Mit ihrem vierten Album „C,XOXO“ möchte sich Latin-Pop-Superstar Camila Cabello von der eigenen Vergangenheit lösen und neue musikalische Ufer ansteuern. Das Vorhaben scheitert aber an mangelnder Authentizität und dem Versuch, alles auf Biegen und Brechen zu erzwingen.
Bei der Fülle an hervorragenden Künstlerinnen im Pop-Segment war es nur eine Frage der Zeit, bis sich Image und Klänge irgendwann zu gleichen beginnen. So wie es in der Musik nur zwölf verschiedene Töne gibt, lässt sich auch das Marketing in einer Welt der permanenten Massenbeschallung nicht mehr so leicht originär gestalten. Hyperpop-Königin Charli XCX hat mit ihrem famosen Album „Brat“ vor wenigen Wochen vorgelegt und in diesem Segment eine qualitativ hochwertige Blaupause vorgelegt. Dass ausgerechnet Latin-Star Camila Cabello nun auch in diese Scheine rutscht, mutete schon bei den ersten Singles und Werbekampagnen seltsam an. Die Haare sind jetzt blond, der Lolli am Albumcover wird äußerst frivol gelutscht und auch das Drumherum erinnert wenig an das ehemalige Fifth Harmony-Mitglied aus Havanna. Ein echtes „Brat“ eben, nur dass es das eben schon gibt.
Durchrüttelnde Metamorphose
Mit den bisherigen Alben „Camila“ (2018), „Romance“ (2019) und „Familia“ (2022) hat sie sich im Latin-Pop-Segment eine millionenschwere Fanschar aufgebaut, die sicher auch durch die Tourneen im Vorprogramm der Champions-League-Künstler Bruno Mars, Taylor Swift und Coldplay gesteigert wurde. Doch irgendwo auf dem Weg vom erfolgreichen Kinderstar über eine kommerziell gelungene Loslösung von der einstigen Band bis hin zur Gegenwart ging eine Metamorphose vonstatten, die Cabellos mühsam aufgebaute Karriere durchrütteln könnte. Nicht nur die markante dunkelbraune Mähne wurde blondiert, auch der Signature-Sound ist einem Trendgebräu gewichen, das sich nicht ganz entscheiden kann, ob es nur mitspielen oder selber Akzente setzen möchte.
Am 1. Februar postete Cabello erstmals ihre neue Mähne auf Instagram und verstörte damit ihre etwa 65 Millionen Follower. Strenggenommen wurde der Adaptierungsprozess aber schon wesentlich früher eingeleitet. Schon nach der Veröffentlichung von „Familia“ wechselte Cabello nach fortschreitenden Animositäten das Label von Epic Records zu Interscope und bekam dabei auch Rückenwind, sich selbst noch einmal neu zu erfinden. Die Single-Auskoppelung „I Luv It“ mit immens nervigem Refrain war ein erster Vorgeschmack auf das, was kommen sollte. Stargast Playboy Carti sorgte für die Hip-Hop-Note, der Song selbst wandelt zwischen elektronisch und experimentell. Auch nicht von schlechten Eltern: „He Knows“, bei dem niemand Geringerer als Megaseller Lil Nas X mitgewirkt hat.
Gast im eigenen Haus
In der üppigen Gästeliste ist schlussendlich auch noch Drake vermerkt, was neben der klanglichen Neuausrichtung zu einer bestimmten Schnellanalyse führt: Camila Cabello wirkt durch die vielen Kooperationen und die Auslagerung ihres eigenen Stils ein bisschen wie ein Gast auf dem eigenen Album. Das „C,XOXO“ betitelte Werk soll sich dabei erstmals nicht um verflossene Lieben, Herzschmerz und Beziehungsprobleme drehen, sondern als Liebeserklärung an die Stadt Miami gesehen werden und das Partytier in der Persönlichkeit der 27-Jährigen hervorholen. Die offensiv durch alle möglichen Bereiche der sexuellen Ausschweifungen mäandernden Texte wirken zuweilen ebenso lust- und lieblos aneinandergereiht, wie die Songs an sich. Die simplen Beats überschreiten an manchen Stellen nicht das Niveau einer Jahrmarktsveranstaltung. Hauptsache es ballert, Hauptsache es knallt.
Der in den USA, aber auch hierzulande immer populärer werdende Hyperpop mag vielleicht der Sound der Stunde sein, ohne die nötige Authentizität lässt er sich trotzdem nicht so einfach reproduzieren. Die mit viel Autotune versetzte Stimme verzichtet völlig auf Spannungsbögen oder Abwechslung, was sich speziell im akustischen gehaltenen Song „Twentysomethings“ besonders medioker niederschlägt. Dem renommierten „Billboard“-Magazin erzählte Cabello von einer Art „Bösewicht-Energie“, die sie beim Schreiben des Albums erfasst hätte. Gut möglich, dass sie die Wut im Nachhinein auf sich selbst lenkt, denn zu bruchstückhaft und unfertig klingen Songs wie „Pink Xoxo“ „Hot Uptown“ oder „B.O.A.T.“. Man spürt den Tracks die in sie gesteckte, hoffnungsfrohe Mühe an, doch der Umsetzung mangelt es an einer zielgerichteten Planung.
Applaus unangebracht
Dem „Paper Mag“ erzählte Cabello, dass sie es „immer gehasst habe, wenn ich Sachen gemacht oder veröffentlicht habe, die sich nicht schräg genug anfühlten. Ich sagte mir dann: ,Gott, das ist ein guter Song, aber ich weiß nicht, ob er zu mir passt‘“. Im auf vollkommenen Kommerz ausgerichteten Formatradiomarkt ist es freilich der nächste logische Schritt, nach dem massiven Aufbau einer Fanbase, diese mit der Künstlerin gemeinsam auf das nächste Trendlevel zu lenken. Bei „C,XOXO“ scheitert das Vorhaben aber nicht nur an den unausgegorenen und völlig aus allen Zusammenhängen gerissenen Songs, sondern auch am unglücklichen Timing. Wenn eine Charli XCX mit ähnlichem Konzept früher, authentischer und vor allem erfolgreicher ist, dann gibt es für Cabello im Nachgang nicht mehr viel zu holen. Für eine Veränderung sollte man Künstler normalerweise applaudieren. Nicht aber, wenn es so gestelzt und erzwungen wirkt.
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