Militärexperte:
Trump-Sieg würde Europäer unter Zugzwang bringen
Ein Sieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen im November würde Europa politisch und militärisch unter Zugzwang bringen. Die Amerikaner sind die größten Unterstützer der Ukraine. Wenn Trump seine Ankündigung wahr macht und jegliche Hilfe für die Ukraine einstellt, stünde Europa vor großen Problemen, sagte Militärexperte Brigadier Berthold Sandtner, Leiter des Instituts für Höhere Militärische Führung an der Landesverteidigungsakademie, im Gespräch mit der „Krone“.
„Was passiert, wenn die US-Unterstützung ausfällt, hat man bei der Blockade der US-Militärhilfen durch den Kongress vor einigen Monaten gesehen. Die Ukrainer sind dadurch am Gefechtsfeld massiv unter Druck geraten. Die erst wieder im Aufwuchs befindliche wehrtechnische Industrie in Europa könnte ein gänzliches Ausfallen amerikanischer Hilfen nicht kompensieren“, sagte Sandtner.
Ukraine drohen weitere Gebietsverluste
„Eine fehlende oder zumindest deutlich reduzierte militärische Unterstützung durch die USA würde sich sehr wahrscheinlich in Gebietsverlusten für die Ukraine niederschlagen und noch stärker als jetzt wäre die kritische Infrastruktur der Ukraine relativ schutzlos den russischen Luftangriffen ausgeliefert. Das wäre ein massiver Rückschlag für die Ukraine, gepaart mit anderen Problemen wie Kriegsmüdigkeit und Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von Soldaten“, so der Militärexperte.
Europa muss massiv aufrüsten
Um ihre Abhängigkeit von Waffenlieferungen zu reduzieren, schenkt die Ukraine dem Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie viel Aufmerksamkeit, allerdings sind diese Industrie und die dafür nötige Energieversorgung auch primäre Ziele der russischen Luftschläge. Auch in Europa wird die Rüstungsindustrie hochgefahren. Man versucht etwa, die Produktionskapazitäten von Artilleriegranaten von wenigen Hunderttausend auf eine Million und mehr im Jahr zu bringen. Die Herausforderung in Europa ist allerdings, dass viele Staaten gleichzeitig aufrüsten.
Krieg setzt Ukraine auch finanziell massiv unter Druck
„Die Nachfrage nach Rüstungsgütern ist enorm. Man muss nur nach Österreich schauen. In unserem Verteidigungsbudget haben sich die Mittel für Investitionen vervielfacht und so ist es auch in vielen anderen europäischen Staaten. Das hat unter anderem dazu geführt, dass der Preis für Rüstungsgüter deutlich über dem Inflationsniveau der letzten Jahre gestiegen ist.“ Die Ukraine ist durch den Krieg mittlerweile hoch verschuldet, sie gibt die Hälfte ihrer Staatsausgaben für das Militär aus, in Russland ist es ein Drittel. Die Regierung in Kiew hat erst kürzlich angekündigt, dass sie die Militärsteuer von bisher 1,5 auf fünf Prozent auf Einkommen erhöhen will.
„An der Front gibt es für die Ukrainer derzeit ein dreifaches Dilemma“, sagt Sandtner. In der Mitte der Front, also im Donbass, gelingt es den Russen immer wieder, Geländegewinne zu machen, auch weil die Ukrainer aus dieser Gegend Reserven in den Norden abziehen mussten, um eine neue russische Offensive im Raum Charkiv abzuwehren. Der Norden ist damit auch wieder zum Problem geworden und auch im Süden, beispielsweise entlang des Flusses Dnjepr, mussten sich die Ukrainer unlängst stellenweise zurückziehen.
Frontverlauf hat sich nicht wesentlich verändert
Unter dem Strich ist es aber so, dass die Front seit dem Herbst 2022, nach den erfolgreichen ukrainischen Offensiven in den Räumen Charkiv im Norden und Cherson im Süden, im Großen und Ganzen unverändert geblieben ist. Die groß angekündigte ukrainische Gegenoffensive im Sommer 2023 hat lediglich sehr geringfügige Verschiebungen des Frontverlaufs im Süden gebracht. Ein Teil wurde von den Russen schon wieder zurückerobert. „Zusammengefasst kann man feststellen, dass es seit November 2022 keiner der beiden Seiten mehr gelungen ist, einen wirklich entscheidenden Durchbruch zu erzielen“, so Sandtner.
Zusammengefasst kann man feststellen, dass es seit November 2022 keiner der beiden Seiten mehr gelungen ist, einen wirklich entscheidenden Durchbruch zu erzielen.
Brigadier Sandtner
Selenskyj bitte NATO um direktes Eingreifen
Um der ständigen Bedrohung durch die russischen Luftkriegsmittel zu begegnen, hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem der Treffen der europäischen politischen Gemeinschaft in Großbritannien zuletzt gefordert, dass die NATO russische Raketen und Drohnen direkt über der Ukraine abschießt, so wie es beispielsweise die USA beim iranischen Luftangriff mit über 300 Raketen und Drohnen im April dieses Jahres auf Israel getan haben. Die NATO hat ein direktes Eingreifen bisher aber immer ausgeschlossen, um nicht selbst zur Kriegspartei zu werden. Die roten Linien haben sich im Laufe der inzwischen schon fast zweieinhalb Jahre Krieg allerdings immer weiter verschoben. Demnächst wird es zur Lieferung von fast 100 F-16-Flugzeugen kommen. Das war zu Beginn des Krieges noch undenkbar.
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