Von Wien in die Welt

„Ärzte ohne Grenzen“ seit 30 Jahren im Einsatz

Österreich
13.07.2024 08:41

Seit drei Jahrzehnten steht „Ärzte ohne Grenzen“ an vorderster Front der humanitären Hilfe. Gegründet 1994 von dem Wiener Arzt Clemens Vlasich und elf engagierten Spendern, hat sich die Organisation zu einem unverzichtbaren Akteur in Krisengebieten weltweit entwickelt.

Seit ihrer Gründung vor 30 Jahren hat sich die Organisation „Ärzte ohne Grenzen Österreich“ zu einer bedeutenden humanitären Hilfsorganisation entwickelt. Was 1994 mit dem Wiener Arzt Clemens Vlasich und elf Spendern begonnen hat, ist jetzt eine Institution, die weltweit tätig ist. „Private Spenden sind in Österreich nach wie vor die einzige Finanzierungsquelle unserer Hilfseinsätze“, so Geschäftsführerin Laura Leyser. 

Einer der ersten Einsätze des österreichischen Teams war im Krieg im ehemaligen Jugoslawien in Srebrenica. Auch 2004 konnte die Organisation den Überlebenden des Tsunamis in Indonesien helfen. „Am schönsten wäre es, wenn es unsere Organisation  eines Tages nicht mehr braucht. Aber davon sind wir leider weit entfernt. Unsere Arbeit ist heute nötiger denn je durch die vielen Konflikte und Krisen, aber auch wegen der Klimakrise“, so Leyser. Auch im aktuellen Ukraine-Krieg ist „Ärzte ohne Grenzen“ vor Ort. 

Gründer und Arzt Clemens Vlasich (Bild: Ärzte ohne Grenzen)
Gründer und Arzt Clemens Vlasich

Erst nach Evaluierung wird Einsatzort bestimmt
Die Entscheidung, wo Einsätze stattfinden, basiert auf einer sorgfältigen Bedarfsevaluierung im Krisengebiet. Ein spezialisiertes Erkundungsteam beurteilt, ob und wie die Organisation helfen kann, und startet gegebenenfalls innerhalb von 48 bis 72 Stunden einen Einsatz. Aufgrund begrenzter finanzieller Ressourcen müssen jedoch auch schwierige Entscheidungen getroffen werden, welche Krisen priorisiert werden.

Erster PC wurde 1995 gespendet (Bild: Ärzte ohne Grenzen)
Erster PC wurde 1995 gespendet

„Wir beobachten, dass immer mehr Menschen in humanitären Krisen kaum sichtbar sind und es entsprechend kein Bewusstsein und zu wenig Unterstützung für sie gibt. Wir sind in über 70 Ländern aktiv. So gesehen sind es die vergessenen und medial nicht abgebildeten Krisen, in denen die größten Lücken bestehen, sowohl finanziell als auch was die Hilfe betrifft“, erklärt die Geschäftsführerin. In Kriegsgebieten wie in Gaza oder im Sudan fehlt es unter anderem an Chirurgen. Aber auch die Einsätze werden immer komplexer und teurer, vor allem in Konfliktgebieten oder dort, wo „Ärzte ohne Grenzen“ mancherorts fast die einzige verbliebene Hilfsorganisation sind – wie zum Beispiel im Sudan.

Einsatzmitarbeiterin Anita Sackl in Darfur 2004  (Bild: Ärzte ohne Grenzen)
Einsatzmitarbeiterin Anita Sackl in Darfur 2004 

Lokale Bevölkerung wird einbezogen
Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit vor Ort ist die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung. „Von über 69.000 Mitarbeitenden 2023 waren fast 80 Prozent lokale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in 70 verschiedenen Ländern rekrutiert wurden. Aus- und Weiterbildung lokaler Fachkräfte ist in unseren Programmen fixer Bestandteil der Hilfe. Zusätzlich gibt es eine eigene „Ärzte ohne Grenzen“-Akademie um Gesundheitspersonal auszubilden“, so Geschäftsführerin Laura Leyser.

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Am schönsten wäre es, wenn es unsere Organisation  eines Tages nicht mehr braucht.

Geschäftsführerin Laura Leyser

Ein großes Ziel für die kommenden Jahre ist die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks bis 2030 um die Hälfte. Zudem wird weiterhin an Innovationen gearbeitet, um die Hilfe vor Ort effektiver zu gestalten. Das übergeordnete Ziel bleibt jedoch konstant: medizinische Nothilfe überall dort zu leisten, wo sie gebraucht wird, und das Bewusstsein für humanitäre Krisen zu schärfen.

Spendenkonto Erste Bank
IBAN: AT43 2011 1289 2684 7600
BIC: GIBAATWWXXX

Geschichte von „Ärzte ohne Grenzen“ in Österreich

  • 1994: Gründung von „Ärzte ohne Grenzen“ Österreich durch den Arzt Clemens Vlasich, nachdem er von einem Einsatz mit der französischen Sektion in Bangladesch zurückgekommen war. Er hatte dort Rohingya behandelt, die aus Myanmar flüchten mussten, und erlebte, wie sie täglich ums Überleben kämpften. In Österreich wusste kaum jemand etwas über die schwierigen Lebensumstände der Rohingya. Das wollte er ändern.
  • 1995: Krieg im ehemaligen Jugoslawien – Einsatz in Srebrenica
  • 2000: Über 100.000 Spender
  • 2001: antiretrovirale Therapien bei HIV-Patienten
  • 2004: Start der Hilfseinsätze nach dem Tsunami im Indischen Ozean
  • 2006: Mehr als 100 Einsatzkräfte werden von Österreich entsandt
  • 2010: Soforthilfe nach dem schweren Erdbeben in Haiti
  • 2014: Ebola-Ausbruch in Westafrika – Aufbau von 15 Behandlungszentren in Guinea
  • 2020: Covid-19-Pandemie – Einsatz in über 40 Ländern
  • 2022: Ukraine-Krieg – Ärzte ohne Grenzen unterstützt Notaufnahmen
30 Jahre „Ärzte ohne Grenzen“ in Österreich
„Für uns ist das Ziel vorrangig: Dieser Patient ist behandelt, Job gemacht, nächster Patient“

„Wir helfen, wo Menschen in Not sind“, das ist das Motto von „Ärzte ohne Grenzen Österreich“. Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums gewährt Logistiker und Vorstandsmitglied Georg Geyer tiefgehende Einblicke in die Herausforderungen und Erfolge, die mit der Arbeit in Krisengebieten weltweit einhergehen.

Können Sie uns von einer besonders prägenden Erfahrung aus einem Ihrer Einsätze erzählen?
Ja, da gibt es natürlich einige. Da gibt es sowohl schöne Momente, die etwas seltener sind, als auch weniger schöne Momente, die leider Gottes auch einprägsam sind. Also von den Schönen würde ich definitiv sagen, von meiner Seite als Techniker bei „Ärzte ohne Grenzen“, sind, dass Situationen, wie jene im Südsudan. Dort ist es lokal zu einem Konflikt gekommen. Die Leute sind zwei Dörfer weiter geflüchtet und wir hatten dort eine Klinik, bei der wir gewusst haben, dass es nicht genügend Trinkwasser gibt. Dann haben wir innerhalb von 48 Stunden eine Wasseraufbereitungsanlage für 6000 Personen aus dem Boden gestampft. Das sind so Augenblicke, bei denen man sehr zufrieden ist, wenn man das erste Glas Wasser trinken kann, welches man selbst „produziert“ hat und alle froh sind. Das sind die schönen Momente. Die weniger Schönen sind sicherlich, wenn es Probleme gibt. Ich war 2015 wegen Ebola zweimal in Sierra Leone und wenn man dann erfährt, dass ein enger Kollege positiv getestet wurde, dann sind das natürlich Augenblicke, die auch einem hängen bleiben, aber nicht so erfreulich sind.

Georg Geyer, Logistiker und Vorstandsmitglied von „Ärzte ohne Grenzen Österreich“, im Interview mit „Krone“-Praktikant Marc Baloun (von links nach rechts) (Bild: Krone. TV)
Georg Geyer, Logistiker und Vorstandsmitglied von „Ärzte ohne Grenzen Österreich“, im Interview mit „Krone“-Praktikant Marc Baloun (von links nach rechts)

Was sind die größten Herausforderungen, denen Sie in Ihren Einsätzen begegnen?
Einerseits sind das die Themen, die man in jedem Beruf hat. Bei der Personalführung ist es glaube ich für niemanden angenehm, jemanden beispielsweise zu entlassen. Das sind Dinge, die jeder im normalen Leben in Österreich kennt. Darüber hinaus ist es der Kontext, das Umfeld, welches immer eine Herausforderung ist. Da ist natürlich das Sicherheitsthema sehr hoch, aber auch kulturelle Unterschiede. Wenn wir ehrlich mit uns sind, haben wir mit sehr viel Korruption zu tun in den weniger entwickelten Ländern. Also das sind alles Themen, mit denen man sich tagein tagaus konfrontiert sieht.

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„Sicherheit ist für uns ein sehr wichtiges Thema. Es ist eigentlich das wichtigste Thema, das sogar noch über der medizinischen Notwendigkeit steht.“

Das Vorstandsmitglied über die Wichtigkeit von Sicherheit

Welche Maßnahmen werden ergriffen, um die Sicherheit der Einsatzmitarbeiter zu gewährleisten?
Sicherheit ist für uns ein sehr wichtiges Thema. Es ist eigentlich das wichtigste Thema, das sogar noch über der medizinischen Notwendigkeit steht. Also wenn wir sagen: „Wir können das aus Sicherheitsgründen nicht machen“, dann müssen die Mediziner das akzeptieren. Sicherheitsmanagement ist allgegenwärtig. Sicherheit betrifft jeden, es sind alle mit an Bord. Das Sicherheitskonzept, welches in den meisten Sicherheitseinsätzen vorherrschend ist, lautet „Sicherheit durch Akzeptanz“. Durch die Neutralität und Unabhängigkeit von „Ärzte ohne Grenzen“ haben wir die Möglichkeit, die Akzeptanz der Gastcommunity mehr oder weniger einzufordern. Es ist also auch so, dass wenn wir auf unseren Einsätzen mit den Menschen reden und ihnen mitteilen „Wir würden das gerne machen, wir würden hier gerne helfen, es gibt diese und jene Probleme“, dann können wir das nur umsetzen, wenn unsere Neutralität und Unabhängigkeit gewährleistet ist. Diese Akzeptanz in der Bevölkerung führt dazu, dass man gut eingebettet ist, aber man muss ständig das Umfeld beobachten, ständig alarmiert sein. Es gibt viele Projekte, bei denen wir täglich um 8 Uhr in der Früh mit dem ganzen Team ein Briefing durchführen, wo auch Sicherheitsthemen besprochen werden.

Welche Erfolge und Fortschritte konnten Sie in Ihren Einsätzen beobachten?
Im Kern ist Ärzte ohne Grenzen eine Nothilfeorganisation und wenn wir ehrlich mit uns sind, gelingt es uns nicht oft mittelfristig oder nachhaltig etwas zu verändern. Für uns ist das Ziel vorrangig: Dieser Patient ist behandelt, Job gemacht, nächster Patient. Es gibt natürlich Entwicklungen, wir versuchen zum Beispiel die lokale Bevölkerung mit an Bord zu holen, da dies die größte Stütze ist. Aber ich habe es leider Gottes oft genug erlebt, dass wir ein Projekt schließen und drei Monate später wieder in der gleichen Gegend sind und es ist zum Teil so, als wären wir nie dagewesen. Da müssen wir realistisch sein. Wir sind sehr gut, Patienten vor Ort schnell und gut zu versorgen, aber eine nachhaltige oder mittelfristige Entwicklung ist eigentlich auch nicht unser primäres Ziel.

Was motiviert Sie persönlich, diese oft gefährliche und herausfordernde Arbeit zu leisten?
Ich finde den Job einfach wahnsinnig spannend. Ich bin früher schon gern gereist, mich haben schon immer andere Kulturen interessiert. Das ist der eine Teil und der andere ist die Organisation. „Ärzte ohne Grenzen“ ist als Arbeitgeber sehr schön, weil diese vorhandene Unabhängigkeit auch intern gelebt wird. Die Unabhängigkeit wird nicht nur nach außen getragen, sondern ist eben auch intern vorhanden. Es zählt jede Stimme, am Ende des Tages entscheidet zwar eine Person, die auch die Verantwortung trägt, aber es ist ein sehr schöner Arbeitgeber. Und wie gesagt, wenn man gern im Ausland und in unterschiedlichen Umständen unterwegs ist, dann ist das auch eine sehr spannende und zum Teil sehr dankbare Aufgabe.

Wie gehen Sie mit den psychischen und physischen Belastungen Ihrer Arbeit um?
Darauf richten wir ein starkes Auge. Uns als Organisation ist klar, dass es teilweise sehr belastend ist. Es gibt Einsätze, wo man täglich 14 bis 16 Stunden arbeiten muss. Da ist auch klar, dass man das nicht viel länger als zwei Monate machen kann. Aber wir richten den Blick darauf, dass unsere Mitarbeiter regelmäßig auf Urlaub gehen und genug Erholung erhalten. Es kennt jeder von sich selbst, Stressreaktionen, Schlafstörungen und noch vieles mehr, sind ernstzunehmende Folgen. Wir versuchen aber, die Personen darauf zu schulen, diese Dinge zu beobachten, und immer ein Auge auf sich und ihre Kollegen zu haben.

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Wir sind sehr gut Patienten vor Ort schnell und gut zu versorgen, aber eine nachhaltige oder mittelfristige Entwicklung ist eigentlich auch nicht unser primäres Ziel.

Geyer über die Effekte ihrer Arbeit

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Uns als Organisation ist klar, dass es teilweise sehr belastend ist. Es gibt Einsätze, wo man täglich 14 bis 16 Stunden arbeiten muss.

Das Vorstandsmitglied über die Belastungen

Was könnte noch verbessert werden, um die Effektivität und Effizienz der humanitären Einsätze zu steigern?
Es hängt stark davon ab, wo man sich bei dem Einsatz befindet, aber grundsätzlich helfen mehr Ressourcen immer, sowohl Personal als auch finanzielle Mittel. Bezüglich der Effizienz müsste man ebenfalls jeden Fall für sich betrachten.

Und wie unterscheiden sich diese Fälle?
Einmal gibt es größere Probleme mit der Logistik, der Administration oder den Behörden. Es ist immer kompliziert, in schwierigen Ländern ein Visum zu bekommen. Man glaubt es zwar nicht, aber es gibt Situationen, in welchen wir Personen bereit haben, aber nicht loslegen können, weil wir kein Visum bekommen. Das wäre ein Fall, aber es gibt auch ganz andere. Im Südsudan zum Beispiel sind das halbe Jahr das Wetter und der Boden ein großes Problem. Man kann sich eigentlich nicht fortbewegen, außer mit dem Flugzeug oder dem Hubschrauber.

Die Kärntnerin Diyani Dewasurendra gehört zum Einsatzteam im Südsudan (Bild: Ärzte ohne Grenzen)
Die Kärntnerin Diyani Dewasurendra gehört zum Einsatzteam im Südsudan

Welche Rolle spielt die Öffentlichkeitsarbeit, um das Bewusstsein für humanitäre Krisen in der Bevölkerung zu schärfen?
Das ist auch eine Aufgabe, die wir wahrnehmen. Speziell in Österreich, wo wir glücklicherweise keine Einsätze haben, versuchen wir unsere Feldbeobachtungen zu transportieren und ein Bewusstsein dafür innerhalb der Bevölkerung zu bilden. Das findet weniger in den Projekten statt und mehr in Europa oder den Spenderländern.

Dann wären wir auch schon bei meiner letzten Frage angelangt. Abgesehen von Spenden, wie kann man „Ärzte ohne Grenzen“ am besten unterstützen?
Die Spenden sind natürlich wichtig. Wir sind die größte privat finanzierte Hilfsorganisation der Welt. Das ist auch jene Eigenschaft, die uns unsere Unabhängigkeit gibt und daher ein wichtiger Punkt. Darüber hinaus kann man bei Interesse eine Bewerbung abgeben und schauen, ob man selbst auf Einsätze gehen möchte. Und man kann uns im Sinne der Beobachtung unterstützen, indem man uns auf den sozialen Medien folgt und schaut welche Themen einen ansprechen.

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