„Wir sind nicht so!“

Wie die jungen Raben…

Vorarlberg
15.07.2024 12:25

Autor Robert Schneider hat sich in den vergangenen Monaten mit Jugendlichen getroffen und sich erzählen lassen, wie sie auf die Welt blicken, wovon sie träumen, was sie bewegen wollen. Die Serie kommt nun zu einem Abschluss – und Robert Schneider schaut noch einmal zurück. 

In rund zwanzig Interviews habe ich versucht, der Generation Z oder Zoomer, wie sie umgangssprachlich genannt wird, nachzuspüren. Es ist jene Generation, die zwischen 1997 und 2012 (Pew Research Centre, Chicago) geboren wurde und mit einem Smartphone aufgewachsen ist. In der lesenswerten Studie des Jugendforschers Klaus Hurrlemann und des Journalisten Erik Albrecht („Generation Greta“, Beltz, 2020) gelangen die Autoren zur Ansicht, dass es dieser Generation nicht mehr so sehr um Bestnoten und ausgezeichnete Schulabschlüsse gehe, sondern mehr darum, außerhalb des Schulsystems beurteilt zu werden. Es sei auch nicht mehr unbedingt erstrebenswert, eine Hochschulreife zu erlangen, um veritable Einkommen zu erlangen, wie man an vielen Handwerksbetrieben bereits ersehen könne. Marc Goergen vom „Stern“ findet hierin sogar die Erklärung für das hohe politische Engagement der Generation Z. „(…) Die Optimierung des Lebenslaufs ist nicht mehr das alleinige Ziel, sondern auch: die Welt zu verbessern.“

Diese Beobachtungen decken sich mit den Gesprächen, die ich im vergangenen halben Jahr mit Jugendlichen geführt habe, wobei die Interviewreihe nicht repräsentativ ist und auch keinen Anspruch darauf erhebt. Es wurden hauptsächlich Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren befragt, die ein Gymnasium besuchen. Allerdings habe ich besonderen Wert daraufgelegt, Menschen mit migrantischem Hintergrund zu berücksichtigen, denn die Gesellschaft in Vorarlberg hat diesbezüglich in den vergangenen 15 Jahren eine enorme Wandlung vollzogen.

Zitat Icon

Die Optimierung des Lebenslaufs ist nicht mehr das alleinige Ziel, sondern auch: die Welt zu verbessern.

Marc Goergen („Stern“)

Auffallend ist die durchaus positive, ja entspannte Weltsicht der Jugendlichen, trotz der Kriegsherde auf dieser Welt und der drohenden Szenarien durch den Klimawandel. Keiner der von mir Befragten äußerte Zukunftsängste, wobei ein Gefälle zwischen Frauen und Männern zu beobachten war. Weibliche Jugendliche scheinen mehr Anteil am Klimawandel zu nehmen, an den sich immer stärker abzeichnenden politischen Verwerfungen, der Genderdebatte und dem Umgang mit digitalen Medien. Der magische Begriff „digital detox“, also der Versuch, Abstand zur Vernetzung mit der digitalen Welt zu gewinnen und sich selbstgewählte Bildschirmzeiten aufzuerlegen, war sogar bei einer interviewten Jugendlichen das Thema ihrer vorwissenschaftlichen Arbeit. Gemeinsam mit ihrer Freundin zog sie sich für zwei Wochen in das buddhistische Kloster auf dem Letzehof zurück, um zu erfahren, was es heißt, „wie meine Großeltern zu leben.“

Die Einbettung in eine noch wirklich erfahrbare und auch praktizierte Religion, ist nahezu vollständig verschwunden. Das gilt für den christlichen wie – erstaunlicherweise – auch für den muslimischen Glauben. Die Jugendlichen stehen zwar noch durch ihre Eltern und Großeltern in der Tradition einer Religion, bezeichneten sich aber durchwegs als agnostisch oder atheistisch. Die in den sozialen Medien weit verbreitete Allüre, sich eine Art Bastelreligion zu erschaffen, sah ich nicht bestätigt. Junge Menschen von heute scheinen vollkommen säkularisiert, ihre moralischen Grundwerte sind die demokratischen Wertenormen unserer Gesellschaft.

Ida Kinzel (Bild: Mathis Fotografie)
Ida Kinzel
Theo Vögel (Bild: Mathis Fotografie)
Theo Vögel
Kiana Felder (Bild: Mathis Fotografie)
Kiana Felder
Joah Antretter (Bild: Mathis Fotografie)
Joah Antretter
Anna Raschner (Bild: Mathis Fotografie)
Anna Raschner
Norah Hekh (Bild: Mathis Fotografie)
Norah Hekh
Aid Keranovic (Bild: Mathis Fotografie)
Aid Keranovic
Kadir Cem Eksi (Bild: Mathis Fotografie)
Kadir Cem Eksi
Lilly Jordan (Bild: Mathis Fotografie)
Lilly Jordan
Ariane Franken (Bild: Mathis Fotografie)
Ariane Franken
Ronja Rüdisser (Bild: Mathis Fotografie)
Ronja Rüdisser
Luca Hefel (Bild: Mathis Fotografie)
Luca Hefel
Leonie Lipburger (Bild: Mathis Fotografie)
Leonie Lipburger
Mona Greussing (Bild: Mathis Fotografie)
Mona Greussing
Daniel Moosbrugger (Bild: Mathis Fotografie)
Daniel Moosbrugger
Manuel Simma (Bild: Mathis Fotografie)
Manuel Simma
Emma Albrecht (Bild: Mathis Fotografie)
Emma Albrecht
Mathilda Hagspiel (Bild: Mathis Fotografie)
Mathilda Hagspiel

Zur Frage nach der politischen Ausrichtung äußerte sich der große Teil der weiblichen Befragten als Mitte-Links zugehörig, während ich bei den männlichen Jugendlichen entweder ein Desinteresse oder einen Mitte-Rechts-Standpunkt orten konnte. Bis auf einen jungen Mann, der dezidiert in der Politik (ÖVP) eine gestaltende Kraft werden möchte, fühlten sich die übrigen Befragten dieses Themas überdrüssig.

Eine gewisse Ermüdung ließ sich auch bei der Frage nach der Genderdebatte feststellen. Zwar wird an den Bildungsinstituten fleißig gegendert, aber eine Schülerin aus dem BG-Lustenau brachte ihr Unbehagen auf den Punkt. Es sei ihr völlig egal, ob sich ihr Gegenüber generisch als Stuhl empfinde oder als homosexuell. Es komme allein auf den Charakter eines Menschen an, meinte die junge Frau. Männer wie Frauen fanden die gendergerechte Rechtschreibung als mühsam, haben sich jedoch, so scheint es, damit abgefunden.

Für mich, der ich der so genannten Babyboomer-Generation angehöre, waren die Antworten auf die spätere Berufswahl sehr aufschlussreich. Es besteht offensichtlich nicht mehr die Dringlichkeit, sich durch den Beruf Ansehen und Wohlstand zu erarbeiten. Die These meiner Generation, die lautete, den Kindern den erreichten Wohlstand zu erhalten, spielt bei den Zoomern überhaupt keine Rolle. Eine Schülerin aus dem Gymnasium Dornbirn-Schoren fasste es so zusammen: „Wenn ich sehe, wie viel Zeit meine Eltern zum Erhalt des finanziellen Status verbraucht haben, ist für mich weniger mehr. Dann nehme ich lieber finanzielle Einbußen in Kauf.“

Frei gestaltete Zeit gilt vielen als das höchste Gut. Dementsprechend gaben auch die meisten Schülerinnen und Schüler an, nach der Matura zuerst einmal reisen zu wollen. Der Druck, mit siebzehn schon wissen zu müssen, wohin später die berufliche Reise geht, war praktisch nicht vorhanden. Bemerkenswert war auch, dass Jugendliche zwischen einem abgeschlossenen Studium und einer absolvierten Lehre keinen Standesdünkel sehen. Viele können sich nämlich gut vorstellen, nach der Matura eine Lehre zu beginnen. Bildungsbürgerliche „musts“ wie Konzert-, Opern-, Theaterbesuch oder literarische Beflissenheit waren praktisch nicht zu erkennen. Das ist für die Jugendlichen Schnee von gestern.

Was mir besonders auffiel, war die durchwegs positive Grundgestimmtheit der Jugendlichen und – damit verbunden – eine sehr humorvolle, ja teilweise abgeklärte Weltsicht. Das ist sicherlich mit dem früh einsetzenden Konsum digitaler Medien zu erklären. Diese Generation ist schneller erwachsen geworden als frühere Generationen. Sie ist charmant, ausgebufft, hat einen gewissen Hang zum Stoizismus.

Sätze aus dem Evangelium
Mir, der ich noch im katholischen Kontext sozialisiert wurde, fielen in der Nachlese der Interviews die wunderbaren Sätze aus dem Lukas-Evangelium (12, 23 f.) ein: „Denn das Leben ist mehr als die Kleidung und der Leib mehr als die Nahrung. Seht die Raben: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie haben keinen Keller und keine Scheune, und Gott ernährt sie doch. Wie viel mehr seid ihr als die Vögel!“

Bleibt mir zum Abschluss, mich bei allen Jugendlichen für ihren Mut und ihre Offenheit zu bedanken. Alle haben sich zum ersten Mal überhaupt in Form eines Interviews in der Zeitung befunden. Nervosität und Aufregung waren oft deutlich zu spüren. Mein Dank gilt aber auch den Pädagoginnen und Pädagogen der betreffenden Schulen, die mir bereitwillig und manchmal mit ein wenig „Nachschieben“ geholfen haben.

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