Historisches Ergebnis

Warum Labour siegte und auch Farage gut lachen hat

Ausland
05.07.2024 08:02

Die absolute Mehrheit (412 Sitze) im Parlament für die Labour-Partei, eine historische Niederlage für die Konservativen, die mehr als 240 Sitze einbüßen und bei 121 Mandaten stehen – bei der Wahl in Großbritannien blieb kein Stein auf dem anderen. Auch Rechtspopulist und „Mister Brexit“ Nigel Farage hatte am Donnerstagabend gut lachen ...

Um die einstige Weltmacht Großbritannien war es in den vergangenen Jahren nicht allzu gut bestellt. Brexit, Wirtschaftskrise, Polit-Skandale vor, während und nach Corona – jetzt wurde den regierenden Konservativen die Rechnung präsentiert.

14 Jahre lang hatten die Tories in England die Zügel in der Hand, seit David Cameron im Jahr 2010 die Wahl gewonnen hatte. Fünf Jahre später holte Cameron mit dem Versprechen, die Briten über einen Verbleib in der EU abstimmen zu lassen, sogar die absolute Mehrheit. Was dann folgte, dürfte allerdings den Niedergang der Tories eingeläutet haben. 

Brexit-Referendum als Anfang vom Ende
Denn bekanntermaßen verlor man das Brexit-Referendum, die Briten stimmten für den EU-Austritt, unter anderem wegen des populistischen Einsatzes von Farage und des damaligen Londoner Bürgermeisters Boris Johnson für die Austrittsbefürworter.

Das Brexit-Votum läutete eine chaotische Phase der britischen Innenpolitik ein. (Bild: The Associated Press)
Das Brexit-Votum läutete eine chaotische Phase der britischen Innenpolitik ein.

Damit läutete man die wohl chaotischste Phase der britischen Innenpolitik ein, mit mehreren Premier-Wechseln und vorgezogenen Parlamentswahlen sowie dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Obwohl Umfragen zufolge eine Mehrheit der Briten diesen mittlerweile ablehnen, will Labour-Chef Keir Starmer ihn nicht rückgängig machen. Der EU-Befürworter wünscht sich aber engere Beziehungen mit den EU-Staaten, allerdings ohne Mitgliedschaft in der Zollunion und dem Binnenmarkt – was auch der britischen Wirtschaft gut täte.

Was Sunak die Wahl kostete
Doch auch wenn die sozialdemokratische Labour-Partei stark abschnitt: Auch die Briten sind gespalten. Denn was Noch-Premier Rishi Sunak abgesehen von einer gescheiterten Asyl-Politik (Stichwort: Ruanda-Pakt) und den Skandalen rund um Ex-Premier Johnson sowie andere hochrangige Parteimitglieder die Wahl gekostet hatte, dürfte nicht zuletzt der Aufstieg der Rechtspopulisten sein.

Sunak musste eine herbe Wahlniederlage hinnehmen – die er nicht ausschließlich selbst verschuldet hatte ... (Bild: AFP)
Sunak musste eine herbe Wahlniederlage hinnehmen – die er nicht ausschließlich selbst verschuldet hatte ...

Größter Sieger des Wahlabends wurde nämlich ausgerechnet der frühere langjährige Europaabgeordnete Farage, der sich zuvor siebenmal erfolglos um ein Unterhausmandat beworben hatte. Nun gelang ihm in der Brexit-Hochburg Clacton-on-Sea mit 46,2 Prozent der Stimmen der Einzug ins britische Parlament.

Der konservative Amtsinhaber Giles Watling büßte dort 44 Prozentpunkte auf 27,9 Prozent ein. Vor Farage war der Tory-Überläufer Lee Anderson im mittelenglischen Ashfield zum Wahlsieger erklärt worden. Der von den Tories wegen muslimfeindlicher Äußerungen suspendierte Anderson wurde damit zum ersten gewählten rechtspopulistischen Abgeordneten Großbritanniens.

Farage jubelt: „Das ist nur der erste Schritt“
„Das ist nur der erste Schritt von etwas, das euch alle schockieren wird“, sagte Farage in seiner Siegesrede. Im rechten politischen Spektrum gebe es eine „massive Lücke, und meine Aufgabe ist es, sie zu füllen“. „Diese Labour-Regierung wird schon sehr bald in Schwierigkeiten stecken“, kündigte Farage mit Blick auf die siegreiche Oppositionspartei an. Er wolle Labour die Wähler abspenstig machen, zumal es schon bei dieser Wahl keinerlei Enthusiasmus für die Partei gegeben habe. Stattdessen sei Reform UK innerhalb weniger Wochen und ohne finanzielle Mittel „etwas wirklich Außerordentliches“ gelungen. „Wir sind in Hunderten Wahlkreisen an zweiter Stelle gelandet.“

Nigel Farage feierte seinen Einzug ins Parlament mit einer Kampfansage. (Bild: AFP)
Nigel Farage feierte seinen Einzug ins Parlament mit einer Kampfansage.

Tatsächlich erklärte ein BBC-Moderator das starke Abschneiden von Reform UK zur „Geschichte des Abends“. In zahlreichen Wahlkreisen konnte sie die Tories überflügeln und trug damit wesentlich zu Labour-Erfolgen bei. Wegen des Mehrheitswahlrechts dürfte Reform UK aber nur vier Mandate erringen. Wesentlich besser lief es für die Liberaldemokraten, die auf 71 Sitze kamen und damit der Schottischen Nationalpartei den Rang als drittstärkste Kraft abliefen. Diese wurde auf nur neun Mandate massiv gestutzt.

Palästina-Politik kostete Starmer Stimmen
Den einen oder anderen Dämpfer setzte es auch für Labour. So musste ausgerechnet Parteichef Starmer in seinem Wahlkreis wegen eines Protestvotums gegen seine Palästina-Politik einen massiven Verlust hinnehmen. Starmer hatte sich wiederholt im Sinne einer Zwei-Staaten-Lösung geäußert, zuletzt als Irland, Spanien und Norwegen Palästina als Staat anerkannt hatten. Den linken Flügel seiner Partei dürfte er damit zwar erfreuen, die immer wieder vom radikalislamistischen Terror gebeutelte britische Bevölkerung dürfte dafür aber wenig Verständnis haben. 

Labour-Chef Keir Starmer plakatierte den „Wandel“ – jetzt warten auf ihn einige Baustellen. (Bild: AFP)
Labour-Chef Keir Starmer plakatierte den „Wandel“ – jetzt warten auf ihn einige Baustellen.

Wenig Freude dürfte Starmer auch damit haben, dass sein Vorgänger Jeremy Corbyn seinen Londoner Wahlkreis Islington North als unabhängiger Kandidat verteidigten konnte. Corbyn war von 2015 bis 2020 Chef der Sozialdemokraten und machte dabei keine gute Figur: Parteikollegen machten ihn mitverantwortlich für den Brexit, vier Jahre später fuhr er eine historische Wahlniederlage ein. Aus der Partei geworfen wurde er, weil er nicht energisch genug gegen antisemitische Tendenzen vorging.

Es warten einige Baustellen
Auf Starmer warten jedenfalls einige Baustellen im Vereinigten Königreich. Denn die wirtschaftliche Lage im Land ist geprägt von niedrigen Löhnen und einem schlechten Sozialsystem. Das Gesundheitssystem kam nicht nur durch Corona vielerorts total zum Erliegen. Das Problem ist hausgemacht, die britische Wirtschaft gehört zu den investitionsschwächsten der Welt.

Und auch außenpolitisch besteht Handlungsbedarf. Die Beziehung zur EU könnte man bestenfalls als „kompliziert“ bezeichnen, auch weil sich die letzten britischen Premierminister auf dem glatten internationalen Parkett alles andere als geschickt anstellten. Und sollte es tatsächlich im Herbst einen Wahlsieger Donald Trump auf der anderen Seite des großen Teichs geben, dürfte das die Kommunikation mit den USA auch nicht gerade erleichtern. 

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