Laut Statistik ist jede vierte Frau in Österreich ein Opfer von Gewalt – besonders betroffen: das Migrationsmilieu. Jetzt startet eine eigene Info-Kampagne in 2000 Arztpraxen.
Gewalt gegen Frauen kennt viele Gesichter – und wie aktuelle Zahlen belegen auch viele Sprachen. Das bestätigt auch Alfred Kohlberger, Geschäftsführer des Vereins Neustart. Seit 2021 sind Täter nach einer Wegweisung gesetzlich verpflichtet, innerhalb von fünf Tagen eine Beratungsstelle aufzusuchen.
Interne Statistiken des Vereins zeigen, dass 60 Prozent der Gewalttäter aus Österreich stammen. Weitere 40 Prozent haben keine österreichische Staatsbürgerschaft und kommen hauptsächlich aus EU-Ländern wie Rumänien und der Slowakei, gefolgt von Balkanländern, der Türkei sowie Syrien und anderen arabischen Staaten.
Zuwanderinnen werden oft alleine gelassen
Das zeigt: Überproportional oft betroffen sind Frauen und auch Mädchen mit Migrations- und Fluchthintergrund, die zusätzlich speziellen Formen der Gewalt wie weiblicher Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung ausgesetzt sind. Etwa 11.000 Mädchen und Frauen in Österreich sind von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen, wie eine Studie der Medizinischen Universität Wien zeigt.
Fehlende Informationen
Sich aus dieser Gewaltspirale zu befreien ist schwierig, beinahe unmöglich, wenn die Sprachbarriere eine soziale Isolation zusätzlich verstärkt. An wichtige Informationen von Hilfseinrichtungen zu kommen ist dann der erste Schritt. Sonia Koul, Leiterin des Teams Frauen und Familie im Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF): „Zuwanderinnen, die einem besonders hohen Gewaltrisiko ausgesetzt sind, fehlt oft das Wissen über Gewaltschutz und wichtige Kontaktadressen.“ Insbesondere im Ausland geborene Frauen sind mit dem Konzept von Frauenhäusern und deren Funktion oftmals nicht vertraut. Doch das soll sich nun ändern.
Mehrsprachige Kampagne
Der ÖIF, das Bundeskanzleramt und die Österreichische Ärztekammer haben nun eine neue Initiative gegen Gewalt an Frauen ins Leben gerufen. Um insbesondere Frauen und Mädchen mit Migrations- und Fluchthintergrund zu erreichen, haben der ÖIF und die Ärztekammer mehrsprachige Plakate und Informationsmaterial ausgearbeitet.
Infos dort, wo Frauen sie diskret bekommen können
Hierbei ist besonders wichtig, die Informationen gezielt an den Orten zur Verfügung zu stellen, die von der Zielgruppe auch tatsächlich frequentiert werden – wie eben Frauen- und Kinderarztpraxen. In rund 2000 Praxen in ganz Österreich gibt es diese Broschüren ab sofort. Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer: „Die Ärztekammer unterstützt sehr gerne diese Aktion, damit Gewaltopfer niederschwellig und diskret jede mögliche Hilfe bekommen.“
ÖIF-Frauenbeauftragte Sonia Koul und Ärztekammer-Vizin Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied im Interview
„Krone“: Frau Koul, warum ist häusliche Gewalt überproportional oft bei Zuwanderern zu finden?
Sonia Koul: Häusliche Gewalt kann jeden treffen, aber häufig sind weibliche Flüchtlinge und Migrantinnen nicht mit ihren Rechten, den Anlaufstellen und Unterstützungsangeboten vertraut. Daher starten die ÖIF-Frauenzentren gemeinsam mit der Ärztekammer diese Initiative.
Was raten Sie Mädchen und Frauen?
Bei Gewalt ist es wichtig, schnell und niederschwellig Hilfe und Unterstützung anzubieten, da knüpfen die ÖIF-Frauenzentren mit mehrsprachigen Beratungen und Unterstützungsangeboten an.
Frau Kamaleyan-Schmied, wie sollen Ärzte verfahren, wenn sie Anzeichen für Gewalt erkennen?
Naghme Kamaleyan-Schmied: Wichtig ist es, wachsam und aufmerksam zu sein – besonders bei offensichtlichen Verletzungen, aber auch bei Auffälligkeiten bei Patientinnen, die man schon lange Zeit kennt.
Zum Thema Genitalbeschneidung: Muss ein solcher Fall den Behörden gemeldet werden?
Weibliche Genitalverstümmelung erfüllt den Tatbestand der vorsätzlichen schweren Körperverletzung. Ärztinnen und Ärzte sind in diesem Fall prinzipiell von der Schweigepflicht entbunden, es besteht Anzeigenpflicht, wenn man in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit von der Tat erfährt.
Oft bestehen Sprachbarrieren. Wie sollen Ärzte damit umgehen?
Wichtig ist vor allem ein wertschätzender und geduldiger Umgang, um diese Barrieren zu überwinden. Mehrsprachige Ärzte, aber auch das Ordinationspersonal sind im Vorteil, denn mit unterschiedlichsten Muttersprachen sind sie wiederum Multiplikatoren für die Patientinnen und schaffen Vertrauen.
Wie sollen Ärzte verfahren, wenn eine Patientin von einem Mann begleitet wird?
In diesen Fragen ist viel Fingerspitzengefühl nötig. Wichtig ist, dass Patientinnen klar ihren Willen ausdrücken können. Den Grundstein dafür legt das enge Vertrauensverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten sowie ihren Patientinnen und Patienten.
Kommt auch Gewalt gegen Ärzte vor?
Das ist ein aktuelles Thema. Gerade Ärztinnen sind besonders gefährdet, Opfer von aggressivem Verhalten zu werden, besonders häufig verbaler Natur. Gewalt ist in einer immer weiblicher werdenden Medizin eine Frage, der wir uns verstärkt widmen müssen.
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