Analyse eines Fiaskos

Es wird Zeit zu gehen! Wer sagt es Joe Biden?

US-Wahl 2024
12.07.2024 22:26

Joe Biden ist ein anderer Mann als vor vier Jahren. Seine aussichtslose Wette gegen die Zeit verliert er mit jedem Tag deutlicher. Während sich sein Team in Ausflüchte verirrt, stellt sich die bange Frage: Wer sagt Biden, dass seine politische Uhr abgelaufen ist? Die Analyse eines Fiaskos.

Ständige Wiederholungen werden irgendwann zu Automatismen. Etwas zu tun, ohne darüber nachdenken zu müssen, wird im Sport als Muskelgedächtnis bezeichnet. Diese Abläufe durchlaufen permanente Qualitätschecks: Führt das noch zum Erfolg oder muss das weg?

Die Automatismen des engsten Umfeldes von US-Präsident Joe Biden sollten formatiert werden. Die eingeübten Reflexe nach kognitiven Patzern des beinahe 82-Jährigen missachten den Umstand, dass nun ein anderer Mann ins Rennen geht als vor vier Jahren. Bidens Kipppunkte werden auch abseits seiner Auftritte sichtbarer.

Kollektives Kleinreden aus dem Weißen Haus
Hinter verschlossenen Türen sei Biden „klar und präzise“, ist von seinem Team aus dem Weißen Haus zu hören. Die desaströse TV-Debatte in Atlanta gegen Donald Trump wurde auf eine Erkältung und Jetlag durch Reisestrapazen zurückgeführt. Fakt ist: Zum Zeitpunkt von Bidens Gestammel, war der letzte Zeitzonenwechsel Tage her. 

Ehefrau Jill Biden gilt als eine der engsten Beraterinnen des Präsidenten. (Bild: AP ( via APA) Austria Presse Agentur/Evan Vucci)
Ehefrau Jill Biden gilt als eine der engsten Beraterinnen des Präsidenten.

Biden und sein Team sind 2020 als Brückenbauer angetreten. Der Polit-Profi mit jahrzehntelanger Erfahrung wollte nach seiner ersten Amtszeit eigentlich an eine jüngere Generation übergeben. Die fantastischen Ergebnisse der Demokraten bei den Midterm-Wahlen dürften jedoch intern missinterpretiert worden sein.

Gefährliche Wette gegen die Zeit
Die Brücke wurde zu einem Damm. Biden hat neben sich keinen internen Mitbewerber akzeptiert. Sein Team, bestehend aus seiner Familie und einem kleinen Beraterkreis, haben ihm weis gemacht, dass nur er Trump bezwingen könnte. Politisches Zocken mit Folgen für die ganze Welt. Es ist eine gefährliche Wette gegen einen unbesiegbaren Gegner: die Zeit.

Am Ende des NATO-Gipfels am Donnerstag offenbarte Biden ein weiteres Mal, dass die Quoten gegen ihn nicht schlechter stehen könnten. Er verliert – und das deutlich. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde kurzerhand als „Präsident Putin“ vorgestellt, aus seiner Vizepräsidentin wurde später auch noch „Trump“ statt „Harris“.

Selenskyj reagiert auf Bidens Fauxpas: 

Die anwesenden Parteigranden versanken in ihre Sitze, die Weltpresse raunte. Und dann? Muskelgedächtnis! Das kann doch mal passieren, der restliche Auftritt sei sehr „klar“ gewesen.

Berufsblindheit bei Demokraten?
Bidens Team spricht der Weltöffentlichkeit ihre Mündigkeit ab. Was ihr gesehen habt, habt ihr missverstanden, lautet die Botschaft, die aktuell Tür und Tor für die autokratischen Träume von Trump öffnet. In Umfragen befindet sich der US-Präsident im freien Fall.

Bidens Umfeld hat in den vergangenen Jahren einen zunehmend schützenden Kreis um ihn gebildet. Der US-Präsident ist völlig abgeschirmt. Seit Jahrzehnten hat ein „Commander-in-Chief“ nicht mehr so wenige Interviews und Pressekonferenzen gegeben. Wie ernst die Situation ist, dürfte aber auch im Weißen Haus bekannt sein.

Zuckerwatte für Biden
Bei Besprechungen mit Mitarbeitern, die formelle Briefings für Biden zusammenstellen, haben sich einige hochrangige Beamte bisweilen große Mühe gegeben, die präsentierten Informationen so zu gestalten, dass sie keine negative Reaktion hervorrufen. Der 81-Jährige ist bekannt dafür, schroff auf unliebsame Themen zu reagieren. 

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„Die Leute haben eine Scheißangst vor ihm.“

Insider über Biden

Gegenüber Mitarbeitern heiße es dann häufig: „Das können Sie nicht einbauen, das würde ihn aufregen.“ Oder: „Bauen Sie das ein, das mag er‘“, so ein hoher Verwaltungsbeamter gegenüber „Politico“. „Es ist ein Rorschach-Test, kein Briefing. Denn er ist kein angenehmer Mensch, wenn er gebrieft wird. Es ist sehr schwierig, und die Leute haben eine Scheißangst vor ihm.“

Öffentlichkeit als Gefahrenzone für Biden
Bidens Terminkalender gibt großen Anlass zur Sorge. Seine öffentlichen Auftritte wurden auf ein Minimum reduziert. Selbst präsidiale Wohlfühltermine werden abgesagt, wie etwa das traditionelle Kurz-Interview vor dem „Super Bowl“. Was nicht gescriptet ist, birgt unheimliche Gefahren. 

Es liegt an Biden

  • Biden soll beim Parteitag der Demokraten im August offiziell zu ihrem Kandidaten gekürt werden.
  • Die nötigen Delegiertenstimmen dafür hat er bei den Vorwahlen bereits gewonnen.
  • Deshalb kann auch nur er entscheiden, aus dem Rennen auszusteigen. 

Dabei wirkt Biden auch beim Ablesen von Telepromptern immer häufiger abwesend. Auf dem Bildschirm vor dem Rednerpult werden beispielsweise Instruktionen wie „Pause“ aufgeschrieben, um der vorgeschriebenen Rede einen Rhythmus zu geben. Der US-Präsident liest diese Anweisungen immer wieder vor und vermittelt damit einen ferngesteuerten Eindruck. Häufig fallen ihm die Ausfälle selbst auf, doch auch diese Selbstreflexion nimmt ab.

Ein Beispiel für Bidens Teleprompter-Aussetzer:

Seit dem Debatten-Desaster von Atlanta, das intern wohl niemanden überrascht hat, kommt es beinahe täglich zu Krisensitzungen. Viele Demokraten und Großspender setzten sich mittlerweile über die überholte Reflex-Linie aus dem Weißen Haus hinweg. 

Clooney-Text in Absprache mit Obama?
Große Aufmerksamkeit erfuhr ein emotionaler Meinungsbeitrag von Hollywood-Schauspieler George Clooney in der „New York Times“. Er „liebe“ Biden, habe bei einer von ihm veranstalteten Spendengala aber einen veränderten Mann erlebt. Jenen Mann, den nun die Weltöffentlichkeit zu Gesicht bekommt.

„Politico“ zufolge habe der einflussreiche Biden-Unterstützer vor Erscheinen seines Beitrags mit Barack Obama in Kontakt gestanden. Der frühere US-Präsident soll Clooney zwar nicht zu seinen Äußerungen ermutigt haben, aber viel wichtiger: Obama habe aber auch nicht versucht, den Text zu verhindern. Weitere Details nannte die US-Zeitung nicht.

Gott oder Bidens Team?
Bei der glamourösen Veranstaltung in Los Angeles war damals auch der Ex-Präsident aufgetreten. Ein Video-Mitschnitt des Abends legt nahe, dass Obama seinen ehemaligen Vize von der Bühne begleiten musste, nachdem Biden die Orientierung verloren hatte. Auch hier griff das Muskelgedächtnis des Weißen Hauses. Alles Blödsinn und bösartig.

Biden und Obama bei der Spendengala von George Clooney (Bild: AFP/Mandel NGAN)
Biden und Obama bei der Spendengala von George Clooney

Stattdessen wird immer wieder betont, dass der US-Präsident felsenfest von seiner Kandidatur überzeugt sei. Biden stellte kürzlich klar, dass er sich nur zurückziehen werde, wenn sein Team ihm sagen würde, dass „ich nicht gewinnen kann“. Oder wenn Gott zu ihm sprechen würde. Bleibt die Frage: Wer sagt’s ihm? Es ist Zeit!

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