbe zu machen, weil die Leute das abfeiern – aber wenn du das machst, ist es natürlich nicht so lustig wie das Original. Mich verwirrt es, wie hier versucht wird, Dinge zu reproduzieren.
Das ganze Musikbusiness ist sehr visuell geworden. Nichts geht mehr ohne Videos, Social-Media, Snippets, Reels, Storys. Zerstört das die Musik an sich?
Dausch: Das ist mittlerweile zu einem klassischen Volksleiden von Musikern geworden. Viele hinterfragen, ob sie noch Künstler sind, oder nur noch virale Scheiße produzieren. Das nervt und da befindet sich das Business schwer im Wandel. Es bleibt spannend, wohin die Reise geht.
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