Kultband in Wien

Clawfinger: „Man muss auch mit der Zeit gehen“

Musik
12.07.2024 07:28

Clawfinger gehörten in den 90er-Jahren zu den wichtigsten Rap-Rock-Bands mit politischem Gewissen. Mit Aufkommen der Download-Ära zog sich die Band aber sukzessive zurück und betrieb das Projekt als Hobby. Frontmann Zak Tell erzählt im Interview, wie man sich heute die wenigen Konzerte aussucht, warum die alten Texte noch immer aktuell sind und wieso er nicht in Sturheit verharrt. Mit Cypress Hill spielen sie in der METAstadt.

(Bild: kmm)

Anthrax, Public Enemy, Rage Against The Machine oder Body Count - die 90er-Jahre waren überschwemmt von Crossover-Bands, die Metal mit Rock und Rap mischten und den härteren Genres damit eine neue Farbe verliehen. Wer zuletzt etwa Body Count am diesjährigen Nova Rock gesehen hat, weiß, dass es längst ein Revival gibt, das einerseits Fans von damals, aber auch eine neue Generation auf den Plan rief. Zu den wichtigsten Rap-Metal-Bands zählten in den 90er-Jahren die Schweden Clawfinger rund um Frontmann Zak Tell. Das Debütalbum „Deaf Dumb Blind“ schlug mit seiner unbändigen Energie 1993 wie eine Bombe in die Szene ein. Auch „Use Your Brain“ (1995) ging in diese Schiene, bevor „Clawfinger“ (1997) schon erste Veränderungen andeutete. Nach dem großen Hype veröffentlichten die Skandinavier noch ein paar Alben, spielten (auch in Österreich) zahlreiche Festivals und Einzelshows und lösten sich 2013 auf, nur um 2017 überraschend wieder zurückzukommen.

Spielen, wenn dafür Zeit ist
Allerdings ohne Branchenregeln zu befolgen und irgendwelchen Mechanismen hinterherzulaufen. Clawfinger spielen dann, wenn alle Zeit haben und es sich gut anfühlt. „Wir sind alle über 50 und schon rein physisch ist es nicht so leicht, eine Show wie vor 25 Jahren zu spielen“, lacht Frontmann Tell im „Krone“-Interview, „wir haben Familien, gesundheitliche Probleme und andere Jobs. Die Band ist ein reines Hobby und wir ziehen dann los, wenn sich jeder einzelne bei uns damit wohlfühlt.“ Für Tell ist das Livespielen mit Clawfinger heute auch eine nützliche Zusatzeinkommensquelle. „Wir können uns neben unseren Tagesjobs was damit dazuverdienen, müssen aber natürlich auch viel jonglieren, damit sich alles ausgeht. Ein weiteres Plus ist, dass unsere Kids alle junge Erwachsene sind, die ihre eigenen Leben führen. Wir blamieren sie also nicht mehr so, wie wir es noch vor ein paar Jahren getan haben.“

Clawfinger haben in den 90ern nicht nur wegweisende Alben veröffentlicht, sie haben sich auch gut vernetzt. Sie kooperierten mit der deutschen Industrial-Schmiede Die Krupps, machten den Heimorgelspieler Mambo Kurt als Tour-Support erstmals einem größeren Publikum bekannt, teilten sich ein Studio mit der Tech-Metal-Band Meshuggah und niemand Geringere als Rammstein zählen zu den größten Clawfinger-Fans. Die Schweden remixten auch Songs der Berliner, wie etwa „Links-2-3-4“, „Sonne“ oder „Keine Lust“. In den an der Oberfläche sehr friedlichen, aber innerlich trotzdem aufgeladenen 90ern waren Clawfinger ein sozialpolitischer Stachel im Fleisch der Eliten. „Ich weiß nicht, ob wir per se eine politische Band sind, aber wir waren sicher keine ,Sex, Drugs & Rock’n’Roll-Combo‘“, erläutert Tell, „es ist aber erschreckend, wie viele Texte von vor knapp 30 Jahren heute noch immer aktuell sind. Das ist kein gutes Zeichen für die Lage der Welt.“

Kein Beharren auf alten Strukturen
Zu den größten Hits zählte auf dem Debütalbum der antirassistische Song „Nigger“, der in seiner inhaltlichen Explizität und mit diesem Titel heute natürlich nicht mehr so verfasst werden könnte. Missdeutungen bei Konzerten kamen öfters vor, auch Gigi D’Agostino-Fans können heute ja ein Lied davon singen. „Ein schwieriges Thema“, wird Tell ernst, „wir spielen den Song momentan fast nie, weil sich die Dinge und das politische Klima im Vergleich zu früher drastisch geändert haben. Nach dem Aufkommen der ,Black Lives Matter‘-Bewegung fühlt es sich völlig falsch an. Es wäre auch dumm, stur auf etwas zu beharren, wenn sich die ganze Welt um dich herum verändert. Ich habe mit dem Song persönlich überhaupt kein Problem, aber es wäre vielen Menschen gegenüber respektlos, ihn zu spielen.“

Von der grassierenden Cancel Culture und Political Correctness hat Tell eine ambivalente Meinung. „Man muss das immer abwägen. Es gibt Sachen, die machen Sinn. Andere wiederum weniger. Man muss schon auch mit der Zeit gehen und Veränderungen annehmen, die das Leben für alle verbessern. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass man allen Trends blind folgen und sie nachplappern muss. Das wäre absoluter Bullshit.“ Dass das an die Stupidität der menschlichen Rasse gerichtete Debüt „Deaf Dumb Blind“ noch immer von so hoher Aktualität ist, verärgert Tell. „Ich wünschte, wir würden nach vorne gehen, aber das Gegenteil ist der Fall. Medien posaunen unreflektiert nach, was die sozialen Medien vorgeben. Es gibt eine Generation, der schon fünf Sekunden auf TikTok zu viel von ihrer Aufmerksamkeitsspanne abverlangen. Wir sind eine ziemlich dämliche Rasse.“

Band bleibt ein Hobby
An ein neues Album wird bei Clawfinger aktuell nicht gedacht, hier und da warten die Schweden aber mit einem neuen Song auf, um das Live-Hobby frisch und spannend zu halten. „Alles nicht so leicht. Unser Drummer wohnt drei Autostunden von mir entfernt in Stockholm, der Gitarrist zehn Stunden entfernt in Norwegen. Wir arbeiten mit Files und Ideen, aber es ist nicht einfach, neue Songs zu stückeln. Aus dem Album-Tour-Album-Tour-Prozess sind wir draußen und das wird sich auch nicht mehr ändern. Manchmal haben wir Anflüge, wo wir denken, das wäre doch nett. Warum probieren wir es nicht noch einmal? Dann realisiere ich, dass unser Gitarrist eben zehn Autostunden entfernt wohnt und verliere sofort die Lust darauf, Clawfinger wieder in den Mittelpunkt des Lebens zu stellen.“ Auf ein neues Album sollte man nicht setzen. „Wir forcieren das nicht. Als die illegalen Downloads salonfähig wurden, saßen wir zusammen und beschlossen, die Band als Hobby weiterzuführen. Ich glaube, das war im Endeffekt die goldrichtige Entscheidung.“

Mit dem Alter kam auch im Clawfinger-Camp eine gewisse Form von Weisheit dazu. „Natürlich sehe ich viele Dinge anders als vor 25 Jahren. Man wird älter, man tickt anders, man adaptiert sich. Mick Jagger sagte irgendwann einmal, er könne sich nicht vorstellen, dass er mit 40 noch immer auf einer Bühne stehen würde. Jetzt ist er 80 und was macht er? Eben. Je älter man wird, umso breiter und weiter sieht man die Welt. Man wird bescheidener und dankbarer für das, was man hat. Ich finde, dass das eine sehr gute Entwicklung ist.“ Über die eigene Karriere ist Tell glücklich. „Wir kamen zu einer Zeit auf, wo der Glam- und Sleaze-Rock keinen mehr interessierte. Mit Nirvana, Soundgarden oder Rage Against The Machine war ernste Musik angesagt. Am Höhepunkt unserer Karriere waren wir vielleicht ein bisschen divenhaft, aber die meiste Zeit hielten wir die Füße still. Außerdem kommen wir aus Schweden, dort wirst du ausgelacht, wenn du einen auf Celebrity machst.“

Live in der METAstadt
Morgen, am 13. Juli, spielen Clawfinger im Vorprogramm der Hip-Hop-Legenden Cypress Hill einen ihrer seltenen Österreich-Gigs in der Wiener METAstadt. Es ist ihr erster Auftritt hier seit dem gefeierten Konzert am Nova Rock 2022, wo man nach Wetterkapriolen und Absagen das Festival eröffnete. Unter www.oeticket.com gibt es noch Tickets für das erste Konzert im großen METAstadt-Sommerreigen.

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