Auffällige Schüler

„Auf uns kommt ein gefährlicher Tsunami zu“

Politik
28.06.2024 18:54

Das Bildungssystem steht auf der Kippe. Die Politik muss jetzt gegensteuern, „denn auf uns kommt ein gefährlicher Tsunami zu“, warnt anlässlich des Ferienbeginns Buchautor und Bildungsexperte Andreas Salcher im Interview mit „Krone“ und krone.tv. Die Zahl der verhaltensauffälligen Schüler nimmt dramatisch zu.

Salcher lehnt es ab, eine Schulnote an Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) zu vergeben, aber aus seinen Aussagen lässt sich ein klarer Fleck interpretieren. „Minister Polaschek ist ein reiner Systemverwalter. Seit zwei Jahren herrscht ein totaler Stillstand.“ Das österreichische Bildungssystem steure aber auf immer mehr Probleme zu, „da kommen wir mit Schönreden und Gesundbeten nicht weiter“, legt Salcher den Finger in die Wunde und zeigt auf, was sich ändern müsste.

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Mit Schönreden und Gesundbeten kommen wir nicht weiter.

Bildungsexperte Andreas Salcher

Kindergärten gehören in das Bildungsministerium
„Das erste und wichtigste ist nicht neu, aber noch immer nicht umgesetzt: Wir brauchen die besten Kindergärten. Wir müssen die Position der Elementarpädagogen ins Bildungssystem bringen. Wir müssen sie ausbilden wie Lehrer und daher auch zahlen wie Lehrer. Und sie müssen Teil des Bildungsministeriums werden. Weil du in der Elementarpädagogik, in den Kindergärten soziale Nachteile und Sprachnachteile kompensieren kannst.“ 

Salcher bei krone.tv (Bild: krone.tv)
Salcher bei krone.tv

Brauchen eine ganz neue Art der Pädagogik
Die zweite Maßnahme wäre mehr Schulautonomie.  2017 gab es schon ein Schulautonomiepaket, das wurde aber nicht umgesetzt. Mehr Autonomie soll den Schulen die Möglichkeit geben, die 50-Minuten-Stunde und die Klassenverbände aufzulösen, externe Leute hereinzuholen und spannende Projekte zu machen. „Also eine ganz neue Art der Pädagogik. Das machen ganz wenige Schulen, übrigens auch Brennpunktschulen, die machen das sehr erfolgreich, das funktioniert. Aber die meisten Schulen kennen die Autonomie überhaupt nicht, weil es nie kommuniziert und begleitet wurde.“

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Flächendeckende, ganztägige Schulformen sind die einzige Chance, um die bildungsfernen Kinder, wo die Eltern am Nachmittag nicht mit ihnen lernen können, zu erreichen.

Bildungsexperte Andreas Salcher

Ganztägige Schulformen für Kinder aus bildungsfremden Schichten
„Das Dritte sind flächendeckende, ganztägige Schulformen. Das ist die einzige Chance, um die bildungsfernen Kinder, wo die Eltern am Nachmittag nicht mit ihnen lernen können, zu erreichen. Die Bildungsschichten geben ihre Kinder in die ganztägige Schulform, weil die Frauen meistens berufstätig sind. Die Bildungsfernen tun das nicht. Da ist die Frau zu Hause und manchmal sind überhaupt alle zu Hause.“

Abschaffung der Sonderpädagogen „völlig verrückt“
Die Zunahme der verhaltensauffälligen Kinder bezeichnet Salcher als „dramatisch“. „Wir haben in manchen Mittelschulen Situationen, wo sich ein Kind am Boden schreiend wälzt, wo mit dem Zirkel auf den Nachbarn eingestochen wird, wo Kinder den ganzen Tag apathisch in der Klasse sitzen. Das ist für Lehrer nicht mehr schaffbar. Dazu brauchen wir speziell dafür ausgebildete Experten. Da kommt ein ganz gefährlicher Tsunami auf uns zu.“ Als „völlig verrückt“ bezeichnet Salcher die Abschaffung der Sonderpädagogen. „Mir sagen die Lehrer und die Direktoren, dass sie dringend Sonderpädagogen und mehr Schulpsychologen benötigen.“

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Mir sagen die Lehrer und die Direktoren, dass sie dringend Sonderpädagogen und mehr Schulpsychologen benötigen.

Salcher

Schulsystem auf Probleme nicht vorbereitet
Es brauche auch einen Elternführerschein, sagt Salcher. Eltern sollen damit verpflichtend in Kursen das Elternsein lernen. Die Auszahlung der Familienbeihilfe soll an die Teilnahme geknüpft werden wie beim Mutter-Kind-Pass. „Im Sinne des Kindeswohls halte ich das für sinnvoll.“ Unser Schulsystem erbe gesellschaftlichen Probleme, auf die es überhaupt nicht vorbereitet ist. „Eine Volksschulklasse ist nicht darauf ausgerichtet, dass sie 25 Kinder hat, von denen die Hälfte überhaupt nicht Deutsch kann.“

Kinder mit nicht deutscher Muttersprache müssen in Sommerschule
Ganz wichtig wäre auch eine verpflichtende Sommerschule, wie sie ursprünglich geplant war. Kinder, die die ganzen Ferien in ihren Herkunftsländern verbringen, können im Herbst wieder schlecht Deutsch. „Der Lernverlust für diese Kinder ist einfach unglaublich, während die Bildungsschichten ihre Kinder ins Tennis-Camp schicken und mit ihnen Museen im Ausland besuchen. Das alles regt an und ist Lernen.“

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