Mit dem Song „Heat Waves“ gelang der britischen Indie-Pop-Band Glass Animals während der Hochphase der Corona-Pandemie ein virtueller Welthit. Jetzt ist das Leben zurückgekehrt und Frontmann Dave Bayley und seine Band suchen einen dauerhaften Platz darin. Im „Krone“-Interview spricht der Sänger von Sorgen und Ängsten – dazu erscheint das neue Album „I Love You So Fu***ng Much“.
Dave Bayley ist der etwas andere Musiker der Indie-Pop-Szene. Wenn er für die Musik seiner Band Glass Animals recherchiert, dann gibt er sich nicht mit halben Sachen zufrieden. Für das 2016 erschienene Zweitwerk „How To Be A Human Being“ sprach der damals noch wenig bekannte Brite wildfremde Menschen auf der Straße an, um ihnen intime Fragen zu stellen und in seiner zu Musik zu verarbeiten. 2020 folgte der große Durchbruch mit „Dreamland“. Davor hätte Drummer Joe Seaward nach einem Radverkehrsunfall fast sein Leben verloren und musste erst wieder essen, sprechen und gehen lernen. Der einstige Medizinstudent Bayley wachte wacker am Krankenbett seines Freundes und schrieb sich derweil das Sorgenbündel seiner eigenen Vergangenheit von der Seele. Aufgewachsen in Texas, umgeben von Rednecks und toxischer Maskulinität. Auf „Dreamland“ befand sich die Single „Heat Waves“, die zum weltweit vielleicht größten Song der Corona-Jahre wurde.
Welterfolg über Nacht
Als erster Song einer britischen Band seit „Wannabe“ von den Spice Girls 1995 besetzte er fünf Wochen lang die Nummer-eins-Position der amerikanischen Billboard-Charts, wurde für einen BRIT-Award nominiert, eroberte die Charts rund um den Globus und wurde bis heute auf allen möglichen Plattformen knapp 50 Milliarden Mal gestreamt. Der sanfte Indie-Pop-Track traf ins Herz einer zum Stillstand gezwungenen jungen Generation und stand exemplarisch für einen wegweisenden Früherfolg der damals noch nicht so boomenden Videoplattform TikTok. Aus einer Gruppe musikbegeisterter Nerds wurden plötzlich Weltstars, die sich ihren rasant steigenden Ruhm vom Wohnzimmer aus ansehen mussten, weil eben Lockdown. „Ich weiß noch immer nicht genau, was ich davon halten soll“, lacht Bayley im „Krone“-Talk, „die Verarbeitung dieses Erfolgs ist wohl noch nicht ganz beendet.“
Die Glass Animals tourten mit dem Top-Hit im Rücken so früh wie möglich. Ein möglichst gut durchdekliniertes Sicherheitskonzept für Touren in der Pandemie, das Bayley und sein Band-Management aufgesetzt hatten, wurde von anderen Bands dankbar als Blaupause herangezogen. „Es war verrückt. Wir spielten all diese großen Shows, waren enthusiastisch und wurden dann wieder strikt in den Tourbus zurückgeleitet. Das Album ,Dreamland‘ wurde wirklich zu einem Traum, bei dem wir uns öfters fragten, ob das eigentlich real ist, was uns widerfährt“. Der unglaubliche Erfolg von „Heat Waves“ machte Bayley zum Indie-Darling. Florence Welch von Florence + The Machine sicherte sich seine Songwriting-Dienste, das nächste Glass Animals-Album musste erst einmal warten. Der unbändige Erfolg von „Heat Waves“ ließ sich nicht abschütteln und diente, wenig überraschend, erst einmal als Hauptmotivation, um wieder neue Songs für die Band zu schreiben.
Beobachter seiner selbst
„Manchmal ist es im Leben unmöglich, sich so schnell zu adaptieren, wie es der Erfolg eigentlich von dir verlangt.“ Der Erfolg, den die Glass Animals in den letzten Jahren erfuhren, fühlte sich für den introvertierten Bayley befremdlich an. „Man kommt sich ein bisschen vor wie ein Beobachter seiner selbst, der irgendwie das Gefühl hat, sich speziell verhalten oder Erwartungen von außen erfüllen zu müssen. Manchmal hat mich das so verwirrt, dass sich nichts mehr wirklich real anfühlte.“ Als ein wilder Sturm über Kalifornien zog, war Bayley dort in einem Haus nahe einer Klippe isoliert. Das Gedankenkarussell begann sich zu drehen und der Sänger realisierte, dass „die menschliche Verbindung und die Liebe zwischen uns allen viel stärker, wichtiger und komplexer ist als alles andere“. Diese Erkenntnis führte schließlich zur neuen Single „Creatures In Heaven“, die von 70er-Jahre Synthesizern begleitet als wichtigstes der neuen zehn Songkapitel gilt und voll im Moment lebt. „Was auch immer gerade passiert, das Leben ist verdammt schön. Das wollte ich mir damit vergegenwärtigen.“
Das vierte Album „I Love You So Fu***ng Much“ ist das Ergebnis einer existenziellen Krise Bayleys, die sich aus der sonderbaren Gemengelage aus erzwungener Isolation und online aufkeimendem Weltruhm subsumierte. Dabei setzten die Glass Animals wieder einmal auf direkte Nähe zu ihren Fans. Schon während der Pandemie eröffnete man eine Open-Source-Website, auf der sich Fans Bilder und mp3-Files herunterladen, bearbeiten und sich zu eigen machen konnten. In der Vorbereitungsphase zum neuen Album launchte man eine Landing Page, auf der Fans und Interessierte Fragen stellen konnten. Rund 15.000 seien es schon nach ein paar Tagen gewesen. Darunter solche wie „Werden die Glass Animals jemals im Weltraum auftreten?“ oder „Was ist die Bedeutung des Lebens?“ Ein gefundenes Fressen für einen leidenschaftlichen Nerd wie Dave Bayley, der aus dieser Ferndiskussion ein Grobkonzept über die existenzielle Liebe in all ihren Facetten bastelte.
Kritik als Kompliment
„Die beste Musik entsteht immer aus den schwierigsten Situationen“, so Bayley, „ich muss tief in mich gehen und mich unwohl fühlen. Erst dann entsteht wirklich etwas daraus“. Auch „I Love You So Fu***ng Much“ ist wieder ein Album, das eigentlich drei verschiedene sind. Songs wie das extraterrestrische „A Tear In Space (Airlock)“ unterscheidet sich vehement vom selbstreferenziellen Opener „Show Pony“ oder dem dystopischen Mindset-Banger „How I Learned To Love The Bomb“. „Wir wurden immer dafür kritisiert, dass die Songs auf einem Album oft zu unterschiedlich klingen würden. Ich sah das immer als Kompliment. Ich könnte mir nichts Langweiligeres vorstellen, als mich zu wiederholen. Wenn du an einem neuen Album schreibst, musst du immer alles vergessen, was vorher war. Du beginnst bei null, es gibt kein Vorher. Das ist der Ansatz, mit dem ich mich alle paar Jahre wieder an die Arbeit mache.“
Die Glass Animals geben Bayley nicht nur eine Möglichkeit, seinen Gefühlen und Emotionen Ausdruck zu verleihen, sondern auch den intrinsischen Wunsch nach Gemeinschaft und Verbindung mit seinen Hörern zu fördern. „Aus einer Gemeinschaft entstehen oft die verrücktesten, besten Dinge. Man muss sich nur trauen und in dieses Kollektiv fallen lassen. Wir sind als Menschen zusammen immer stärker und wirkmächtiger als alleine. Gerade nach den Corona-Jahren spüre ich das besonders intensiv, es gibt mir Kraft. Und was gibt uns die Sicherheit, dass alles so locker und offen bleibt, wie wir es jetzt wieder spüren und erleben?“ Bayley ist ein ständig Zweifelnder, der sich weder von den Erfolgen der Gegenwart, noch von den Lobpreisungen der Vergangenheit verleiten lässt. Mitunter ist das einer der Hauptgründe, warum die Glass Animals auch auf „I Love You So Fu***ng Much“ noch keine Abnützungserscheinungen zeigen. Warmherziger wird Pop diesen Sommer nicht klingen.
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