Etwa eines von 10.000 Kindern kommt mit einem krankhaft verkleinerten Kopf zur Welt. Die Ursache dieser als Mikrozephalie bezeichneten Störung ist eine fehlerhafte Entwicklung des Gehirns (Bild: Größenvergleich zwischen einem gesunden Gehirn (links) und einem Mikrozephalus). Die Betroffenen sind geistig schwer beeinträchtigt, ihre Lebenserwartung ist deutlich verringert. Auch bestimmte Fälle von Autismus und Schizophrenie werden mit der Regulation der Gehirngröße in Verbindung gebracht.
Die Ursachen des verminderten Gehirnwachstums können umweltbedingter Stress (zum Beispiel Alkoholmissbrauch, erhöhte radioaktive Strahlung) oder virale Infektionen (etwa eine Rötelnerkrankung in der Schwangerschaft) sein. Oft liegt jedoch auch ein Gendefekt zugrunde.
Der australische Biologe David Keays, der am IMP eine Forschungsgruppe leitet, hat gemeinsam mit seinem Doktoranden Martin Breuss nun ein für Mikrozephalie verantwortliches Gen namens TUBB5 identifiziert. Es gehört einer Familie von Genen an, die Varianten des Proteins Tubulin produzieren. Aus Tubulin baut die Zelle ihr inneres Skelett auf, das sowohl bei Bewegungen als auch bei der Teilung von Zellen eine wichtige Rolle spielt.
Wanderung der Nervenzellen gestört
In Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Monash-Universität in Australien konnten die IMP-Forscher im Gehirn ungeborener Mäuse gezielt die Funktion von TUBB5 stören. Dies führte zu Veränderungen im Stammzellen-Pool und beeinträchtigte die Wanderung der Nervenzellen. Beides - der ungehinderte Nachschub von Neuronen aus dem Stammzell-Reservoir und ihre korrekte Positionierung am Bestimmungsort in der Hirnrinde - sind wichtige Voraussetzungen für die Gehirnentwicklung.
Diese Vorgänge sind auch aus einem evolutionären Blickwinkel interessant. Die Anzahl der Nervenzellen relativ zum Körpergewicht und ihre Anordnung in einem stark gefalteten Großhirn korrelieren mit der Entwicklung von niederen Affen zu Primaten und schließlich zum Menschen. Gene, die entweder die Zahl oder die Wanderung der Neuronen beeinflussen, erlauben deshalb oft Rückschlüsse auf die genetischen Grundlagen dieser Evolution.
Mäuse-Ergebnisse trafen auch bei Menschen zu
Um zu überprüfen, ob die an Mäusen gewonnenen Erkenntnisse auch auf den Menschen anwendbar sind, arbeitet David Keays mit Klinikern der Pariser Sorbonne zusammen. Das französische Team unter Jamel Chelly untersuchte 120 Patienten, deren Gehirnstruktur krankhaft verändert war und die unter starken Behinderungen litten. Bei drei betroffenen Kindern fanden sie ein mutiertes TUBB5-Gen.
Für die Mediziner ist ein solcher ursächlicher Zusammenhang eine wertvolle Information. Sie können Eltern von schwer entwicklungsgestörten Kindern genetisch beraten und ihnen unter Umständen die Angst vor weiteren Schwangerschaften nehmen. Langfristig ist damit auch die Hoffnung verknüpft, eines Tages mit gezielten Therapien helfen zu können.
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