Rund 10.000 Kraftwerk-Fans zogen am sommerlichen Samstagabend nach Hietzing, um vor der malerischen Kulisse des Schlosses Schönbrunn einem bahnbrechenden Ereignis beizuwohnen. Mit ihrer leicht verkürzten, aber fulminanten Vorstellung legten Ralf Hütter und Co. die Latte in puncto Live-Erlebnis einmal mehr verdammt hoch.
Es gab einmal eine Zeit, da waren Kraftwerk-Konzerte in hiesigen Breitengraden eine wahre Rarität. Fingernägel kauend harrte man der Dinge und hoffte, dass Oberexzentriker Ralf Hütter mit seinen Spießgesellen endlich wieder einmal die Mensch-Maschine anwirft und Analoges mit Digitalem so verknüpft, wie es davor und danach niemand mehr tat. Doch seit dem Millennium hat der Düsseldorfer Klangpionier am Alpenland Gefallen gefunden. Im klangtechnisch fragwürdigen Gasometer wurde ebenso konzertiert wie beim hippen „Urban Art Forms“ in Wiesen (R.I.P.). Dann folgten acht Konzerte an vier Abenden in den ehrwürdigen Gemäuern des Wiener Burgtheaters, eine verregnete Show im St. Margarethner Steinbruch und schließlich ein Open-Air-Vergnügen in der Wiener Arena. Man kann getrost sagen – den Osten Österreichs haben Kraftwerk ausgespielt.
Ausgewählte Locations
Fast ausgespielt, denn eine besondere Szenerie fehlt noch zur Quadratur des Kreises und diese Lücke füllt man an einem sommerlich lauen Samstagabend. Im Ehrenhof des Schlosses Schönbrunn, wo sich schon David Gilmour, Bilderbuch, Roland Kaiser oder Rainhard Fendrich samt Salzburger Philharmonie bewiesen, wollen auch Kraftwerk ihr multimediales Spektakel inszenieren. Im Spätherbst der Karriere konzentriert man sich im Düsseldorfer Techno-Camp ausschließlich auf die besonders schönen und seltenen Ecken der Musikkunst. Ende Mai gab es neun Auftritte in der Walt Disney Hall, also eine Kurzresidenz in Los Angeles. Nach dem Wien-Gig geht es zum Jazzfest nach Montreux, abgeschlossen wird der sommerliche Reigen beim Pori Jazz in Finnland, dem Fuji Rock Festival im japanischen Niigata und am Semperoper Theaterplatz im deutschen Dresden. Sie sehen – Durchschnitt ist Hütter längst zu wenig.
Wie gut die imperiale Szenerie als Konzertlocation dient, hat sie schon des Öfteren nachhaltig bewiesen, zusätzlich konnte man getrost davon ausgehen, dass Kraftwerk nicht mit halben Sachen auffahren. Von der minimalen Bühne durfte man sich im Vorfeld nicht verwirren lassen, die dient den vier Musikern ohnehin nur als Unterlage, um vor ihren programmatischen Keyboards in den neonleuchtenden Anzügen zu tun, was auch immer sie tun. Das wahre Spektakel findet hinter ihnen statt. Auch wenn die Veranstalter bei der Beginnzeit wohl nicht in die Wetter-App sahen. Noch am Konzerttag selbst wird der Auftritt um 45 Minuten nach hinten verschoben, weil es die sommerlichen Tageslichtverhältnisse nicht zulassen, die Visuals davor auszubreiten. Das kann man natürlich vorher wissen und tut vor allem den oberösterreichischen Gästen weh, die ihr vorab gebuchten Zugtickets nach Linz zerknüllen oder umarrangieren mussten.
Audiovisueller Hochgenuss
Die fulminante Show entschädigt aber schnell für derartige Ungereimtheiten. Mit dem klassischen Intro „Numbers“ lüftet das Quartett auch sofort das Geheimnis ober der visuellen Umsetzung. Und fürwahr – Kraftwerk bedecken das Schloss Schönbrunn in seiner vollen Breite mit ihren Visuals. Da wandeln bunte Nummern über die Fassade, der berühmte VW-Käfer fährt bei „Autobahn“ rein, während „Tour de France“ strampeln sich die Radler ab und bei „Radioactivity“ müsste man das altehrwürdige Anwesen unter strenge Quarantäne stellen. Das Kraftwerk-Erlebnis ist cinematisch und erinnert in seiner opulenten Aufmachung eher an ein futuristisches Kino-Ereignis, als an ein bloßes Konzert. Bei all den ausufernden Produktionen und üppigen Bühnenbildern – so eine famose Visualisierung hat Wien als Konzertstadt bislang noch nicht gesehen.
Das Multimedia-Spektakel erfreut aber nicht nur das Auge, sondern auch die Ohren. Der Sound ist druckvoll, aber glasklar und erfreut vor allem Fans der technoiden Parts, die man so perfekt austariert von Kraftwerk wahrscheinlich noch selten gehört hat. Via Social Media teilen auch Einwohner aus Ottakring oder Hernals mit, dass sie sich bei offenem Fenster an der Kraftwerk-Show laben können, ohne sich dabei gestört zu fühlen. Nicht so gut funktionierte die Kommunikation für Familien. Einige traten enttäuscht wieder den Rückweg an, weil Kinder unter zwölf Jahren nicht zugelassen wurden und diese Information im Vorfeld nicht deutlich ausgewiesen worden sei. Auf Nachfrage der „Krone“ meldete sich der Veranstalter prompt: „Beim Kartenkauf wurde diese Beschränkung angegeben, das wird im Ehrenhof des Schlosses Schönbrunns bei allen Konzerten so gehandhabt. Selbstverständlich bekommen Abgewiesene ihr Geld wieder retour.“ Zugegeben: Ein schwacher Trost …
Stress in der Endphase
Während der 3D-Multimediashow bleiben jedenfalls wenige Wünsche offen. Kraftwerk spielen sich routiniert und wie üblich ohne Kommunikation mit dem Publikum durch ihre beeindruckende Bandhistorie und verlässt sich auf die Hit-Tauglichkeit des eigenen Back-Katalogs. Durch die visuelle Stringenz auf der Schlossprojektion kann man sich richtiggehend in Trance begeben und sich in den industriell-maschinellen Electro-Songs fallen lassen. Die „Mensch-Maschine“ Kraftwerk hat keinen Platz für Emotionen oder Interaktionen, dafür ist der längst vergangene Futurismus, den die Düsseldorfer durch ihre Songs vermitteln, trotz aller technologischer Fortschritte und Adaptionen von einer bemerkenswerten Aktualität. Die späte Beginnzeit dürfte den Ursprungsplan der Band aber dennoch umgeworfen haben, dass der Top-Hit „Das Model“ bei der strikten Sperrstunde von 23 Uhr keinen Platz mehr findet, verwundert doch. Ansonsten setzten Kraftwerk einmal mehr neue Maßstäbe – und spielten eine der beeindruckendsten Shows des Jahres.
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