Landwirte können sich in Zukunft mithilfe Künstlicher Intelligenz über den aktuellen Gesundheitszustand ihrer Kühe per App am Handy informieren. Das automatisierte „Kuhtracking“ wird aktuell im Rahmen eines Forschungsprojektes in Salzburg entwickelt.
Im Stall installierte Videokameras sollen demnach die Daten live an eine Software weiterleiten. Das System erkennt jede einzelne Kuh und schlägt Alarm, wenn sie krank oder verletzt ist, oder ein Kalb zur Welt bringt. Das „Kuhtracking“ hat vor allem für Nebenerwerbsbauern den Vorteil, dass sie ein Auge auf ihre Kühe haben können, auch wenn sie nicht vor Ort sind.
Zehn landwirtschaftliche Betriebe im Raum Saalfelden im Pinzgau beteiligen sich derzeit an dem Projekt der beiden Salzburger Firmen Mechatronik Austria und Cognify. Die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) fördert das Projekt mit einer Million Euro.
Zur technischen Unterstützung stellt A1 Telekom-Austria kostenlos 5G-Equipment zur Verfügung. Die Modems sind eine Grundvoraussetzung für die schnelle Übertragung der Live-Videodaten aus den Ställen in die Cloud. Bald sollen es 20 landwirtschaftliche Betriebe sein, die mitmachen.
Im Stall des Vorderkühbühelhofs von Landwirt Michael Fürstauer sind vier Videokameras installiert. Am Handy sieht er die Livebilder seiner Tiere. Nach der geplanten Fertigstellung des Projekts im Jahr 2025 würde er bei Auffälligkeiten sofort eine Nachricht erhalten. Ist eine Kuh krank, paarungsbereit oder kurz vor dem Kalben, kann er sogleich den Tierarzt rufen. An den Livebildern kann er auch Beschädigungen im Stall erkennen, zum Beispiel wenn die Tränke nicht mehr funktioniert.
Viele Aufgaben, eine wird erleichtert
Fürstauer ist verheiratet, hat drei Kinder, ist Lkw-Fahrer und deshalb nicht immer auf seinem Hof präsent. Eine weitere, berufliche Aufgabe der Familie Fürstauer ist die Zimmervermietung am Hof. Demnächst wird der Betrieb als „Urlaub am Bauernhof“ zertifiziert. „Ich habe 20 Milchkühe und die Nachzucht, zehn Kälber. Das Kuhtracking würde mir bei der Arbeit helfen. Zum Beispiel beim Brunstverhalten. Der Zeitraum für eine Besamung ist beschränkt. Wenn du ihn verpasst, dauert es 21 Tage, bis die Kuh wieder trächtig wird. Das ist bei saisonaler Abkalbung in Verbindung mit der Almwirtschaft eine große Herausforderung. Die Information über die App, dass die Kuh jetzt stierig ist, bedeutet für mich eine bessere Planbarkeit und auch Wirtschaftlichkeit“, schildert Fürstauer.
Wird der richtige Zeitpunkt für die Besamung versäumt, bedeute das für ihn einen finanziellen Schaden von rund 1500 Euro pro Kuh und Jahr. „Du fällst auch um die zusätzliche Förderung für ein neues Lebewesen.“ Die App soll, wenn sie fertig entwickelt ist, auch einen Liegealarm. Steht die Kuh nach dem Abkalben nicht mehr auf, womöglich wegen eines Kalziummangels, könnte sie ohne eine entsprechende Behandlung noch am selben Tag verenden. Auch bei Feuer oder Unruhe im Stall wird der Landwirt oder die Landwirtin sofort informiert.
Das Abkalben beschreibt Markus Zehentner, Eigentümer des Ingenieur- und Softwareunternehmens Mechatronik Austria und Initiator dieses Projektes, als einen emotionalen Moment für einen Landwirt im kleinstrukturierten Bereich. „Der Bauer ist nervös, er will ja bei der Geburt dabei sein.“ Zehentner spricht aus Erfahrung. Er hat am Hof seiner Verwandten in Saalfelden ausgeholfen und noch vor seinem Maschinenbaustudium und der Firmengründung den landwirtschaftlichen Facharbeiter absolviert.
Während der Coronazeit führte er mit seinen Technikern digitale Versuche für eine kamerabasierte Lösung durch, um den Landwirt bei der Arbeit unterstützen zu können. Über einen Bekannten wurde der Kontakt zu dem Data Science Dienstleister Cognify hergestellt, der seit 2023 das Kuhtracking mitentwickelt. „Wir lernen gegenseitig voneinander. Mittlerweile arbeiten insgesamt 13 Mitarbeiter an dem Projekt.“
Tiere immer unter Beobachtung
Das System hat die Tiere täglich 24 Stunden im Blick. Damit dieses digitale Herdenmanagement funktioniert und jede einzelne Kuh einer Herde identifiziert wird, müssen viele Daten eingespeist und mittels Künstlicher Intelligenz ausgewertet werden. „Die Daten werden in Echtzeit in eine Cloud gestreamt. 20.000 Fotos werden immer wieder verglichen und zugeordnet. Wir sind jetzt in der Datensammlungs- und Findungsphase und bereits in der Lage, die einzelnen Kühe zu erkennen“, erklärt Zehentner. „Nun folgt die Analysearbeit in Bezug auf die Bewegung im Stall und Aktivität der Kühe.“
Die technische Infrastruktur, das Backend und die Programmierung der Web-Oberfläche am Handy ist der Part von Mechatronik Austria, die Datenauswertung- und Analyse sowie Algorithmen übernimmt Cognify. „Wir trainieren mit den Daten unserer KI-Modelle. Für diese Machine-Learning-Modelle sind viele verschiedene Testställe notwendig“, erläutert Norbert Walchhofer, Mitbegründer der Firma Cognify. Einige der algorithmischen Herausforderungen sind abgeschlossen, die KI-Modellkette steht. „Die Objekterkennung und das Tracking funktionieren, jetzt befinden wir uns in der Re-Identifikationsphase.“ Was noch ansteht, ist die Klassifikation der Aktivitäten und Gesundheit.
Im Fokus steht neben der Nachhaltigkeit auch das Tierwohl. Es befindet sich keine Hardware am Tier. „Unsere Lösung basiert auf Computer Vision und kommt daher ohne teure Sensorik am Tier aus“, schildert Walchhofer. Ziel eines solchen Systems seien eine verbesserte Wirtschaftlichkeit, bessere Haltungsbedingungen und eine verbesserte Tiergesundheit. „Wir suchen sinnvolle Anwendungsbereiche von KI. Kuhtracking unterstützt den Landwirt, er hat weniger Sorgen um seine Tiere, und es hilft, die klein strukturierte Landwirtschaft aufrechtzuerhalten“, zählt der Experte die Vorteile auf. Zukünftig soll aus diesen Daten ein umfassendes Herdenmanagement-System gespeist werden, welches es erlaubt, Tierwohl quantifizierbar zu machen.
Auf Datenschutz wurde nicht vergessen
Mitgedacht wurde auch der Datenschutz. „Von Beginn an ist eine Datenschutzexpertin im Projekt involviert. Die Videodaten sind entsprechend geschützt“, erläutert Walchhofer. „Den Live-Zugriff hat nur der Landwirt selbst.“ In den Testställen weisen Schilder auf die Videoaufzeichnung hin.
Nach der Fertigstellung des Projektes soll eine eigene Firma zum Vertrieb und Verkauf der App gegründet werden. Dafür werden Investoren gesucht. Es gibt noch kein konkretes Preismodell, was die Kosten für den Landwirt betrifft. Die jährliche Gebühr soll aber relativ günstig ausfallen.
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