Album „Happenings“

Kasabian: Kein Platz für falsche Bescheidenheit

Musik
08.07.2024 09:00

„Happenings“ ist bereits das zweite Kasabian-Album der Post-Tom-Meighan-Ära. Sergio Pizzorno und seine Kollegen haben darauf die Leichtigkeit gefunden und erfreuen sich gleichermaßen der 60er-Psychedelik wie auch der 80er-Disco. Das schreit nach einer Tour 2025, die dann hoffentlich auch in Österreich Station macht.

(Bild: kmm)

Das große Glastonbury Festival hatte unlängst so einige Highlights aufzubieten. Etwa die anarchische Punk-Show der Idles oder den fulminanten Gig von Coldplay, bei dem Chris Martin während „Fix You“ den an Parkinson erkrankten Kultschauspieler Michael J. Fox auf die Bühne holte - vielleicht einer der besten Glastonbury-Gigs in der Festival-Geschichte. Zu einem Volltreffer wurde aber auch die Überraschungseinlage der britischen Lokalmatadore von Kasabian, die zwar insgesamt schon das fünfte Mal dort ihren Sound zum Besten gaben, aber zum allerersten Mal, seit man sich 2020 von Frontmann Tom Meighan in Unfrieden getrennt hatte. Für den in Fransen-Jeansjacke auftretenden Sänger Sergio Pizzorno und seiner Kollegenschar war der Auftritt jedenfalls ein karriereumspannender Triumphzug, der die Indie-Rock-Heroen von ihrer besten Seite zeigte.

Endlich gefunden
Der Überraschungsgig war natürlich nicht ausschließlich zufälliger Natur, schließlich liegt das kultige Debütalbum „Kasabian“ genau 20 Jahre zurück und katapultierte das Gespann aus der Arbeiterstadt Leicester innerhalb kürzester Zeit in den Indie-Olymp, obwohl sich vor allem Pizzorno stets vehement gegen die Bezeichnung Indie-Rock aussprach. Der große Hype um den Sound ist inzwischen ebenso vergangen wie die Jugend der Musiker. Mitten in ihren 40ern und mittlerweile vier Jahre nach der schmerzhaften und auch medial breit getretenen Trennung von Meighan haben sich Kasabian jetzt aber endlich wiedergefunden. Davon zeugte schon das gutklassige 2022er-Werk „The Alchemist’s Euphoria“, bei der Pizzorno erstmals die Lead Vocals übernahm und mit seiner natürlich exaltierten Art sofort bewies, dass er zum Hampelmann an der Spitze taugen würde.

Schon während der Tour zu diesem Album begann die Band an weiterem Material zu schreiben und bemerkte schnell, dass man die durch die veränderte Konstellation hinzugewonnene Frische und Energie innerhalb der Combo dringend in neue Lieder gießen müsste. Die ungezwungene Leichtigkeit und fröhliche Grundstimmung thront bereits verheißungsvoll vom Albumcover – der Titel „Happenings“ wird in geschwungenen Buchstaben und in Regenbogenfarben vermittelt. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass im Kasabian-Camp die Sonne scheint und man interne Querelen als auch die Pandemie längst ad acta gelegt hat. Pizzorno kündigte vorab an, man wäre stark von 1960er-Jahre-Psychedelic-Bands inspiriert gewesen und hätte bewusst darauf geachtet, große Nummern zu schreiben – Mission zumindest teilweise gelungen.

Ramones würden lächeln
Ausufernde Hit-Singles oder prompte Ohrwürmer sind per se nicht leicht zu finden, die muss sich der Hörer auf dem knackigen „Happenings“ erkämpfen. Dafür stopfen die Briten ihre zehn Songs in nicht einmal 28 Minuten, was großen Helden der Bandmitglieder, den Ramones, ein Lächeln aufs Gesicht zaubern würde, würden sie noch leben. Vom Titel des Openers „Darkest Lullaby“ sollte man sich etwa nicht blenden lassen, so breitbeinig wabern 80er-Jahre-Disco-Einflüsse aus den Boxen, während sich Pizzorno mit entrücktem Gesang bereits sehr filigran in die Gehörgänge vorarbeitet. Die Single-Auskoppelung „Call“ treibt diese Richtungsvorgabe mit markanten Synthie-Einsätzen und einem zeitlosen Gitarren-Solo Marke „alte Dekadenz“ an die Spitze. Das ohnehin nicht zu geringe Selbstvertrauen der Musiker sticht auf „Happenings“ noch einmal mehr raus. Platz für falsche Bescheidenheit ist zu keiner Sekunde.

In „How Far Will You Go“ wagen sich Kasabian dann in härtere Sphären und poltern in fast schon rockiger Hives-Manier durch den akustischen Gemüsegarten, dafür sind Songs wie „Coming Back To Me Good“ oder das KI-kritische „Algorithms“ von einer spielerisch-elektronischen Leichtigkeit, dass sie mit Sicherheit die feinsinnigeren Tanzflächen dieser Sommersaison erobern werden. Manchmal hört man die Lockerheit des Two Door Cinema Club, dann wiederum lehnt sich Pizzorno in den Songs ein bisschen an Oasis an, ohne aber deren Schwere und Intensität zu erreichen. „Happenings“ ist ein Album, das gar nicht erst versucht, einen tieferen Sinn zu evozieren oder die Band in einem neuen Licht zu präsentieren, dafür regiert zu viel Spaß und Ungezwungenheit. Dabei sind es durchaus die rar gesäten schwereren Songs, die sich als besonders gelungen erweisen.

Rockiger Sommer-Soundtrack
Die Selbstermächtigungshymne „G.O.A.T.“ etwa flirtet mit jenen psychedelischen Anklängen, die am Gesamtwerk viel seltener umgesetzt werden als von Pizzorno im Vorfeld angekündigt. „Passengers“ konzentriert sich als ruhigere Nummer auf Stimme und Inhalt, mit „Italian Horror“ scheint man sich bewusst für einen mystisch-elektronischen Weg entschieden zu haben, wohingegen „Bird In A Cage“ die mit Abstand verschrobenste und elektronischste Nummer auf dem Werk ist, und beweist, dass Kasabian auch ohne bewusstes Schielen auf eingängige Rhythmen für Aufsehen sorgen können. Einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt neben der Kürze maximal die Produktion. Pizzorno legte selbst Hand an und hat seinen starken Nummern einen ziemlichen dünnen Sound beigemengt, der gerade intensiveren Stücke viel von ihrer kompositorischen Wucht nimmt. Und natürlich lässt sich die ausdrucksvollere Stimme Meighans von Pizzorno nicht eins zu eins ersetzen. Ansonsten hat man als Rock-Fan mit „Happenings“ einen wundervollen Sommer-Soundtrack zur Verfügung.

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