Geschichtsabriss

Buch ergründet die Geschichte der Hamburger Schule

Musik
03.08.2024 09:00

Geliebt, verrufen und legendär – die Hamburger Schule gehört zu den wichtigsten Subszenen der europäischen Musikkultur, obwohl sie nie in einer logischen Ordnung existierte. Das Buch „Der Text ist meine Party“ (Ventil Verlag) ergründet noch einmal die Geschichte des Nordens und konzentriert sich angenehmerweise auch auf unbekanntere Aspekte.

(Bild: kmm)

Was denn nun genau die Hamburger Schule ist, das wird man im Detail wohl niemals greifbar machen können. Wer in seinem Musikwissen nicht allzu sehr in die Tiefe gehen mag, der assoziiert automatisch bestimmte Signalbilder damit. Rauchige Buden am Kiez, Adidas-Trainingsanzüge, (pseudo)intelligente Unterhaltungen von selbsterschaffenen Künstlern und linke Politik. Wikipedia behauptet grob zusammengefasst, die Hamburger Schule sei eine lose Musikbewegung, die Ende der 80er-Jahre entstand und Mitte der 90er-Jahre ihren Höhepunkt erreichte. Noch unbeliebter als die Stadtkategorisierung war für die handelnden Musiker nur noch der Terminus „Diskurspop“, mit dem man zwar den Kern des Wesens erfasste, die pure Kraft der Musik aber – bewusst oder unbewusst – hinter eine herbeifantasierte Vorstellung, ewige Germanistikstudenten würden einem via CD-Anlage ihre spät kommunistische Polemik entgegenschreien, versteckte.

Suche nach etwas Neuem
Der studierte Literaturwissenschaftler und freie Journalist Jonas Engelmann blickt in seinem kundig verfassten Buch „Der Text ist meine Party – Eine Geschichte der Hamburger Schule“ (Ventil Verlag) entspannt und wenig effektheischend hinter die Kulissen der Szene, führte mit unzähligen Schlüsselpersonen im und außerhalb des Rampenlichts Interviews und begründet zwischendrin, warum er manch geplante Gesprächspartner dann doch lieber außen vor ließ. Die wichtigste Erkenntnis, um den Grundstock dieser Bewegung zu verstehen: Es ging um die Suche nach etwas Neuem. Deutschland war zuerst von den Folgen des Zweiten Weltkriegs gebeutelt, dann zog auch noch der Schlager wie eine kreative Pest übers Land und selbst die Krautrock- und New-Wave-Bands konnten dem Land in den 70er- und frühen 80er-Jahren nicht den Mief der überkorrekten Langeweile nehmen.

Die Hamburger Schule war, ob sie es wollte oder nicht, in erster Linie eine gesamtdeutsche. Die Ursprünge der frühen Bands ließen sich zurückverfolgen nach Bad Salzuflen, in den Schwarzwald, in die bayrische Diaspora oder in das damals noch zweigeteilte Berlin, das zwar seine eigenen mittelgroßen Szenen kreierte, aber wesentlich zersprengter agierte. In der gleichermaßen rauen und günstigen, wie auch malerischen und offenen Nordstadt neben der rauen See fanden kreative Geister ein gemeinsames Zentrum, um Subkultur zu gründen, sie zu pflegen und schließlich ungewollt in den Mainstream zu tragen. Der Begriff Hamburger Schule sollte erst Anfang der 90-Jahre salonfähig werden, doch schon früher war den Musikern nicht ganz klar, was denn nur wo hineingehört und was nicht.

Demokratisierung der Musik
Bernd Begemann, einer der klügsten, aber kommerziell unbelohnten Helden der Szene, gilt manchen als entscheidender Wegbereiter, andere wiederum sehen seinen Einfluss als enden wollend an. Der 2004 verstorbene, berühmte britische DJ John Peel war für die Hamburger Szene besonders prägend, wie Begemann im Buch erläutert. „Was ich behalten habe aus dieser Zeit, ist echte Diversität, vergessene Namen, Leute, die vielleicht nur eine Single gemacht haben – aber das war die Essenz ihres Lebens. Man hörte diese seltsamen kleinen Sachen und für mich ist das grundsätzlich der wahre Reichtum von Musikgeschichte. In ,John Peel’s Music On BFBS‘ wurde dieser Chor von Außenseitern mit abseitigen Themen verhandeln. Zu sagen, es gäbe nur Bob Dylan oder die Beatles, ist eine monarchistische Art, Musikgeschichte zu sehen. Und gegen die würde ich mich als Demokrat verwehren.“

Die Hamburger Schule war nicht musikalisch festzumachen. Sie bestand aus Pop und Rock, aus Elektronik und Soul, aus Funk und Punk, aus Alternative, Indie und sogar noch aus übriggebliebenen Schlagerelementen. Unterschiedliche Bands und Projekte wie Blumfeld, Superpunk, Tocotronic, Huah!, Die Goldenen Zitronen, Kolossale Jugend oder Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs konnten unterschiedlicher nicht sein und waren sich oft sogar ideologisch nicht einig, aber sie prägten eine allumfassende Szene, gemeinsam mit dem intellektuellen Print-Pop-Sprachrohr „Spex“, der aufkommenden Musik-TV-Welle und dem Durst der Kreativen und Hörer, sich vom Einfältigen und Simplen der deutschen Musik zu befreien und etwas mit Inhalt, Verve, Bedeutung und Kante zu erschaffen. Das Werk ist in interessante Unterkapitel gegliedert, die nicht nur die wichtigsten Bands und Alben vorstellen, sondern auch einen historischen Abriss bieten, das Augenmerk auf die Strukturerschaffung (Bars, Konzertsäle, Labels, Fanzines) legen und schlussendlich auf die kommerzielle Explosion zusteuern.

Gitarrenmusik auf Deutsch
Mit Tocotronic, Blumfeld und Die Sterne sind noch heute drei Bands federführend für eine ganze Szene, die dahinter und daneben so viel mehr zu bieten hatte, aber nicht aus dem eigenen Zirkel hinausreichte. Besonderes interessant ist der Teil, wo man zu ergründen versucht, warum eine so linke und offene Szene derart wenige Frauen beinhaltete. Man nimmt teil am aufkommenden Rassismus im Deutschland 1991, wie eine Funpunk-Band (Die Goldenen Zitronen) durch die tragischen Ereignisse einen notwendigen Image- und Inhaltswandel vollzieht und wie die unterschiedlichen Hamburger Bands und Künstler versuchen, mit Diskurs, Bildung und Musik für Frieden und Gemeinschaft zu sorgen. Irgendwann war es vorbei. Zurück bleiben die Superstars Tocotronic und viele vergorene Träume. Und die Hamburger Schule? Bernd Kroschewski (Boy Division) würde sie folgendermaßen subsumieren: „Theoretisch, weil so Gitarrenmusik, ein bisschen Soul und gute Texte und dann auch auf Deutsch“. Wissen wir das also auch!

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