Unter den noch lebenden Reggae-Legenden steht Jimmy Cliff ganz oben an der Spitze. Mit seinen Liedern prägte er die Szene, brachte Jamaika auf die popmusikalische Weltkarte und förderte den jungen Bob Marley. Heute wird Cliff 80 Jahre alt – und die „Krone“ erinnert sich an zwei besondere Begegnungen.
Reggae-Künstlern der alten Schule wird mitunter so einiges nachgesagt. Rassismus, sexistische Anflüge und eine strukturelle Unruhe gehören mitunter dazu. Bob Marleys musikalisch einwandfreier Ruf bekam durch das Leben drumherum posthum so einige Kratzer ab, die er sicher gerne vermieden hätte. Von Reggae-Urvater Jimmy Cliff ist dahingehend weniger bekannt – bis auf die Unruhe. Der Verfasser dieser Zeilen erinnert sich noch gut an das Jahr 2014 zurück. Das Lovely Days fand damals noch in der Erdbeermetropole Wiesen statt und Cliff lud an einem warmen Juli-Abend vor dem Auftritt zum Interview. Aus den legendären Backstage-Räumen (welche die Innenbereiche alter Dampfzüge sind) vernahm man schon von außen Geschrei, wenig später kam die kurzfristige Absage über den Tourmanager. Cliff hätte gerade mit seinen Musikern gestritten und wäre keinesfalls in der Lage, jetzt ein Interview zu geben.
Heimatlich geprägt
Der Auftritt kurz danach verlief souverän und begeisternd – mit dem Interview hat es dann drei Jahre verspätet auf der Burg Clam doch noch geklappt. Ein kurzes, aber intensives Vergnügen mit einer strahlenden Persönlichkeit, der man die über Jahrzehnte geschriebene Musikgeschichte auratisch anmerkt. 1962 stieß Cliff als Teenager mit dem Song „Hurricane Hattie“ das erste Mal an die Spitze der jamaikanischen Charts. Seine Heimat wurde von Großbritannien unabhängig und der Song war vom schweren Hurrikan aus dem Jahr 1961 inspiriert, der kompromisslos über das Land zog. Den Begriff Reggae gab es damals noch gar nicht und Jimmy Cliff hieß eigentlich James Chambers. Den Künstlernamen gab er sich, weil er von den Klippen seiner Heimat im Nordwesten der Insel inspiriert war.
Cliff war mitentscheidend dafür, dass sich Ska-Klänge zum damals noch unbekannten Reggae entwickelten. Die Legende (und Cliff selbst) besagen, er hätte in den 70er-Jahren im damaligen Schweißer Bob Marley einen Poeten und zukünftigen Weltstar erkannt, der bei ihm im Proberaum auftauchte und mit dem er seine allerersten drei Lieder aufgenommen hätte. Cliff selbst war zu dieser Zeit bereits etabliert. Mit Songs wie „Vietnam“ (laut Bob Dylan das beste Protestlied aller Zeiten), „Many Rivers To Cross“, „Wonderful World, Wonderful People“ oder seiner Interpretation des Cat-Stevens-Welthits „Wild World“ eroberte er die Charts quer über den Globus. Wichtig dabei auch die Glaubenslehre der Rastafari. „Im Leben existieren die beiden Pole Positivität und Negativität“, erzählte er uns 2018 im Interview, „der Reggae sollte sich immer im positiven Bereich bewegen, das ist sehr wichtig. Das Negative ist in uns allen – man darf ihm nur niemals den Vortritt lassen.“
Glück und Zufriedenheit
Wie viele jamaikanische Musiker lebte Cliff in den 70er-Jahren in London, um seine Karriere anzutreiben, fühlte sich aber nie wirklich wohl. Seine Vermieterin habe ihn mit rassistischen Botschaften hinausschmeißen wollen, erst als sie ihn in der damals populären TV-Sendung „Top Of The Pops“ live sah, erstarrte sie schreckhaft und änderte ihre Meinung radikal. Mit „You Can Get It If You Really Want“ schrieb er eines der bekanntesten und erfolgreichsten Reggae-Lieder der Musikhistorie. Zeit seines Lebens bildete er den Alltag schwarzer Jamaikaner detailgetreu ab und vermengte in seinen sonnigen Songs eine kräftige Portion Sozialkritik und Augenöffner-Momente. „Jeder Mensch auf dieser Welt hat eine Bestimmung. Es geht im Leben darum, das zu tun, was die Seele dir sagt, dass du tun sollst. Das mag nicht jedem von uns das große Geld bringen, aber es erfüllt mit Glück und Zufriedenheit.“
Auf religiösem Weg konvertierte Cliff zuerst zum Islam, um sich dann später von allen außerweltlichen Gedanken zu lösen, an die Wissenschaft zu glauben und einen universelleren Blick auf das Leben zu entwickeln. „Am Ende fühle ich mich auf dieser Welt nur mir selbst gegenüber verantwortlich. Ich will auf dieser Erde ein gutes Leben verbringen – wie ich das mache, das liegt ganz in meiner eigenen Hand.“ Im Laufe seiner beeindruckenden Karriere reüssierte Cliff mehrmals als autodidaktischer Schauspieler, gewann zwei Grammys und wurde 2010 in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen. „Ich habe in meinem Leben sicher viel erreicht, aber da gibt es noch einiges zu tun“, zeigt er sich immer noch wach und motiviert, „die besten Songs sind noch nicht geschrieben, die besten Alben noch nicht aufgenommen und die besten Filme noch nicht gedreht. Es gibt genug zu tun.“
Unberechenbare Kreativschübe
Cliff bleibt auch im hohen Alter kreativ und veröffentlichte 2022 erst sein aktuelles Studioalbum „Refugees“, das unmissverständlich die prekäre Flüchtlingskrise zentriert, die für globale Erdbeben sorgt. „Ich bin immer gewillt, dazuzulernen und Neues zu erleben. Sobald du aufhörst zu lernen und dich für Dinge zu interessieren, stirbst du innerlich. Das Leben gibt dir genug Möglichkeiten, dich fortwährend zu entwickeln – du musst aber auch daran interessiert sein und zugreifen.“ Live-Auftritte sind nicht nur aufgrund Cliffs Gesundheitszustands rarer geworden, doch beim jamaikanischen Reggae-Urvater kann man eben nie wissen. So unberechenbar seine Launen sind, so unberechenbar sind auch die kreativen Schübe. „Meine Songs spiegeln in erster Linie schöne Momente wider. Manchmal aber auch Momente, bei denen ich für Dinge kämpfen musste. Am Ende folge ich der Seele und versuche, der Komplettierung meiner Bestimmung so nahe wie möglich zu kommen.“
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