Ab 7. Juli sind in neu zugelassenen Autos weitere neun Assistenzsysteme obligatorisch – und das, obwohl sie teilweise weit entfernt davon sind, zuverlässig zu funktionieren. Das zeigen auch Untersuchungen des ÖAMTC, der die Systeme getestet und ihre Akzeptanz abgefragt hat.
Derzeit sind bei Pkw vier Assistenzsysteme (ABS, ESP, Bremsassistent, Gurtwarner) standardmäßig dabei. Nun kommen neun weitere dazu:
Diese Systeme müssen laut EU-Typengenehmigungs-Verordnung in Fahrzeugen mit Erstzulassung ab 7. Juli 2024 verbaut sein.
Einer der umstrittensten davon ist der „intelligente“ Geschwindigkeitsassistent, der das aktuelle Tempolimit auf Basis von Kamerabildern und Navigationskartendaten anzeigt und im Fall einer Überschreitung akustisch und visuell warnt. Die Erfahrung aus unzähligen Tests aktueller Autos in der „Krone“-Motorredaktion zeigt: Dieses Assistenzsystem ist alles andere als zuverlässig und liegt viel zu oft daneben. Zeigt es ein zu hohes Limit an, kann das (abgesehen von der Gefährdung durch zu schnelles Fahren) eine teure Radarstrafe nach sich ziehen, ein zu niedrig angezeigtes Limit ist lästig und vor allem dann gefährlich, wenn es das Auto automatisch übernimmt und unvermittelt herunterbremst.
Die mangelnde Zuverlässigkeit belegte nun der ÖAMTC mit Tests in Form von Fahrversuchen. Irritierend sind zwei Dinge: Warum funktioniert das System bei keinem Hersteller zuverlässig, obwohl es bereits seit bald 20 Jahren am Markt ist und weiterentwickelt wurde? Schon im Jahr 2007 hat Hella die erste Front-Kamera mit Verkehrszeichen- und Spurerkennung vorgestellt. Und: Warum schreibt die EU einen Assistenten vor, der nicht funktioniert?
Auch andere Systeme werden vom ÖAMTC kritisiert, etwa „unpassende Lenkeingriffe durch Spurhalteassistenten“ oder „Systeme, die den Fahrer ständig ermahnen, den Blick auf die Straße zu richten und dadurch stressen“, so ÖAMTC-Techniker David Nosé zusammen. Zwar kann man die Systeme deaktivieren. Aber: „Abschalten ist keine Lösung, sondern ein verschenktes Sicherheitspotenzial“, so Nosé.
Assistenzsysteme können Leben retten
Die Notwendigkeit funktionierender Assistenten steht außer Frage. „2023 gab es in Österreich 22.970 Pkw-Unfälle mit Personenschaden, mehr als 80 Prozent davon wurden von einem der beteiligten Lenker verursacht. Je nach Unfallkonstellation haben Fahrerassistenzsysteme das Potenzial, Unfälle gänzlich zu verhindern oder zumindest die Unfallschwere zu mindern“, erklärt der Experte.
So passiert beispielsweise ein Drittel der Alleinunfälle aufgrund von ‘Unachtsamkeit, Ablenkung‘: Hier kann durch einen Lenkeingriff des Notfall-Spurhalteassistenten ein Abkommen von der Fahrbahn verhindert werden. Im Begegnungsverkehr gilt das als Auslöser für ein Viertel der Unfälle mit Personenschaden, die durch Pkw-Lenker hauptverursacht werden. „Ein Notfall-Spurhalteassistent kann viele dieser Unfälle verhindern oder die Folgen abmildern, wenn man aus Unachtsamkeit von der Straße abkommen oder über die Mittellinie in den Gegenverkehr geraten würde“, so Nosé. Ein Notbremsassistent reduziert die Zahl bzw. die Schwere der Unfälle mit Fußgängern und Radfahrern sowie von Unfällen im Richtungsverkehr.
Ein Drittel der Befragten (1096 Personen, darunter 1003 Autofahrer und Autofahrerinnen) einer Spectra-Umfrage im ÖAMTC-Auftrag gab an, dass sie der Eingriff eines Assistenzsystems in einer Gefahrensituation schon einmal gerettet hat – 58 Prozent durch einen Signalton, 50 Prozent durch eine Bremsung. Gleichzeitig berichtet ein Drittel auch über eine falsche Warnung - Signalton (43 Prozent) und Bremsung (41 Prozent) liegen hier gleich auf.
57 Prozent der Befragten vertrauen den Systemen. Die Bedeutung der Signale kennt aber nur knapp die Hälfte – nur 44 Prozent der Fahrer, deren Fahrzeug über Assistenzsysteme verfügt, können alle Töne und Signale zuordnen. „Das heißt umgekehrt, dass 56 Prozent die Signale nicht oder nur teilweise kennen“, sieht Nosé Aufklärungsbedarf. Der ÖAMTC-Experte verweist hier zudem auf frühere Befragungen unter Klub-Mitgliedern. „Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass heute weniger Menschen die Signale verstehen als noch vor einigen Jahren – Ursache könnte die Vielfalt an Systemen sowie die steigende Komplexität in der Bedienung moderner Fahrzeuge sein.“
Doch lieber abschalten?
Die Freude unter den Autofahrern über die „segensreichen“ Assistenzsysteme hält sich offenbar in Grenzen: 28 Prozent der befragten Autofahrer würden die abschaltbaren Systeme bei jedem Neustart manuell deaktivieren (was bei manchen Autos sehr umständlich sein kann) – besonders Männer und jüngere Lenker stechen hier hervor. Das Hauptargument ist die Rückgewinnung der Kontrolle über das eigene Fahrzeug. Trotz der teilweisen Skepsis finden 71 Prozent der befragten Autofahrer die Ausrüstung von Fahrzeugen mit Fahrassistenzsystemen modern und zeitgemäß, 65 Prozent sehen darin auch einen Gewinn für die Verkehrssicherheit - 41 Prozent hingegen befürchten dadurch höhere Reparatur- und Wartungskosten.
Fakt ist: Assistenzsysteme können die Verkehrssicherheit verbessern, wenn sie zuverlässig funktionieren. Doch das ist noch nicht bei allen der Fall.
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