Expertin im Interview:

„Für Beschäftigte kann KI eine große Chance sein“

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18.07.2024 09:50

Künstliche Intelligenz verändert die Arbeitswelt grundlegend. Sie kann monotone Aufgaben übernehmen, kreative Prozesse unterstützen und den Arbeitsalltag erleichtern. Doch welche Chancen und Risiken bringt sie mit sich? Lena Marie Glaser, Expertin für neues Arbeiten, klärt auf.

„Krone“: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Chancen, die KI für Arbeitnehmer bietet?
Lena Marie Glaser: Optimistisch betrachtet hat der Einsatz von KI das große Potenzial, den Arbeitnehmenden administrative und eintönige Aufgaben abzunehmen, und so im Arbeitsalltag zu entlasten: von der täglichen Büroarbeit, bei der Organisation von Dienstreisen, bei Analysen und Recherchen, beim Schreiben von Listen, E-Mails und Protokolle von Besprechungen. Aber auch zur Inspiration für kreative, neue Lösungen. Wenn KI sinnvoll eingesetzt wird, kann das (im besten Fall) zu weniger Arbeitsstress, besseren Arbeitsergebnissen und mehr Lebensqualität führen. Aus meiner Arbeit im Zukunftslabor und Unternehmensberatung weiß ich, dass aktuell viele Menschen massiv in ihrem Job gefordert sind und unter steigendem Druck stehen. Viele leiden stark unter der Überforderung. So haben die zunehmende Digitalisierung und der Fachkräftemangel in vielen Branchen zu großer Mehrbelastung geführt. Für die Beschäftigten könnte die KI daher eine große Chance sein. Sie hätten dann endlich wieder Zeit, sich auf den Kern ihres Berufes zu konzentrieren und den Spaß am Job zurückbekommen. Außerdem bleiben dann mehr Energie und Zeit für persönliche Beziehungen, das Privatleben, Familie und Hobbies.

Lena Marie Glaser – Expertin für neues Arbeiten, Unternehmensberaterin und Gründerin des Zukunftslabors „basically innovative“ (Bild: David Payr)
Lena Marie Glaser – Expertin für neues Arbeiten, Unternehmensberaterin und Gründerin des Zukunftslabors „basically innovative“

Auf der anderen Seite sprechen Sie auch von KI als „Jobkiller“. Welche Berufsfelder sehen Sie am stärksten von der Automatisierung durch KI bedroht?
Kurz auf den Punkt gebracht: Es sind vorwiegend Berufsgruppen betroffen, die eine geringe Ausbildung erfordern bzw. Jobs, die eine digitale Technologie schneller erledigen kann. Doch auch Berufe, die viele im ersten Moment gar nicht im Blick haben, sind betroffen: Dazu zählen Bürojobs, wo viel administrativ gearbeitet wird oder auch die Kundenbetreuung. Schon heute setzen viele Unternehmen KI im Kunden-Support ein. Ich sehe vor allem die Gefahr, dass Unternehmen dem KI-Hype verfallen könnten und nun glauben, die KI ersetzt ihre Belegschaft und die KI kann die Arbeit viel günstiger erledigen. Das ist ein Irrglaube. Daher rate ich verantwortungsvollen Betrieben, auf einen vernünftigen Einsatz von KI – zur Beschleunigung von Prozessen - zu setzen und darauf fokussieren, wie sie die gewonnene Zeit nutzen können, um das Wohlbefinden des Personals zu fördern – anstatt es zu kündigen. Immer mehr österreichische Betriebe gehen diesen Weg. Hier sollten Unternehmen nicht ihren Wettbewerbsvorteil liegen lassen: Zufriedene Mitarbeitende, die nicht überlastet sind, sind der Schlüssel für einen nachhaltigen Erfolg der Zukunft. Die KI kann dabei helfen. Außerdem sollte nicht übersehen werden: Viele junge, schlechter qualifizierte Menschen haben heute Zukunftsängste, und dazu zählt die Angst vor der KI als Jobkiller. Hier macht sich bei der Jugend eine Ohnmacht breit. Wirtschaft und Politik müssen da ins Tun kommen, den jungen Menschen zuhören, aktiv und verantwortungsvoll entgegensteuern. Denn der gesellschaftliche Zusammenhalt ist zentral dafür, dass wir ALLE optimistisch in die Zukunft schauen können.

Können Maschinen kreatives menschliches Potenzial ergänzen oder gar ersetzen?
Ich sehe das ganz eindeutig so: KI kann uns als Werkzeug dienen, um Aufgaben und Probleme kreativ zu lösen. Sie kann inspirieren und neue Wege aufzeigen. Aber sie ersetzt definitiv nicht unser menschliches kreatives Potenzial.

„Künstliche Konkurrenz“ (Leykam, 15 Euro) heißt das Buch von Lena Marie Glaser (Bild: Leykam Verlag)
„Künstliche Konkurrenz“ (Leykam, 15 Euro) heißt das Buch von Lena Marie Glaser

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach Bildung bei der Anpassung an eine von KI geprägte Arbeitswelt?
Grundsätzlich müssen wir alle erst lernen, mit der künstlichen Intelligenz gut und sinnvoll umzugehen und mit ihr zusammenzuarbeiten. Manchen fällt das leichter, als anderen. Daher spielt Bildung hier eine zentrale Rolle: in den Schulen, in der Berufsausbildung, in den Universitäten, in der Erwachsenenbildung bis hin zur betrieblichen Weiterbildung. Notwendig ist es, niederschwellige Lernräume und Programme anzubieten, in denen alle - unabhängig von ihrem Hintergrund - lernen können, mit KI bewusst und kritisch umzugehen. So gibt es z.B. in Wien Angebote auf Bezirksebene, wo Jung und Alt ChatGPT ausprobieren können. Denn oft scheitern Menschen, die nicht technikaffin sind, an der große Hürde sich überhaupt mit neuen Technologien auseinanderzusetzen. Da gibt es auch ein großes Schamgefühl und Ängste, und dem muss bewusst und aktiv entgegengewirkt werden.

Welche neuen Fähigkeiten und Kompetenzen sollten Arbeitnehmer entwickeln, um im Zeitalter der KI relevant zu bleiben?
Neben den technischen Skills, wie man eine KI wie ChatGPT anwendet, ist vor allem das Erlernen einer kritischen KI-Nutzung notwendig. Denn bei weitem ist nicht alles, was die KI ausgibt, richtig. Für mich als studierte Juristin gehört es dazu, Ergebnisse der KI kritisch zu hinterfragen und auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Es ist aber für alle wichtig, diesen Umgang zu erlernen. Auf keinen Fall darf man die Ergebnisse ungeprüft übernehmen. Die KI halluziniert nämlich gerne, und spuckt falsche Informationen aus. Für eine sinnvolle KI-Nutzung müssen Arbeitnehmende lernen, wie sie die eigene Vorstellungskraft aktivieren, wie sie die richtigen Fragen stellen. Dazu gehört auch das Erlernen, wie man mit Frustration und Fehlern umgeht, wie man lernt selbstständig zu lernen, und wie man eigene Bedürfnisse reflektiert und darüber spricht.

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Neben den technischen Skills, wie man eine KI wie ChatGPT anwendet, ist vor allem das Erlernen einer kritischen KI-Nutzung notwendig.

Lena Marie Glaser über die erforderlichen Fähigkeiten im Umgang mit Künstlicher Intelligenz

Wie sollten Gesellschaft und Politik Ihrer Meinung nach auf die Veränderungen reagieren, die durch KI-Technologien hervorgerufen werden?
Politik und Gesellschaft sind gefragt, das Thema ernst zu nehmen und die Menschen mitzunehmen. Viele Diskussionen rund um die KI finden heute im Elfenbeinturm statt: Also Experten sprechen mit Experten. Ich bin häufig als Buchautorin von „Künstliche Konkurrenz“ und Beraterin zu Gast auf Podiumsdiskussionen zum Thema „KI in der Arbeitswelt“, und da bringe ich immer die Perspektive der Mitarbeitenden und Führungskräfte ein. Dieser Blick wird hier oft vergessen, doch dieses Thema muss direkt zu den Menschen kommen, mit ihnen muss diskutiert werden und ihren Ängsten und Wünschen muss Raum gegeben werden. Zusammenfassend würde ich sagen: Die KI muss den Menschen dienen, und darf nicht als Tool für Gewinnmaximierung enden. Dafür sind heute die richtigen Maßnahmen auf Augenhöhe mit den Menschen zu setzen.

Welche Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um ihre Mitarbeiter auf den richtigen Umgang mit KI zu schulen?
Aus der Forschung und Beratung von Führungskräften mit meinem Zukunftslabor weiß ich, dass die österreichischen Unternehmen heute vor der großen Mammutaufgabe stehen, die digitale Transformation zu bewältigen. Erfolgreiche Unternehmen setzen dabei darauf, ihre Mitarbeitenden auf dieser digitalen „Tour de Force“, zu begleiten und zu unterstützen. Das Ziel muss sein, ALLE Mitarbeitenden mitzunehmen. In meiner Beratung von Führungskräften sage ich ihnen: Ihr müsst auf Weiterbildung, Wissensvermittlung und vertrauensbildende Maßnahmen setzen. Aus meiner Beobachtung weiß ich, viele Unternehmen setzen vor allem in der Weiterbildung auf technische Skills. Doch darüber hinaus ist die niederschwellige Vermittlung eines kritischen Umganges mit KI wichtig. Mitarbeitende müssen dabei unterstützt werden, KI in den Arbeitsalltag zu integrieren und bei der Umstellung Support bekommen. Sie benötigen Räume und Zeit, sich in Ruhe mit diesen neuen digitalen Arbeitsmitteln auseinanderzusetzen, und deren Nutzung zu erlernen. Jede hat ein anderes Lerntempo. Da sind Feingefühl und Empathie bei der Führungsebene gefragt, und ich unterstütze sie dabei. Ein konkreter Ansatz ist es z.B., technikaffine mit weniger technikaffinen Kolleginnen zu freiwilligen Buddy-Paarungen zusammenzubringen. So können sie voneinander lernen, und gleichzeitig werden Zusammenhalt und Gemeinschaftsgefühl in der Belegschaft wird gestärkt.

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Aus heutiger Sicht lässt sich sicher sagen: Der Einsatz von KI wird unser Leben und unsere Arbeit immer mehr durchdringen.

Die Expertin zur Zukunft des Arbeitslebens

Wie können wir sicherstellen, dass KI-Entwicklungen transparent und verantwortungsbewusst vorangetrieben werden?
Ich sage den Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik immer ganz klar, dass sie die große Verantwortung tragen, ihre Entscheidungen verantwortungsvoll im Interesse der Menschen, Jung und Alt, zu treffen, diese transparent zu kommunizieren und die betroffenen Gruppen ernsthaft einzubinden. Nur dann gelingt eine verantwortungsvolle Entwicklung.

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung der KI in den nächsten 10-20 Jahren und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt?
Der KI-Fortschritt geht so schnell, dass heute führende KI-Forscherinnen sagen, wir müssen die Pausetaste bei der Entwicklung drücken. Aus heutiger Sicht lässt sich sicher sagen: Der Einsatz von KI wird unser Leben und unsere Arbeit immer mehr durchdringen. Ich möchte es positiv sehen, und plädiere dafür, dass wir von passiven KI-Nutzerinnen zu aktiven Zukunftsgestalter:innen werden sollten, um zu verhindern, dass die Maschinen uns in Zukunft kontrollieren.

Österreicher stehen KI skeptisch gegenüber. (Bild: Krone KREATIV)
Österreicher stehen KI skeptisch gegenüber.

Was sind die wichtigsten Schritte, speziell für jüngere Personen, um sich auf eine von KI geprägte Arbeitswelt vorzubereiten?
In meinen Zukunftslabor-Vorträgen und Workshops mit Lehrlingen, Schülerinnen und Studierenden sage ich immer: Probiert die neuen KI-Tools spielerisch aus, versucht zu verstehen, was KI für euch tun kann. Aber vor allem fokussiert auf eure eigenen Interessen, Stärken und Talente. Wie wollt ihr leben und arbeiten? Was sind eure positiven Zukunftsbilder? Arbeitet zusammen, lernt voneinander, hört euch zu und unterstützt euch gegenseitig, haltet zusammen. Denn das wird die KI nie übernehmen können – das macht uns alle zu Menschen.

Porträt von Marc Leon Baloun
Marc Leon Baloun
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