Das US-amerikanische Rap-Franchise Rolling Loud wird dieses Wochenende an drei Tagen erstmals in Österreich veranstaltet. Travis Scott, Nicki Minaj, Shirin David und Co. spielen täglich vor 60.000 Fans und prognostizierter Gluthitze. Neben Sonnencreme und guten Ohren braucht man auch besonders viel Geduld.
Rund zwei Stunden Anreise mit dem Auto vom Rennweg in Wien bis zum Medien-Parkplatz in Ebreichsdorf. Das ist das Ergebnis des Selbsttests für die erste in Österreich stattfindende Ausgabe des Rolling Loud. Das weltweit größte Hip-Hop-Festival, das 2014 in Miami gegründet wurde und seit 2021 auch in Europa stattfindet, lockte laut Veranstalter 2023 rund 50.000 Fans pro Tag nach München. Nachdem es dort zu Ausschreitungen kam und die Organisation nicht perfekt funktionierte, probiert man es heuer in der neue geschaffenen Konzertmetropole in Niederösterreich, wo rund 60.000 Fans erwartet werden. Als Zugpferde sind die US-Topstars Nicki Minaj, Playboi Carti und Travis Scott gebucht. Kapazunder wie Shirin David, Ice Spice, Gunna oder der Wiener Lokalmatador Money Boy runden das bunte dreitägige Treiben ab.
Informationspolitik hakte
Besonderes Augenmerk wurde am Eröffnungstag auf das Verkehrskonzept gelegt. Beim „Racino Rocks“ Anfang Juni mit Metallica herrschte zuweilen heilloses Chaos. Dass die Anreise auch beim Rolling Loud nicht völlig unkompliziert über die Bühne geht, ließ sich trotz Adaptierungen nicht verhindern. Besucher mussten sich im Vorfeld mittels „Travel Ticket“ einen bestimmten Zeitslot für Zug oder Shuttlebus-Anreise reservieren, um ein übertriebenes Chaos zu verhindern. Außerdem wurde – wenig nachhaltig – kurz vor Festivalbeginn noch auf vermehrte PKW-Anreise verwiesen, weil die öffentlichen Anreisemöglichkeiten offenbar schnell überlastet waren. Von Besuchern wurde dabei vor allem die Informationspolitik kritisiert. In der Festival-App und in Instagram-Storys gab es teils Informationen zu Adaptierungen. Wer auf die Homepage oder standardisierte Social-Media-Seiten des Festivals schaute, wurde aber im Dunkeln gelassen.
So warten auch einige Fans auf ihre Lieblingskünstler, die dann nicht auf die Bühne kommen. Wie im Rap-Game üblich, gibt es auch beim Rolling Loud eine ganze Menge kurzfristiger Absagen und Veränderungen im Line-Up, die auf der Website oder in News-Bereichen nicht ersichtlich sind. So fehlen am Eröffnungstag etwa Flo Milli und Billa Joe, auch Sexyy Red, Chief Keef oder City Morgue sagten ihre Festivalteilnahme kurzfristig ab. So holprig das Drumherum und die Vorfeldorganisation gelaufen sein mögen, so problemlos geht der Eröffnungstag selbst über die Bühne. Die langen Toilettenschlangen bleiben aus, auch die Bierausschanksituation hat sich im Vergleich zum Metallica-Gig deutlich beruhigt, was natürlich auch daran liegt, dass das Publikum nicht so trinkfest ist und die unbändige Hitze eher Richtung Wasser leitet.
Winterstiefel und Totenschädel
Die kostenlosen Trinkwasserstellen sind wichtig, aber rar. Insgesamt vier sind übers gesamte Gelände verteilt, die Menschenschlangen bei den hochsommerlichen Temperaturen dementsprechend lang. Der Großteil der Fans feiert seine Helden vor der Hauptbühne. Als erstes großes Highlight überzeugt der US-Rapper Ski Mask The Slump God, dessen DJ sich bunt durch den Gemüsegarten sampelt und zwischendurch auch einmal auf härtere Klänge à la Slipknot setzt. Die Menge lässt sich von der Mischung aus Trap- und Punk-Rap gut mitnehmen und sorgt für hervorragende Stimmung. Wo Ski Mask noch mit edlen Winterstiefel die Bühne betritt, setzt sein Nachfolger Gunna auf stylisch-weiße Marken-Gummler. Seine Form von Rap streift auch das Trap-Subgenre und lockt noch mehr Leute vor die Bühne. Dazwischen präsentiert er seine Mikroständer-Sammlung, die sogar ein Modell mit Totenschädel beinhaltet.
Während Fans im Hip-Hop-Segment in den USA gerne mit Basketball- oder Eishockey-Shirts zu den Events gehen, dominiert in Österreich das Fußballdress. Aufgrund des EM-Viertelfinales zwischen Deutschland und Spanien besonders oft gesehen: das deutsche Team-Leiberl. Aber auch Arsenal-, Manchester United-, Rapid- oder Inter Mailand-Shirts verteilen sich quer über das staubige Gelände. Auf der zweiten Bühne, der „Snipes Stage“, wechseln sich die Acts im Halbstundentakt ab, aber auch die Künstler auf der Hauptbühne bekommen bis auf den Headliner nur jeweils 45 Minuten Spielzeit zugestanden. Osamason feuert etwa Maschinengewehrsalven-Samples über das Gelände, zwei begeisterte weibliche Fans filmen, fallen in Ekstase und singen jedes Wort gekonnt mit.
Wien oder Ebreichsdorf
Zwischendurch lässt sich einer der US-Geschäftsführer des Rolling Loud auf der Bühne blicken und zeigt sich geografisch ebenso wenig sattelfest wie die Veranstalter in der Werbeschiene. „Was als kleine Idee begann, hat sich schon so weit entwickelt. Jetzt sind wir sogar schon hier in Wien.“ Nein, eben nicht. Aber die 27,43 Kilometer Luftlinie zwischen den beiden Orten werden ohnehin gerne untergraben. So wird auch das offizielle Merchandise mit „Vienna“-Aufdruck verkauft, was auf Social Media auch internationale Gäste verwirrte: „Wo zur Hölle ist dieses Ebreichsdorf? Ihr habt von Wien gesprochen“, lautete etwa ein Kommentar auf Instagram. Tatsächlich keine unwesentliche Info, wenn man, wie so einige Gäste, aus den USA einfliegt und glaubt, man falle vom Hotelbett aufs Festivalgelände.
aDie Star-Power kommt erstmals zum Sonnenuntergang voll zur Geltung. Mit halbstündiger Verspätung betritt die Hamburger Erfolgsrapperin Shirin David die Bühne. Erst vergangenen Herbst begeisterte sie in der restlos ausverkauften Wiener Stadthalle und auch beim Rolling Loud kann sie auf ihr treues Publikum setzen. Mit einem simplen Unterhemd und in Jeans exerziert sie samt Tänzern eine gut choreografierte Show und verzichtet im Gegensatz zu den US-Stars davor auf Pyrotechnik. Dafür gibt es den Helene Fischer Ballermann-Hit „Atemlos“ und eine verknappte Bühnenshow. „Sie hat es leider nicht bis Österreich geschafft“, entschuldigt sich die Künstlerin bei ihren Fans. Mit dem Sinken der Sonne reihen sich auch die Temperaturen langsam auf ein normales Maß ein und die Partycrowd kann den Stimmungslevel noch einmal anheben. Der europäische Rap ist zugänglicher, gediegener, allgemeintauglicher als der amerikanische, dafür fehlt ihm aber auch etwas von der zwingenden Stringenz. Die Mischung macht’s, aber nach den US-Bad-Boys wirkt Shirin etwas deplatziert.
Punktesieger aus Wien
Durch die Verschiebungen tritt auch die größte Befürchtung mancher Fans nicht ein, dass sich Superstar Nicki Minaj auf der Haupt- und Österreichs Rap-Held Money Boy auf der Nebenbühne duellieren. Dem Wiener gibt das die Möglichkeit, sein knapp halbstündiges Set vor einer wirklich beachtlichen Anzahl an Fans zu präsentieren, die nicht nur für Moshpits und beste Laune sorgen, sondern bei einigen Songs eine beachtenswerte Textsicherheit beweisen. Mit ein paar Gast-Rappern und einem nicht jugendfreien Freestyle rappt sich Sebastian Meisinger, so sein richtiger Name, durch ein buntes Oeuvre seiner Karriere, das neben dem YouTube-Hit „Monte Carlo“ auch neueres Material oder seinen legendären Durchbruchsong „Dreh den Swag auf“ in einer durchaus selbstironischen Version beinhaltet. Ein Sieg auf allen Linien.
Dass Superstar Nicki Minaj eine ausgewiesene Diva ist, ist kein Geheimnis. Erst unlängst postete sie ein kurzes Video, wo sie sich darüber mokierte, dass sie bei einer Bühne die wenigen Stufen bis zum Shuttle nehmen muss und ihr kein Aufzug zur Verfügung gestellt wurde. In Ebreichsdorf lässt sie ihre zahlreichen Fans lange darben. Zwischendurch meldet sich ein DJ mit ein paar Beats und einer kurzen Ansage zu Wort, dann wird es wieder ruhig. Erste „Buh“-Rufe kursieren und im vorderen Wavebreaker-Bereich verlieren einige die Geduld - wohl auch, um sich langsam auf den Rückweg nach Wien zu machen und dem unvermeidlichen Stau so gut es geht zu entgehen. Als sie sich nach einer knappen Stunde Verspätung doch auf die Bühne quält, bleibt zumindest die Leistung gut. Glitzernd, immer wieder posierend, mit dickem Bühnenbild und Feuereffekten. Dazu Hits von „Beep Beep“ über „Anaconda“ bis „Starships“ – doch noch ein versöhnliches Ende.
Keine Rolling-Loud-Verschnaufpause
Verschnaufpause gibt es keine, denn heute und morgen geht es munter weiter im Takt. Unter anderem werden Playboi Carti, Lil Tjay, Ufo361, die boomende Ice Spice und Superstar Travis Scott für Furore sorgen. Ein heikles Thema bleibt vielleicht die Abreise vom Ebreichsdorfer Gelände – die hat nach ersten Social-Media-Kommentaren in der ersten Nacht nämlich wieder nicht gut funktioniert. Für jene, die noch nicht da waren, gibt es ein paar wichtige Grundregeln zu beachten. Das Merchandise ist teuer (T-Shirts um bis zu 60 Euro), es gibt einen gut versteckten Vergnügungspark, man muss mit Festivalgeld bezahlen (sprich: Sich das Geld an den Ladestationen auf das Chipband hochladen) und die Schattenplätze sind rarer als zuletzt am Lido Sounds in Linz. Ein Sommerfestival ist eben kein Luxusevent.
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